Was man von einem guten Schüler erwarten kann

Folgendes Blatt war mein Konzept bei einem Elternabend:

Was ich von einem guten Schüler erwarte: Prinzipien meiner Arbeit

1. Da ist ein Problem, das will ich lösen!

Beispiel: vor Weihnachten „Lebenslauf/Bewerbung“ geschrieben, Problem mit der Anordnung der Angaben im tabellarischen Lebenslauf exakt untereinander; eigentlich hatte nur Nadine die Lösung.

Ich habe die Entwürfe korrigiert und eine Berichtigung anheimgestellt, also nicht „aufgegeben“; am nächsten Tag hatte nur Martin seinen Entwurf überarbeitet, die anderen 18 nicht. Dabei hatten fast alle das Problem der exakten Anordnung gesehen, ebenso gesehen, dass es lösbar ist (Nadine), und ich hatte mehreren aufgeschrieben: „Frage mal Nadine!“

– Problem: Schule ist nicht der Ernstfall, aber die Gelegenheit zum folgenlosen Probieren.

2. Das prüfe ich selber nach!

Beispiel: 2. Klassenarbeit, Schreibweise „rethorisch“ als R-Fehler angestrichen. Ein Schüler kommt am nächsten Tag zu mir (immerhin!) und fragt: „Herr Tholen, wo ist denn da der Fehler?“

Besser wäre gewesen, er hätte selber nachgeschaut. Oder zu Deutsch: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Die Schule läuft darauf hinaus, dass die Schüler von mir und jedem einzelnen Lehrer unabhängig werden, also selbstständig werden. Das heißt natürlich: genau hinschauen, bereits beim Abschreiben der Aufgabenstellung, erst recht bei ihrem Verständnis (Beispiel: 2. Klassenarbeit!).

3. mit Methode arbeiten:

Das war das Prinzip, von dem die Gedichtlektüre geleitet sein sollte, als alles andere schiefging: Ich verstehe eine Äußerung, wenn ich bedenke, wer es sagt, zu wem er spricht, bei welcher Gelegenheit, in welchem Tonfall usw. Dieses Prinzip erlaubt selbstständiges und sachliches Arbeiten. Es ist der einzige Weg, der so etwas wie wissenschaftliches Arbeiten ermöglicht: unser Ziel!

Auch unsere Grammatik-Arbeit ist diesem Ziel zuzuordnen. Beispiel: Letzte Klassenarbeit, 2. Strophe:

Den Hauptsatz bilden eben die beiden letzten Verse: Was nun von Halm zu Halme wandelt,

Was nach den letzten Blumen greift,

Hat heimlich im Vorübergehen

Auch dein geliebtes Haupt gestreift.     → die Konjunktion „auch“

Oder eben die berühmte 5. Strophe: Erlosch auch hier ein Duft, ein Schimmer…

Das ist primär eine Frage! und keine Erinnerung!

Die Grammatik hat den Wert (und Sinn), dass man im Zweifelsfall sachlich, also methodisch selber prüfen kann, was denn nun wirklich in einer Äußerung gesagt (getan) wird. Oder jetzt: was wie erklärt wird.

4. Prinzip der Sachlichkeit: Ich vertrete meine Einsicht, wenn ich sie geprüft habe.

Beispiel: Bewerbung, Formulierung des ersten Satzes nach dem Betreff: „Hiermit bewerbe ich mich um eine Stelle als…“ Nach meinem Gefühl müsste es auch hier heißen: „… bewerbe ich mich um einen Ausbildungsplatz zum Heizungsmonteur.“ Entsprechend habe ich die Vorlagen korrigiert.

Tobias M. konnte mich am nächsten Tag darauf hinweisen, dass im von mir verteilten Muster aber die andere Formulierung steht; ich muss also auch die andere gelten lassen (Muster!), nicht ohne meine Bedenken gegen das Muster (zu oberflächlich von mir geprüft!) zu äußern.

– Wenn etwas geprüft ist, wird sachlich entschieden, auch gegen den Lehrer, auch gegen die Eltern, auch gegen das Kind – nein, nicht gegen jemand, sondern gegen eine Auffassung! Es gibt keinen Verlierer!

