Zentralabitur – derzeit ein großer Murks

Hans Peter Klein („Auf den Spuren des Streifenhörnchens“, SZ 2. 7. 2018) hat die Abituraufgaben in Biologie aus fünf Bundesländern seit 2005 untersucht und dabei herausgefunden, wie unterschiedlich die Anforderungen sind: In Schleswig-Holstein und NRW bekommt man das Abitur beinahe nachgeschmissen, in Meck-Pomm sind die Anforderungen wesentlich höher. Die Abiturientenquote betrug dementsprechend in SH im Jahr 2016 62,7% des Jahrgangs, in Bayern 31,1%.

Es dürfte einleuchten, dass bei einer Quote von 62,7% viele nicht einmal einen IQ von 100 haben und damit dümmer als der Durchschnitt sind, dass also das SH-Abitur so etwas wie ein Hauptschulabschluss ist. Das ist das Ergebnis einmal des politischen Willens von SPD und Bertelsmann-Stiftung, die dauernd vorgurren, wie benachteiligt die Arbeiterkinder sind, und die dementsprechend die Anforderungen ans Abi senken; und zum zweiten die dem korrespondierende didaktische Mode der Kompetenzorientierung: Man muss nicht mehr viel wissen, man nur etwas „können“ (= Kompetenzen haben); was man nicht weiß, kriegt man dann im Begleitmaterial zur Aufgabe mitgeliefert, daraus muss man es dann abschreiben (es natürlich vorher finden – eine große Leistung).

Ich erinnere mich an einen Schüler, dem ich vor ein paar Jahren vor seinem Abitur Nachhilfe in Deutsch gegeben habe. Den Artikel „Neue Sachlichkeit“ in einem Lexikon nachzulesen war ihm zu viel Arbeit. Wörtlich sagte er: „Ich brauche fünf Schlagwörter, die ich immer reinhauen kann.“ Wir haben dann fünf Schlagwörter notiert, und auf dieser Wissensbasis hat er seine Arbeit im Grundkurs Deutsch (NRW) 3- geschrieben; von der Neuen Sachlichkeit verstand er natürlich nichts.

„Faust“ in EinFach Deutsch – ein grausames Spiel

Heute hatte ich Gelegenheit zu sehen, wie die Gretchentragödie in „EinFach Deutsch“ verschandelt wird:

Szene „Straße“ wird auf 14 Verse reduziert (V. 2605 ff.).

Aus Szene „Abend“ (V. 2678 ff.) werden sechs Verse angehängt.

Aus Szene „Abend“ (V. 2783 ff.) wird Gretchens Monolog vor dem Kästchen (22 Verse) präsentiert.

Aus Szene „Garten“ (V. 3073 ff.) sind die Elemente ‚Marthe-Mephisto’, aber weithin auch Gretchens Bericht von der Sorge um das Schwesterchen (V. 3125 ff.) gestrichen.

Fazit: Von 600 Versen sind circa drei Viertel gestrichen, darunter die Schlüsselszene V. 2687 ff. (Fausts Monolog in Gretchens Zimmer) und das Lied vom König in Thule; die Figuren Mephisto und Marthe fehlen völlig – es ist einfach unfassbar!

Was Frau Löhrmann allein nicht schafft: das Gymnasium demolieren, das bringt EinFach Deutsch zum Abschluss – und zwar an der Marienschule in Mönchengladbach, dem heimlichen Elitegymnasium der Stadt.

Ich schlage als nächste Stufe der Reduktion des „Faust“ resp. der Gretchentragödie vor:

  • Faust lernt Gretchen kennen
  • Sie verlieben sich ineinander
  • Gretchen wird schwanger, tötet ihr Kind und wird wahnsinnig
  • Faust kann sie nicht retten und verlässt sie.

Diesen Kurztext kann eigentlich jeder verstehen, sodass dann auch jeder in NRW Abitur machen kann. Nur – was fangen wir mit solchen „Abiturienten“ an? Und was hat diese Boulevard-Kurzmeldung mit Goethes „Faust“ zu tun? Auch nicht viel weniger als die ‚EinFach Deutsch‘-Kurzfassung!

Leistungskurs Deutsch – Zentralabitur NRW 2016

  1. Aufgabe:

a) Zu Kafka: Der Prozeß

Analyse eines Auszugs aus „Der Prozeß“ (Kapitel: Advokat – Fabrikant – Maler)); dazu den bisherigen Handlungsgang kurz darstellen; untersuchen, wie der Aspekt der möglichen Schuld Josef K.s thematisiert wird.

b) Diskutieren, ob bzw. inwiefern Josef K. schuldig ist; die eigene Position begründen und dabei einen bekannten Deutungsansatz berücksichtigen.

Der einzige originelle Aufgabenteil ist die Analyse von 64 Zeilen Text; der Rest ist i.W. Reproduktion des Unterrichts – das liegt unter dem Niveau eines Leistungskurses, meine ich.

Zur Lösungserwartung

An der Lösungserwartung ist nur interessant, welche Deutungsansätze es offiziell gibt: soziologisch, autobiographisch bzw. psychologisch, existenzphilosophisch, theologisch, diskursanalytisch.

Dass „detailgenaue Sprache zur Charakterisierung der (welcher?) Atmosphäre“ beitrage, ist ein sprachliches Versatzstück.

Mir fällt für den ersten Teil auf, wie oft sich die Lösungserwartungen unter verschiedenen Aspekten wiederholen („Fokussierung des Bewusstseinshorizontes“): Das hat man zu „schien“ längst unter personalem Erzählen verbucht – aber irgendwie muss man auf 42 Punkte kommen!

Ich bin derzeit nicht so firm im „Prozeß“, dass ich zur Lösungserwartung insgesamt begründet etwas sagen könnte.

  1. Aufgabe: Gedichtanalyse und -vergleich

a) Eichendorff: Der Einsiedler

Die Analyse gibt es bei norberto42, sie wurde vom Klausurtag bis heute 960mal aufgerufen.

b) Paul Boldt: In der Welt

Das ist ein kleines und unbedeutendes Gedicht, das kein Mensch liest – deshalb scheint es fürs Abitur geeignet zu sein.

Die beiden Gedicht umfassen zusammen 26 Verse; das ist für einen Leistungskurs wieder etwas dürftig: Die Tendenz zu guten Abiturnoten (und steigender Anzahl von Studienabbrechern) muss ja irgendwo begründet sein.

Zur Lösungserwartung:

a) Eine Reihe kleiner Unschärfen gibt es:

  • Thema ist eher Sinnerwartung als -erfahrung;
  • Strophe: Wirkungsmacht der Nacht, der stillen Nacht (nicht der Natur); vgl. den stillen Wald (V. 18);
  • bei der 3. Str. fehlt die (ewige) Ruhe; das typische Eichendorff’sche Morgenrot wird unter 5) vermerkt;
  • unter 5): „Bilder aus dem Umfeld von Meer und Hafen“ ist unscharf, richtig wäre Seefahrt-Hafen;
  • unter 6) Deutung wird i.W. bereits Gesagtes wiederholt;
  • unscharf ist dort „Sehnsucht nach Geborgenheit aufgrund des Glaubens“: Aufgrund des Glaubens gibt es nicht Sehnsucht, sondern Erwartung; der Glaube selbst stützt sich auch auf die frühere Erfahrung von Geborgenheit in der stillen Nacht (V. 10-12; das ist oben zur 2. Str. auch vermerkt!). Das Weihnachtslied „Stille Nacht“ wurde übrigens 1818 erstmals aufgeführt! (https://de.wikipedia.org/wiki/Stille_Nacht,_heilige_Nacht)

b) Was ist Bewegung der Wälder zum Himmel? Die wird hier einfach als gegeben unterstellt.

Die variierende Verwendung des Wortes „Ich“ zur Unterstreichung fehlender Kohärenz: quasigrammatische Spinnerei!

Im Titel finde ich keine ironische Kommentierung.

Ich finde bei Boldt (zu 7) auch keine Suche nach Transzendenz – hier liegt m.E. ein typischer Schülerfehler vor: Man sucht beim Vergleichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede und erfindet dann welche, wo keine sind.

Ansonsten wird unter 6) und 7) (und 8) mal wieder alles zum dritten Mal durch Mühle gedreht und klein gemahlen.

  1. Aufgabe: Analyse eines Sachtextes mit weiterführendem Schreibauftrag

a) Analyse von 47 Zeilen aus Korff: Geist der Goethezeit, Bd. 1, S. 205 ff.

Gefordert wird eine thematische Erarbeitung des Textes, die Untersuchung der Argumentationsstruktur und der sprachlichen Gestaltung.

Es ist erfreulich, dass auf Korffs Buch zurückgegriffen wird; das habe ich bei der Faust-Deutung früher selber getan (allerdings nicht in Klausuren, weil Korff ziemlich weitschweifig schreibt).

Die Anführungszeichen in Anm. 1 bei „Französische Revolution“ sind ein Z-Fehler; dass die Zitate aus dem Stück für Schüler erläutert werden (Anm. 6 und 7), ist ein Witz – man traut den Schülern des Lk offensichtlich nicht zu, das Stück zu kennen!

b) Ein Satz des Textes als Zitat: „Die Strenge einer dogmatischen Moral wird hier zur eigentlichen Quelle auch der politischen Knechtschaft.“ Dieser Satz soll im Hinblick auf Luises Situation geprüft werden, abschließend sollen die Schüler zu seiner Plausibilität Stellung nehmen.

Diese Aufgabenstellung ist Quark, weil

  • die Metapher „eigentliche Quelle der politischen Knechtschaft“ erstens unscharf ist und durch den Auftritt von Soldaten und Polizisten direkt widerlegt wird
  • und zweitens mit dem Attribut „eigentlich“ auch andere Quellen akzeptiert werden, gegen welche tiefsinnig die eigentliche (und deshalb verborgene, also nicht erweisbare) Quelle abgegrenzt wird.
  • Drittens ist der Satz unsinnig, weil die politische Knechtschaft nicht nur Luise, sondern alle Bürger betrifft, über deren dogmatische Moral wir nichts wissen.
  • Viertens ist die abschließende Stellungnahme nichts anderes als die Zusammenfassung des bisher bereits Geschriebenen
  • und fünftens ist die sprachliche Gestaltung bei einem derart zerstückelten Text (alle Anspielungen auf „Emilia Galotti“ wurden getilgt) zu untersuchen ein Unding.

Zur Lösungserwartung:

Wie berechtigt meine Kritik an der Kiki-Aufgabenstellung ist, zeigen die 16 Punkte, die für die inhaltliche Reproduktion dieses einfachen Textes verteilt werden.

Dass bei der Argumentation „Schlussfolgerungen“ (woraus?) gezogen würden, ist Quatsch.

Die ganze Aufgabe ist bestenfalls eine Grundkurs-Aufgabe und ist Beleg für die Kraft’sche Devise „Kein Kind zurücklassen“: Wer schon die Zulassung zum Abitur bekommt, soll auch den zugehörigen Berechtigungsschein fürs Studieren bekommen, wenn er nur ein bisschen schwätzen kann. Man muss sich schon ziemlich dämlich anstellen, wenn man in NRW durchs Abitur fallen will, zumindest wenn man den Lk Deutsch gebucht hat.