Meine Bitte an Sie:

1. Wir stellen uns den Problemen, die es gibt!

2. Lassen Sie „die Kinder“ selber Probleme lösen!

3. Ermuntern Sie Ihre Kinder zum sachlich begründeten Widerstand (auch gegen ihre Eltern)!

4. Lassen Sie sie langfristig regelmäßig arbeiten!

5. Glauben Sie mir bitte, dass ich den Schülern das zu vermitteln versuche, was nach meiner Einsicht (40 Jahre Textarbeit – Motto „präziser, bitte!“) wichtig und richtig ist, auch wenn andere Kollegen… Tn

Deutscher Aufsatz

Robert Gernhardt

Deutscher Aufsatz


«Geld macht nicht glücklich, doch Armut macht weise» –
Stimmt dieser Spruch? Wie ist er begründbar?

Lüge das Blaue vom Himmer herunter.
Betrachte es gut. Beschreibe die Farbe.


Ein Fussballer verdient im Monat
mehr als der Papst – Ist dies zu vertreten?

Nenne die Mannschaft, in welcher der Papst spielt.
Wäg ihre Stärken und Schwächen ab.


Pflicht oder Neigung – wem soll der Mensch folgen?
Geh von persönlichen Beispielen aus.

Fülle nicht mehr als zweihundert Seiten
und nicht unter zehn. Zehn Seiten sind Pflicht.

(P.S. Ich habe das Aufsatzthema jeweils kursiv geschrieben, anders als im Original, damit man es klarer erkennt. Diese kleine Satire greift wirklich den Deutschunterricht, den wir Alten erlitten haben, treffend an.)

Einige Prinzipien guten Unterrichtens (M. Wagenschein)

Konsequenzen (aus Wagenscheins Pädagogik) für die Schule:
1. Gründliches sich-Einlassen ist wichtiger als effizientes Vorwärtskommen.
Das bedingt, dass man sich beschränkt. In vielen neueren Lehrplänen ist die Freiheit in der Stoffauswahl gross und der Begriff „exemplarisch“ wird explizit erwähnt. Man muss also nur den Mut haben, etwas wegzulassen, und man muss sorgfältig auswählen, gründlich vorbereiten und kritisch reflektieren.
2. Fragen stellen, die zum Nachdenken anregen, ist wichtiger als Erklären.
Man muss Geduld haben, die Kinder selber denken zu lassen. Durch  die erweiterten Lehr- und Lernformen ist das vorgespurt, aber es geht nicht um eine formale methodische Arbeitsweise, sondern man muss sich der Grundhaltung bewusst sein, im Sinne von Maria Montessori: hilf mir, es selbst zu tun.
3. Das Formulieren in eigenen Worten – im Gespräch und im Heft – ist wichtiger als gute Lehrervorträge und ausgearbeitete Kopien.
Man muss sich die Zeit nehmen, die Kinder selber formulieren zu lassen. Ein schön gestaltetes Heft mit eigenen Texten und Zeichnungen ist etwas sehr Wertvolles. Es schafft eine emotionale Beziehung zum Thema. Selbständige Hefteinträge sind auch ein wichtiges Element im Lernprozess, sie sind die Phase des Verarbeitens. Peter Buck hat darauf hingewiesen, dass zum Einatmen (d.h. zum Aufnehmen von Neuem) auch das Ausatmen gehört (d.h. das Verarbeiten), in Bucks Worten: „dass die Aufnahme der Weltzusammenhänge einen schöpferischen, künstlerischen Ausdruck der Wiedergabe unabdingbar braucht“.
4. Sorgfältig ausgewählte Phänomene – spannend, rätselhaft, ästhetisch – sind wichtiger als CD-Roms und Videos.
Ich weise hier auf Wagenschein wichtigen Vortrag „Rettet die Phänomene“ hin. „Der unmittelbare Umgang mit den Phänomenen ist der Zugang zur Physik. … Apparaturen, Fachsprache, Mathematisierung, Modellvorstellungen sollten nicht eher auftreten, als bis sie von einem beunruhigenden, problematischen Phänomen gefordert werden.“

(Ueli Aeschlimann: Ist Martin Wagenscheins Pädagogik noch aktuell? http://martin-wagenschein.de/1/1-3/Referat%20Liestal03.pdf)

Es gibt natürlich noch mehr Prinzipien guten Unterrichtens, aber die stehen jetzt nicht zur Diskussion. Und neben Martin Wagenschein sollte man auch Horst Rumpf nicht vergessen.