Grundkurs Deutsch – Zentralabitur NRW 2016

  1. Aufgabe: Analyse zweier Gedichte, Gedichtvergleich, Berücksichtigung des literaturgeschichtlichen Hintergrundes: Die Aufgabenstellung ist normal. Beide Gedichte sind schwach und nur deshalb ausgewählt, weil sie kaum irgendwo gelesen werden (negative Auswahl infolge der Prüfungslogik).

Zur Lösungserwartung

a) Zu Zech: Dämmerung

Einen Gegensatz zwischen den dämonisierten Industrieanlagen und den entindividualisierten Menschen kann ich nicht erkennen.

Die Korrespondenz zwischen der Form des Sonetts und der negativen Dynamik der Produktionsprozesse und des Schichtwechsels ist ein Phantasieprodukt, in sich schon nicht verständlich. Das Komma hinter „konnotierten“ ist ein Z-Fehler.

Bei der Deutung sind die ersten drei genannten Aspekte nur ein einziger, in verschiedenen Wendungen ausgedrückt. Einen natürlichen Tagesablauf gibt es nicht; und falls ja, entspricht das Schichtende am Abend durchaus dem „natürlichen“ Tagesablauf.

b) Zu Eichendorff: Abschied

Das bekanntere Gedicht „Abschied“ beginnt so: „O Täler weit, o Höhen…“

Dass das Gedicht einen Abschied darstelle, ist trotz des Titels eine verwegene Deutung: Wer verabschiedet sich denn wovon?

Bei der Auswertung der Gestaltungsmittel fehlt die Auswertung der Kadenzen: Das Sprechen und Hören gehört nicht zu den Stärken des traditionellen Deutschunterrichts, deshalb kriegen auch die Lösungserwarter kaum etwas von den Pausen mit.

Die offensichtliche Rahmung als Ausdruck der Aufforderung, sich ins Zur-Ruhe-Kommen einzufügen, zu verstehen sei, verstehe ich nicht – das ist in der Tat nur die abschließende Aufforderung.

Richtig wird die Ambivalenz festgestellt – dem widerspricht dann unter 7. beim Gedichtvergleich die „Darstellung einer harmonischen Landschaft“ (vgl. auch „Schauernd“, V. 9)!

Bei der Deutung (6) halte ich es für problematisch, einen Wunsch nach Harmonie mit der Natur erkennen zu wollen. Von einer Reflexion des eigenen Lebens kann keine Rede sein. Einkehr als „Abschied“ von der Welt ist reine Phantasie – hier wird literaturgeschichtliches Wissen an ein Gedicht herangetragen und hineingezwängt!

Beim Gedichtvergleich ist der letzte Aspekt (Einklang mit der Natur – Abkoppelung von den natürlichen Zyklen) auch etwas gewaltsam im Sinn der Aufgabenstellung „Gedichtvergleich“ konstruiert: Unterschiede, kommt herbei!

Vorstellung der „Ruhe im Tod“: hier genau so falsch wie oben.

„vermeintliche Schlichtheit“ des Eichendorff-Gedichtes: Nein, das ist schlicht, ein schwaches Abfallprodukt aus Eichendorffs Serienproduktion.

P.S. Das Zech-Gedicht wurde übrigens schon während der Arbeitszeit in meinem Blog angeklickt, 160mal bis 12.45 Uhr. Bis heute wurde die Seite 2815mal besucht, da sie die einzige (kurze) Analyse im Netz ist.

  1. Aufgabe: Analyse eines Romanauszugs; Einordnung in den Gesamttext (Bedeutung Menuchims am Anfang und Ende des Romans für die Familie); diese „in Beziehung setzen“ zu Kafkas Gregor Samsa (gleicher Aspekt: Bedeutung für die Familie); die unterschiedliche erzählerische Gestaltung der beiden Figuren berücksichtigen.

Die Aufgabenstellung ist inzwischen normal: ein bisschen Textanalyse von 36 Zeilen Romantext, der Rest ist reine Wiederholung des im Unterricht bereits Erarbeiteten – allenfalls der Vergleich der Bedeutung Menuchims und Gregors ist ein geringer intellektueller Aufwand: Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

Zur Lösungserwartung:

a) Zu Roth: Hiob

Nach der Darstellung des Inhalts (wahrlich nicht schwer!) geht es um die sprachlichen Mittel und ihre Bedeutung:

  • Auktoriale Erzählperspektive als Verdeutlichung des Fehlens menschlicher Anteilnahme??
  • Kontrastierende Beschreibungen (wessen??) zur Verdeutlichung von ambivalentem Verhalten??
  • Konstitution einer moralischen Ebene??

Auch die Vorausdeutung auf Verschiebung der bisherigen Hierarchie unter den Geschwistern: ist Phantasie!

b) Zur Bedeutung der Figuren für die Familie

Das ist i.W. Reproduktion. Beim Unterschied der Rollen der beiden kann ich keine „Gegenläufigkeit“ erkennen; denn nach Gregors Tod wird nicht die „vermeintliche Normalität“ bei Samsas erreicht, sondern eine wirkliche – „vermeintlich“ ist hier moralische Wertung, nicht realistische Beschreibung.

Unter 8 wird eine „reflektierte Schlussfolgerung“ angepriesen, in Wahrheit ein einfacher „Schluss“ des Aufsatzes; ein bisschen Moralin kann hier nicht schaden.

  1. Aufgabe: Analyse eines Sachtextes unter besonderer Berücksichtigung von…; Anwendung dieses Sachtextes auf den von Wurm erzwungenen Brief Luises („Kabale und Liebe“) und Ferdinands Reaktion darauf (IV,2) – ziemlich gewundene Aufgabenstellung: Vorgeschichte von IV,2; Inhalt und Bedeutung von IV,2; Würdigung der dramatischen Funktion des Briefs unter Berücksichtigung des Sachtextes. – Das ist meiner Meinung die anspruchsvollste Aufgabe der drei.