Sachlich sein, Sachlichkeit – ihre Bedeutung

Das Adjektiv „sachlich“ (s) soll um 1820 aufgekommen sein, anfänglich noch in der Schreibweise „sächlich“; das Nomen „Sachlichkeit“ (S) ist 1828 erstmals belegt. Die Wörter hatten es schwer, ihren Weg in die Wörterbücher zu finden; im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm fehlt S.

Was bedeutet s? Die erste Erläuterung gibt es in Heinsius: Vollständiges Wörterbuch der Deutschen Sprache, Bd. III, 1830: „Sächlich, eine Sache angehend, betreffend, auch in dem Wesen einer Sache gegründet etc.“ Die besten Umschreibungen habe ich bei Wehrle-Eggers (Deutscher Wortschatz, 1961) und in Dudens Deutschem Universalwörterbuch (2011/2014) gefunden. Wehrle-Eggers nennen mehrere Sinnbereiche, in denen s gebraucht wird: a) Beim Denkvorgang können Schlussverfahren streng, sachlich, genau sein. b) In der Verstandesklarheit kann jemand nüchtern, sachlich, geradlinig denken. c) Im Gefühlsleben geht es um die Unerschütterlichkeit, da ist einer unbeteiligt, sachlich, nüchtern. d) Dann wird im Gefühlsleben auch noch die Einfachheit angenommen, wenn jemand einfach, schlicht, sachlich empfindet – diesen Punkt d halte ich für weniger gelungen. In Dudens Universalwörterbuch steht für s: 1. nur von der Sache, nicht von Gefühlen oder Vorurteilen bestimmt; nur auf die Sache, auf den infrage stehenden Sachzusammenhang bezogen; objektiv. 2. in der Sache begründet; von der Sache her. 3. ohne Verzierungen oder Schnörkel; durch Zweckgebundenheit gekennzeichnet. Diese 3. Bedeutung gehört in einen anderen Zusammenhang als die beiden ersten, welche menschliches Denken, Sprechen und Handeln charakterisieren; die 3. Bedeutung taucht häufig in der Bezeichnung der Stilrichtung „Neue Sachlichkeit“ auf, welche etwa ab 1925 in Kunst, Design und Architektur sich ausbreitete.

Warum soll ein Lehrer sachlich bleiben, warum sollen Schüler zur Sachlichkeit erzogen werden? S ist nach Max Scheler „die den Menschen vom Tier unterscheidende Fähigkeit, das Gegenständlichsein (Objektcharakter) von Gegenständen als solches zu erfassen, ohne die aus der Instinktgebundenheit der Tiere resultierende Einschränkung der Gegebenheitsweise von Welt“ (Metzler Lexikon Philosophie). Sachlichkeit ist demnach eine Stufe menschlicher Freiheit, die den – wenn man so will – triebhaften Egoismus überschreitet. Sie ermöglicht die freie wissenschaftliche Diskussion, das freie politische Gespräch der Bürger, in der Schule den freien Blick auf die Welt und in die Texte, das freie Gespräch zwischen Lehrenden und Lernenden.

Im Wiki Lexikon zur Gestalttheoretischen Psychotherapie wird Sachlichkeit der Ichhaftigkeit gegenübergestellt: https://www.oeagp.at/dokuwiki/doku.php?id=ichhaftigkeit_sachlichkeit.

Im Kompetenzatlas der FH Wien wird erläutert, wieso Sachlichkeit in Konflikt- und Stresssituationen wichtig ist: https://kompetenzatlas.fh-wien.ac.at/?page_id=634.

Ich selber habe vor Jahren ein kleines Loblied der Sachlichkeit gesungen: https://norberto68.wordpress.com/2011/05/29/sachlichkeit/.

Julia Breithausen hat in einem komplexen Rückgriff auf Heidegger und Adorno zu zeigen versucht, dass S pädagogisch bedeutsam ist, wobei von der Pädagogik her Theodor Ballauf als Hauptzeuge benannt ist: https://www.pedocs.de/volltexte/2017/14657/pdf/ZfPaed_2014_2_Breithausen_Bildung_und_Sachlichkeit.pdf.

Die Verpflichtung des Rechtsanwalts zur Sachlichkeit ist für uns jetzt nicht wichtig: https://www.rak-muenchen.de/rechtsanwaelte/berufsrecht/sachlichkeit-falschunterrichtung.html.

Zwei Plädoyers gegen Sachlichkeit habe ich gefunden; dabei merkt man, dass es beiden Autoren darum geht, dass man andere für seine eigenen Ziele einfängt: https://www.businessvillage.de/Etwas-weniger-Sachlichkeit-bitte/mag-1506.html und https://www.sozusagen.at/sachlichkeit-gibt-es-nicht/.

Regeln für Arbeit in Kl. 5/6

Es ist wichtig, dass man sich über die Regeln verständigt (hat), nach denen man arbeitet und zusammenarbeitet. Deshalb gab es in der ersten Stunde, die ich in einer Klasse 5 unterrichtet habe, folgendes Arbeitsblatt mit unseren Regeln:

Praktische Regeln für unsere Arbeit (Kl. 5/6) ___________

1. Packe deine Schultasche am Abend vor dem Schultag! Schau auf den Stundenplan und packe Bücher und Hefte nur für die Fächer ein, die auf dem Plan stehen! Spitze Bleistifte zu Hause an! Hast du einen Block Schreibpapier in der Tasche?

2. Alles, was aufgeschrieben wird, hat eine Überschrift und ein Datum [dafür ist der Strich oben rechts vorgesehen]. Lasse vor der Überschrift eine Zeile frei! Schreibe stets die Aufgabenstellung mit auf (zumindest in der Form: ‚Hausaufgabe: S. 12, Aufg. 4‘)! Hausaufgaben werden in ganzen Sätzen (als Text) geschrieben, nicht in Stichwörtern – es sei denn, das würde ausnahmsweise ausdrücklich erlaubt.

3. Schreibe nicht mit einem Kugelschreiber, sondern mit dem Füller, einem Bleistift oder Liner!

4. Gekillert wird höchstens ein einzelner Buchstabe; überflüssige Wörter werden durchgestrichen (etwa so: überflüssig), einzelne ausgelassene Wörter mit /(s. Korrekturzeichen im Duden!) nachgetragen: Das Auslassungszeichen steht im Text und auf dem Rand; das Wort wird mit dem Auslassungszeichen auf dem Rand oder unter dem Text ergänzt. Mehrere Ergänzungen unterscheidet man durch ihren Index (1, 2, 3 …).

5. Wenn du etwas nicht verstehst, frage bitte den Lehrer! Jeder Lehrer erklärt etwas zweimal, Schwieriges auch dreimal.

6. Wenn du ermahnt wirst, entschuldige dich bzw. lenke ein! Durch eine Ermahnung wird nicht dir „die Schuld“ zugewiesen, sondern um Aufmerksamkeit gebeten. Durch deine Entschuldigung vermeiden wir die sinnlose Diskussion, „wer angefangen hat“ usw.

7. Packe am Ende einer Stunde Buch, Heft und Stifte weg!

8. Gehe in der großen Pause zum Klo, auch wenn du nicht „musst“! Sonst fällt dir garantiert eine halbe Stunde später ein, dass du dringend „musst“.

9. Hausaufgaben sollst du selbst erledigen, nicht die Mutter! Wenn du etwas nicht gekonnt hast, sage es in der nächsten Stunde dem Lehrer!

10. Du sollst in Kl. 5/6 im Durchschnitt höchstens 90 Minuten Hausaufgaben pro Tag machen. Manchmal empfiehlt es sich, schon vorzuarbeiten (etwa von Mittwoch auf Freitag), damit dann Donnerstag weniger zu erledigen ist.

** Dies alles gilt für Deutsch – frage die anderen Lehrer, ob sie sich diesen Regeln anschließen oder andere bevorzugen.

** Du solltest auch das Problem des Lehrerwechsels sehen. Du kannst von mir alles erwarten, nur eines nicht: dass ich wie der alte Lehrer bin. Versuche bei einem neuen Lehrer das zu lernen, was du gerade bei ihm lernen kannst!

Das ist das Arbeitsblatt, das der Arbeit in meiner letzten Kl. 5 zugrunde lag. Die Regeln haben sich bewährt – ich empfehle allen Kollegen (generisches Maskulinum), sie zu übernehmen oder bei Bedarf zu modifizieren. Dass die Regeln explizit bekannt waren (auch den Eltern!) und alle Beteiligten binden, hat uns geholfen. – Was noch fehlt, ist die Frage, ob man im Unterricht (essen und) trinken darf; das gab es bei mir nicht, vielleicht sehen die jungen Kollegen das aber anders.