Zur Lösungserwartung

a) Zum Sachtext (Sabine Doering)

Die Thesen (Inhalt) sind unproblematisch; ich vermisse den Eingangssatz, dass falsche Lektüre Unglück nach sich ziehen kann.

Die Argumentationsstruktur ist problematisch beschrieben; die sog. hermeneutische Prämisse (was ist das?) ist bereits Begründung für Z. 1 f. bzw. Z. 1-3. Mit den Stichwörtern „Fokussierung“ und „abschließende Einordnung“ wird auf die Bestimmung der argumentativen Funktion eines Teils des Textes verzichtet – Z. 30 ff. ist aber auch logisch kaum befriedigend in den vorliegenden Gesamtauszug einzuordnen.

Punkt 5) der Lösungserwartung geht m.E. so nicht aus der Aufgabenstellung hervor: Dass die Erläuterung anhand von Schillers Dramen (statt textimmanent) zu erfolgen habe, steht nicht in der Aufgabe.

b) Zur weiterführenden Aufgabe

Die Vorgeschichte des Briefs: setzt gute Kenntnis von „Kabale und Liebe“ voraus. Dass der Inhalt des Briefs zu benennen ist (Punkt 3), steht nicht in der Aufgabenstellung.

Die inhaltliche Auswertung der Szene IV,2 ist einfach, ebenso die Beschreibung der Bedeutung des Briefs für den Fortgang des Geschehens.

Die Überprüfung des Doering-Textes anhand von IV,2 ist insofern problematisch, als der Brief Luises gar kein echter Brief Luises an Herrn Kalb, sondern v.a. ein Brief Wurms an Ferdinand ist; anhand der Kenntnis eines einzigen Dramas Schillers kann man Doerings Ausführungen nicht wirklich würdigen – die Lösungserwartungen sind ja auch ziemlich verschwurbelt. Was ist hier „gelingende“ Lektüre: die Täuschung Ferdinands oder seine Nichttäuschung aufgrund kritischer Lektüre?

Die theatertechnischen Vorteile, von denen Doering spricht, lassen sich hier aufzeigen; ob Schiller hier aufklärerisch wirken wollte, können Schüler nicht beurteilen. Das Missverhältnis von Verstand und Gefühl ist bei Ferdinand kein Problem speziell bei der Lektüre des Briefs in IV,2, sondern ein Problem seiner Lebensführung. Insofern wird Doerings These sowohl bestätigt wie nicht bestätigt. Das gilt erst recht, wenn man bedenkt, dass die Brief-Täuschung erst durch die Täuschung im Gespräch mit von Kalb (in IV,3) vollendet wird – der Brief ist also nur ein Vehikel in einem großen Prozess der Täuschung und Selbsttäuschung des überheblichen Ferdinand!

Fazit: Man müsste mehrere Dramen Schillers kennen, um Doerings Ausführungen wirklich würdigen zu können.

Abiturnoten 2000 – 2012

Es gibt bei der bpb eine Übersicht über die Entwicklung der Abiturnoten 2000 – 2012:

http://www.bpb.de/fsd/bildungsgrafik5/Abinoten_Laendervergleich.html

(und http://www.ksta.de/politik/diskussion-um-notendurchschnitt-und-bundesland-unterschiede-abitur-ist-laengst-nicht-gleich-abitur,15187246,30928804.html)

Dabei fallen Berlin, Brandenburg und NRW als die Länder auf, in denen es eine massive „Verbesserung“ (der Noten) gibt. Wer allerdings glaubt, der Verbesserung der Noten entspreche gleichermaßen eine Verbesserung der Schüler, dem ist nicht zu helfen. Die Verbesserung der Noten ergibt sich zumindest für NRW einmal aus der Veränderung der Aufgabenformate im Zentralabitur [die Aufgaben sind zumindest in NRW im Fach Deutsch stark vorstrukturiert, sodass die eigenständige Konzeption eines „Aufsatzes“ nicht mehr eingefordert wird], sodann aus einer Veränderung der Benotungspraxis – die lässt sich auch an den Universitäten feststellen, man vergleiche die Studienabschlüsse der Psychologen oder Biologen mit denen der Juristen oder der Maschinenbauer, vgl.

http://www.zeit.de/campus/2013/02/notenvergabe-hochschulen-ungerechtigkeit

http://www.faz.net/aktuell/beruf-chance/campus/noteninflation-einser-fuer-alle-12115313.html

http://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/2627-12.pdf

http://www.zeit.de/2012/48/Hochschule-Notenvergabe

http://www.sueddeutsche.de/bildung/gute-noten-an-hochschulen-warum-die-einser-inflation-nicht-ueberrascht-1.1526490

 

Zentralabitur Deutsch NRW 2015, Gk – 3. Thema

Grundkurs Deutsch, 3. Thema:

  1. a) Einen Auszug aus J. Trabant: Mehrsprachigkeit, die bildet (60 Zeilen), im Hinblick auf die Position des Verfassers [woraufhin denn sonst!?] analysieren; b) dabei auch Aufbau und rhetorische Gestaltung der Argumentation berücksichtigen.
  2. Zitat aus dem Text: „Hermeneutische Sprachkompetenz ist ein Bemühen um das Verstehen des Anderen und ein Anerkennen der Anderen in ihrer Andersheit.“
  • Diese Aussage erläutern
  • und an Beispielen veranschaulichen.
  • Sich mit der Frage auseinandersetzen, ob der Erwerb hermeneutischer Sprachkompetenz eine Zielvorstellung für das Erlernen von Fremdsprachen sein sollte.
  • Kritisch zu Trabants Behauptung Stellung nehmen, Bildung sei an das Erlernen einer dritten Sprache gebunden.

Kommentar:

Wenn man sorgfältig arbeiten soll, genügt die 1. Aufgabe; allenfalls die beiden ersten Teilaufgaben der 2. Aufgabe könnte man noch zulassen. Der Textauszug bleibt jedoch teilweise unverständlich, weil „die gesuchte Mehrsprachigkeit, die bildet“ (Z. 20 f.) offensichtlich zuvor von Trabant behandelt worden ist, aber nicht erklärt wird: eine klassische Schwäche der Abituraufgaben, in denen bei Textauszügen die Beschreibung des Kontextes fehlt – Trabants Erläuterung der „Mehrsprachigkeit, die bildet“ muss man jedoch zum Verständnis und zur Diskussion des Textes kennen.

Das vorliegende Zitat Trabants zeugt von sprachlicher Schlamperei: Eine Kompetenz ist kein Bemühen und kein Anerkennen, sondern eine Fähigkeit (kann zum Bemühen führen…). Im Zitat gibt es einen Z-Fehler: Der Schlusspunkt des Satzes gehört ins Zitat. – Die dritte Teilaufgabe der 2. Aufgabe regt zu einem sinnlosen Schwätzen an: als ob Schüler die Zielvorstelllungen des Erlernens von Fremdsprachen in 15 Minuten sinnvoll diskutieren könnten! Wieso man dann (4.) zu etwas kritisch Stellung nehmen soll, was man bereits erläutert und durch Beispiele veranschaulicht (also begründet) hat, weiß der Kuckuck – wieder eine Anleitung zum Schwafeln.

Die Konstruktion des 3. Themas ist misslungen; mangelhaft.

P.S.

Was in der Lösungserwartung zum Argumentationsgang steht, liegt unter dem Niveau meines früheren Unterrichts (Absatz 1-3); für Absatz 1 kommt man nicht ohne den Begriff der Unterscheidung aus, „Einführung“ ist ein hilfloses Allerweltswort. Abgesehen davon heißt es „Absatz“, nicht „Abschnitt“ (ein Abschnitt kann auch mehrere Absätze umfassen). In Absatz 3 liegt keine Problematisierung vor, sondern es wird gezeigt, wie sich das Prinzip der kommunikativen Kompetenz auswirkt. – Eine auffällige Verwendung der Pronomina „wir“ und „man“ kann ich nicht entdecken; nur „ich“ fällt auf.

Zentralabitur Deutsch NRW 2015, Gk – 2. Thema

Grundkurs Deutsch, 2. Thema:

  1. a) Die Szene I 5 aus Schillers „Kabale und Liebe“ analysieren, dabei auf Gesprächsverlauf, die Sprache und die Handlungsabsichten der Figuren eingehen. b) Die Funktion der Szene im Drama deuten.
  2. a) In einem Safranski-Zitat wird Sekretär Wurm als Verkörperung des Bösen bezeichnet, der Menschen zu lenken verstehe, weil er das Unfreie in den Personen kenne und wisse, wie diese funktionieren. Diese Sicht im Hinblick auf Wurms Umgang mit dem Präsidenten und mit Luise prüfen, b) abschließend dazu Stellung nehmen.

Kommentar:

Die 1. Aufgabe ist eine Standardaufgabe; da das Drama im Unterricht behandelt ist, könnte sie von vielen Schülern bereits bearbeitet worden sein, ein Unding – vgl. etwa https://norberto42.wordpress.com/2012/03/06/schiller-kabale-und-liebe-analyse-wichtiger-szenen/. Rein vom Schreibumfang her würde die 1. Aufgabe für drei Stunden reichen, wenn man sie ordentlich bearbeitet; ich kenne die Lösungserwartung nicht – sie kann nur auf eine Paraphrase hinauslaufen (42 von 72 Punkten: knapp 60%, also 105 Minuten von 3 Stunden). – Die Handlungsabsichten der Figuren, das ist ein psychologisches Konstrukt, welches selber nicht greifbar ist; greifbar sind die sprachlichen Handlungen der Figuren – diesen Begriff kennen die Aufgabenkonstrukteure aber nicht, obwohl es ihn seit 60 Jahren in der Forschung gibt (vermutlich kennen sie dagegen das Hildebrandslied). Ohne den Begriff des sprachlichen Handelns kann man heute keine adäquate Textanalyse betreiben.

Weil das Drama bereits bekannt ist, muss etwas Weiterführendes her: die 2. Aufgabe (wobei das Weiterführende nicht in der These selbst, sondern bloß in der Formulierung Safranskis liegt). Diese ist leicht zu bearbeiten (dass Safranski recht hat, könnte man an III 1 und III 6 zeigen). Die Leistung der Schüler besteht darin, sich an diese Szenen zu erinnern und ein paar Belege für Safranskis These zu finden. Wozu man abschließend noch einmal Stellung nehmen soll, ist mir schleierhaft – es ist bereits alles gesagt und mehr als genug zu schreiben.

Dass eine möglicherweise im Unterricht bereits untersuchte Szene Thema einer Abiturklausur ist, verdankt sich vermutlich dem Slogan von Frau Kraft, kein Kind zurückzulassen – in der gymnasialen Version: „Jeder soll Abitur machen!“ – warum auch nicht? In der übernächsten Legislaturperiode wird dann vermutlich beschlossen, jeder sollte promovieren: NRW könnte Musterdissertationen anbieten, bei denen man nur noch Namen und Geburtsdatum eintragen sowie die Formel unterschrieben muss, man habe die Unterschrift eigenhändig angefertigt; Analphabeten dürfen mit x x x unterschreiben.

P.S.

In der Lösungserwartung zur abschließenden Stellungnahme sind die Aspekte, mit denen Safranskis Sicht relativiert werden kann, gesucht (= an den Haaren herbeigezogen): Dass Wurm etwa eine bestimmte dramaturgische Funktion hat oder dass es im Hause Miller moralisch streng zugeht, spricht doch nicht gegen Safranksis Sicht!

Streng genommen müsste man bei Safranskis Sicht drei Aspekte unterscheiden:

  • dass Wurm das böse Prinzip verkörpert (darüber könnte man eine Doktorarbeit schreiben),
  • dass er andere Menschen instrumentell zu benutzen weiß,
  • dass diese Fähigkeit auf der Kenntnis des Unfreien in den Personen beruht.

Das ergäbe dann eine differenzierte Diskussion; wenn man jedoch wie die Lösungserwartung Safranskis Sicht pauschal als Einheit begreift, kann man sie kaum ablehnen. Man hat für die Lösungserwartung lediglich nach dem Schema pro/contra (vergeblich, aber „mit Erfolg“) relativierende Aspekte gesucht.

Zentralabitur Deutsch NRW 2015, Gk – 1. Thema

Grundkurs Deutsch, 1. Thema:

  1. Das Gedicht „Der Winter“ von A. Lichtenstein analysieren.
  2. a) Eichendorffs Gedicht „Winternacht“ analysieren; b) die beiden Gedichte im Hinblick auf die Gestaltung des Wintermotivs vergleichen; c) sie in Beziehung zu ihrem literaturgeschichtlichen Hintergrund setzen.

Kommentar:

Beide Gedichte sind weithin bekannt, den Gedichtvergleich gibt es bereits im Internet. Die Gestaltung des Wintermotivs ist gegensätzlich: bei Lichtenstein eine harte, tödliche Stadt-Natur-Landschaft, bei Eichendorff die trotz winterlicher Verlassenheit in Ahnungen des Wipfelrauschens erlebte Geborgenheit. Die Hintergründe sind Expressionismus/Romantik, deren Merkmale aus dem Unterricht bekannt sind.

Es wäre fair gewesen, zu Lichtenstein das Jahr 1912 als Entstehungsjahr anzugeben (statt 1962 als Jahr der vorliegenden Ausgabe). Rein schreibtechnisch kann man die zwei Gedichtanalysen plus Vergleich usw. kaum in drei Stunden bewältigen – das muss bei der Lösungserwartung berücksichtigt werden; allerdings sind beide Gedichte nicht schwer zu verstehen.

http://www.zeno.org/Literatur/M/Lichtenstein,+Alfred/Gedichte/Die+D%C3%A4mmerung/Der+Winter Lichtenstein: Der Winter (1912)

http://www.versalia.de/archiv/Lichtenstein/Der_Winter.2659.html (dito)

http://de.wikisource.org/wiki/Winternacht_%28Joseph_von_Eichendorff%29 Eichendorff: Winternacht

http://userpage.fu-berlin.de/mziesmer/media/material/Verschneit%20liegt%20rings%20die%20ganze%20Welt%20-%20Praxis%20Deutsch.pdf (dito, mit U-Entwurf)

http://www.digitale-schule-bayern.de/dsdaten/8/675.pdf (ähnlich)

http://9c-lvd.de.tl/Schule/thema-1-Epochenbezogene-Gedichtsanalyse,-Romantik.htm (dito, Schüleranalyse)

https://www.youtube.com/watch?v=SVskJcN7LqQ Vortrag: Fritz Stavenhagen

http://www.e-hausaufgaben.de/Hausaufgaben/D2490-Gedichtvergleich-Lichtenstein-Expressionismus-Eichendorff-Romantik.php Gedichtvergleich

http://www.abipur.de/referate/stat/653839546.html (dito)

Die Lösungserwartung zeigt, wie schwer man sich manchmal damit tut, 72 Punkte (wie bei den anderen Themen) zu verteilen – da kann man für eine einzige Beobachtung unter drei verschiedenen Aspekten Punkte bekommen…

Zentralabitur Deutsch NRW 2015, Lk – 3. Thema

Leistungskurs Deutsch, 3. Thema:

  1. Das Gedicht „Der Falke“ von A. von Arnim analysieren und vor dem Hintergrund der Epoche Romantik deuten.
  2. a) Dieses Gedicht mit Norbert Hummelts Gedicht „der turmfalk“ vergleichen; b) dabei besonders das Motiv des Falken berücksichtigen; c) Merkmale der Modernität von Hummelts Gedicht erläutern.

Kommentar:

Was in der 1. Aufgabe analysieren und deuten unterscheidet, weiß Gott allein; durch den Zusatz „vor dem Hintergrund der Epoche Romantik“ wird man aufgefordert, das Gedicht als romantisches zu begreifen und die entsprechenden Schlagworte anzubringen. – Ein lyriches Ich ist „hier“ anscheinend eingesperrt und sehnt sich nach seinem Liebchen, der Tochter des Grafen; es phantasiert sich (Konjunktiv II: V. 1-18, V. 21-24) in die Gestalt eines wilden Falken, der sein Liebchen aus der Gewalt der Eltern befreien könnte. Dagegen setzt es die Realität, wobei in der Metapher von den gelähmten Schwingen die Verbindung zwischen dem Ich und dem Falken hergestellt wird. Ein Bildbruch liegt in V. 27 f. vor (?, oder: die Bildrede ist beendet!) – helles Singen passt nicht mehr zum Falken, nur noch zum realen lyrischen Ich, und wieso das Liebchen sich (des Geliebten) schämt, bleibt unklar – hier dominiert das Volksliedhafte (tragische Trennung) über das romantische Bild des in die Freiheit entführenden Falken. Das Verständnis des Gedichts stellt keine hohen Ansprüche an den Leser.

Die Aufgabe 2 a) ist trivial: In Hummelts Gedicht bildet die Beschreibung einer Telefonsituation (gestörte Kommunikation mit einem Du) den Rahmen, welcher von der Beobachtung eines Falken gefüllt wird (V. 2-16, V. 18 f.). Diese Beobachtung wird von vielen Signalen der Unsicherheit qualifiziert: Der Falke hat eine Beute geschlagen, das Ich möchte ihn dazu fragen: „ist sie das, die vielzitierte feier der natur?“ Mit diesem ironischen Zitat von V. 5 eines Gedichtes von Hebbel („Herbstbild“) plus Anspielung in V. 16 distanziert sich das Ich von romantischen Naturvorstellungen. Das Zitat ist nicht ausgewiesen; die Schüler können es nicht kennen (einige Kollegen vermutlich auch nicht). Die beiden Falken-Motive haben eigentlich nichts miteinander zu tun; der Vergleich (2 b) ist an den Haaren herbeigezogen: eine typische Abituraufgabe, die sich auf das „Auftreten“ von Falken in zwei mittelprächtigen Gedichten stützt, zu denen es im Netz keine Analysen gibt, so dass auch keiner pfuschen kann [vermutlich ein Kriterium der Auswahl]. Die Aufgabe 2 c) ist drangeklatscht [könnte auch in 2 a) bereits erledigt sein!] und hat mit der Idee des Gedichtvergleichs nichts zu tun – dieses Gedicht in Prosa (nur in V. 9-11 gibt es einen Reim innerhalb der Verse) mit seinen Abkürzungen „u.“ und der Kleinschreibung ist formal leicht als ein modernes auszuweisen. Ob der Gr-Fehler in V. 14 („kann“ statt „könnte“ im irrealen Vergleich) auch Zeichen der Modernität ist, weiß ich nicht.

http://gedichte.xbib.de/Arnim_gedicht_Der+Falke.htm (Text)

http://www.zeno.org/Literatur/M/Arnim,+Ludwig+Achim+von/Gedichte/Des+Knaben+Wunderhorn/Band+1/Der+Falke (dito)

https://www.uni-due.de/lyriktheorie/texte/1806_arnim.html (A. von Arnim: Von den Volksliedern)

http://www.uni-heidelberg.de/presse/ruca/ruca08-1/02.html Des Knaben Wunderhorn

http://www.lyrikwelt.de/rezensionen/zeichenimschnee-r.htm (Besprechung N. Hummelt: Zeichen im Schnee)

http://de.wikipedia.org/wiki/Norbert_Hummelt (N. Hummelt)

http://mpg-trier.de/d7/read/hebbel_herbstbild.pdf (Hebbel: Herbstbild – Text mit Interpretation)

P.S. Ein Kollege fragte mich, was davon zu halten sei, dass in den Lösungserwartungen A. von Arnims Gedicht als Ballade bezeichnet werde, was er für falsch hält. Hier hat der Kollege gegen die Lösungserwartungen natürlich recht: Eine Ballade ist ein „strophisch gegliedertes Erzähllied, in dessen Mittelpunkt eine ungewöhnliche, konflikthafte fiktive Begebenheit steht“ (MLL).
Es ist nicht nur bedauerlich, sondern schon peinlich, dass in der Kommission nicht mehr Sachverstand oder Zivilcourage versammelt ist, um derart unsinnige Äußerungen zu verhindern!

P.S. Zur Lösungserwartung:

Wie gesagt, das Gedicht Achim von Arnims ist entgegen der Lösungserwartung keine Ballade. Die formale Analyse bleibt wie üblich auf rein formalem Niveau (und damit eigentlich sinn-los): Es wird nicht gefragt, wie ein derart geformtes Gedicht zu sprechen ist, welchen Rhythmus es hat.

Es ist ein simples Gedicht, so dass es schwer ist, auffällige literarische Mittel zu finden. Dass die Adjektive „teils in auffälliger Nachstellung“ stehen, ist euphemistisch: Das gilt nur für „breit“ (V. 12), und das steht so des Reimes wegen. Dass Adjektive Eigenschaften bezeichnen („zur Betonung der Attribute…“), ist eine Binsenweisheit der Erprobungsstufe.

„Und wollt“ würde ich Wiederholung nennen. Die simple Wiederholung „todt – todt“ (V. 22 – V. 24) wird nicht gewürdigt; sie ist auch arg simpel.

„Konkretisierung der Situation“ – das ist ein Witz; eine Situation ist immer konkret. Die wörtliche Rede macht nichts konkreter.

Ach ja, und dann die Verben wieder auf Grundschulniveau, sie vermitteln angeblich Dynamik (na, ein bisschen stimmt es in Verbindung mit dem Falken, zumindest teilweise: aufschwingen, schlagen, springen usw., aber nicht: niederlassen, herfürtreten, ziehen, tragen). Die Assonanz finde ich nur bei „springen – klingen“ (V. 7 – V. 9).

„Unklarheit der Selbstdeutung des lyrischen Ich als Vogel am Ende des Gedichts“ – nein, da ist nichts unklar; durch den Wechsel in den Indikativ ist klar, dass das Ich kein wilder Falke ist. „die Schwingen“ (V. 25) sind nachklingende Metapher des Falkenbildes, die Stimme des Ich kann nur hell singen (V. 27), keine wilden Schreie ausstoßen [und selbst als Falke spricht es noch, 3. Strophe: ein Bruch des Bildes].

Achim von Arnims Gedicht ist schwach, eine Art Liebeskitsch – das herauszufinden wäre eine des Abiturs würdige Aufgabe gewesen!

Beim Gedicht Norbert Hummelts haben die Mitglieder der Kommission selber nicht gesehen, dass dort ein Hebbel-Zitat vorliegt – das muss man einfach sehen und v.a. würdigen (bei „auffällige literarische Mittel“), sonst hat man das Gedicht an zentraler Stelle nicht verstanden.

Zentralabitur Deutsch NRW 2015, Lk – 1. Thema

Leistungskurs Deutsch, 1. Thema:

  1. Einen Auszug aus Tomasello: Die Ursprünge der menschlichen Kommunikation, S. 12 ff. (58 Zeilen) analysieren: a) dabei seine Aussagen zur gestischen Kommunikation und zur Entstehung der Sprachen erläutern sowie b) berücksichtigen, wie der Gedankengang aufgebaut ist und die Leser geführt werden.
  2. a) Die Grundgedanken von Herder: Abhandlung über den Ursprung der Sprache, darstellen; b) sie mit Tomasellos Überlegungen vergleichen; c) erläutern, inwiefern für bei der Ursprung der Sprache nicht im „Geschrei der Empfindung“ (Herder) liegt. (Als Hilfsmittel gibt es einen Auszug aus Herders Schrift von 74 Zeilen.)

Kommentar:

Die Aufgabe 1 a) läuft auf eine Paraphrase des vorliegenden Textes hinaus – der Text ist recht abstrakt, wird aber durch viele Worterläuterungen angereichert, die zum Verständnis nicht viel beitragen, da sie bloße Worterläuterungen sind.

Die Aufgabe 1 b) ist anspruchsvoller: Basis (Voraussetzung) der Argumentation ist Z. 1 f. (mit Begründung in Z. 3 ff.); Z. 11 f. (bzw. Z. 11-14) ist das entsprechende methodische Postulat, Z. 14-16 die zentrale These (mit Begründung in Z. 24 ff.), woran sich die zweite These in Z. 36 ff. anschließt. Z. 51 ff. stellt eine überflüssige abstrakte Zusammenfassung dar. – Die Leserführung erfolgt durch Rückgriff auf (angeblich) Offensichtliches (gewiß, Z. 1; offensichtlich, Z. 24), durch Begründungen und den Rekurs aufs Natürliche (Z. 1 und Z. 29 ff.), durch Berufung auf die Logik (somit, Z. 20; also, Z. 51) und auf die Tradition (Z. 26 f.). – Wie man die Lösungen der Aufgaben 1 a) und b) miteinander kombiniert, ist eine Frage für sich.

Die Aufgabe 2 a) ist eine bloße Wiederholung des im Unterricht hoffentlich Gelernten – der Herdertext hilft denen, die [wegen Unfähigkeit des Fachlehrers oder aus Faulheit] nicht viel gelernt haben. Der Vergleich in 2 b) ist anspruchsvoller als der im 2. Thema des Lk, da es hier wirklich Unterschiede gibt: Herder erklärt nichts (im Gegensatz zu Tomasello) und verzichtet auf die Kommunikation als Bedingung des Sprechens. Die Aufgabe 2 c) ist überflüssig, da hier nur noch einmal ausgewalzt wird, was spätestens in 2 b) bereits zusammengefasst worden ist.

Die Aufgaben des 1. Themas Lk sind anspruchsvoller als die des 2. Themas – es kommt aber darauf an, was in der Lösungserwartung steht und wofür es Punkte gibt.

P.S. Zur Lösungserwartung:

Die Erwartung an die Einleitung, die Darstellung der Position (wieso Grundposition?) Tomasellos sowie an die beiden Erläuterungen sind normal und in Ordnung.

Problematisch ist, was zum Aufbau des Gedankengangs erwartet wird:

  • Problematisch ist die Unterscheidung von natürlichen Gesten und konventionellen Gesten; das gibt der Text nicht her – der kennt nur den Unterschied von (nicht erläuterten) Affengesten (Z. 28 f.) und „natürlichen“ menschlichen Gesten
  • Irrelevant ist der Hinweis auf weitere Sprachforscher (Z. 26 f.), die ja nicht einmal namentlich genannt werden.
  • Es fehlt der Hinweis auf die Funktion der Beispiele (Z. 3 ff. in Relation zu Z. 1 f.), die Begründungsfunktion von Z. 24 ff. und Z. 43 ff. (Bedingung!).
  • Es fehlt der Hinweis auf die Bedeutung, welche der Rückgriff auf das Natürliche hat (Z. 1, Z. 29 ff.).

Problematisch ist auch, was zur Leserführung erwartet wird – wobei Leserführung ein nicht klar definierter Begriff mit nicht klar definierten Kriterien ist:

  • Was ist ein vortragsähnlicher Duktus? Vermutlich ist das Gleiche wie mit dem persönlichen Grundton (was ist das?) der Argumentation gemeint – die Verwendung der Pronomina „Sie“ und „wir“ wird hier arg strapaziert.
  • Auch halte ich für problematisch, was zur Adressatenorientierung gesagt wird: Die vier Erläuterungen der Fremdwörter im Textauszug widerlegen, dass interessierte Laien als Adressaten ernst genommen werden: Selbst Abiturienten traut man nicht zu, den Text ohne Erläuterungen zu verstehen!

Da ich Herders Abhandlung kaum kenne (und auch nicht verstehe, wieso Schüler solche überholten sprachtheoretischen Überlegungen kennen sollen), möchte ich zur Lösungserwartung für die 2. Aufgabe nichts sagen.