Es versteht sich übrigens von selbst, dass auch der Lehrer sich entschuldigen kann – und dass geklärt wird, in welchen Phasen des Unterrichts Fehler zu machen hilfreich sein kann (und vielleicht sogar belohnt wird: siehe den Beitrag „Ein schöner Fehler“!).

Zum (Deutsch)Unterricht

aus den Xenien Goethes und Schillers:

Die Sicherheit

Nur das feurige Roß, das mutige, stürzt auf der Rennbahn,
Mit bedächtigem Paß schreitet der Esel daher.

Das Naturgesetz

So wars immer, mein Freund, und so wirds bleiben. Die Ohnmacht
Hat die Regel für sich, aber die Kraft den Erfolg.

Delikatesse im Tadel

Was heißt zärtlicher Tadel? Der deine Schwäche verschonet?
Nein, der deinen Begriff von dem Vollkommenen stärkt.

Bedeutung

»Was bedeutet dein Werk?« so fragt ihr den Bildner des Schönen.
Frager, ihr habt nur die Magd, niemals die Göttin gesehn.

Das gewöhnliche Schicksal

Hast du an liebender Brust das Kind der Empfindung gepfleget,
Einen Wechselbalg nur gibt dir der Leser zurück.

Produktiv schreiben in der Sek. I – erprobte Beispiele

Ich habe in Kl. 5-10 des Gymnasiums regelmäßig Unterrichtsreihen durchgeführt, in denen die Schüler produktiv schreiben sollten – wenn man so will auch: kreativ, obwohl sie sich im Schreiben an Schemata anlehnen konnten. Alle Reihen endeten in einer Klassenarbeit, deren beste Ergebnisse man in einem Reader veröffentlichen kann. Ich gebe eine kurze Übersicht über die Abfolge der Aufgaben:

Klasse 5: einen Märchenanfang ausgestalten (weitererzählen), siehe https://norberto68.wordpress.com/2011/02/21/marchenanfange-fortsetzen-marchen-schreiben-mit-beispiel/; der vorgegebene Text reichte bis zur ersten Aufgabe, die der „Held“ zu bewältigen hat.

Klasse 6: Aus einer anderen Perspektive erzählen; in einem Übungsdiktat ist festgehalten, was dabei zu beachten ist:

Aus einer anderen Perspektive erzählen
1 Wir leben als Menschen nicht nur neben anderen, sondern auch mit ihnen. Wir können uns in ihre Lage versetzen und die Welt mit ihren Augen sehen; wir können ihren Standpunkt einnehmen.
2 Deshalb können wir auch Erzählungen so umformen, dass wir die Perspektive verändern, in der die Ereignisse gesehen werden. Meistens verändern wir sie so, dass der Standpunkt des unbeteiligten Erzählers aufgegeben wird.
3 Stattdessen nehmen wir den Standpunkt einer am Geschehen beteiligten Person ein. Wir müssen uns dann etwa fragen, wie der Bauer den Betrug erlebt; wir können uns das leicht vorstellen, weil wir solche Vorfälle kennen.
4 Der Bauer ist klüger als seine Frau und merkt sogleich, dass diese vom Studenten betrogen worden ist; er schimpft sie aus und will das ergaunerte Gut dem frechen Studenten wieder abnehmen.
5 Dabei fällt er selber auf den listigen Betrüger herein, den er für einen Arbeiter gehalten hat; er erkennt auch dessen zweiten Betrug, gesteht aber vor seiner Frau nicht ein, dass er selber vom Studenten ausgetrickst worden ist.
6 Wir können uns leicht in die Situation eines Menschen versetzen, der nicht dumm ist, aber von einem klügeren hereingelegt wird. Was erfährt und erlebt der Bauer? Wie erlebt er das alles? Das können wir aus seiner Sicht erzählen.
[zum Schwank: Von einem armen Studenten, der aus dem Paradies kam]
7 Der vorgegebene Text muss gekürzt werden, wenn der Ich-Erzähler etwas nicht weiß oder bemerkt; wenn er aber etwas Wichtiges, Bedrohliches oder Aufregendes erlebt, kann der Text auch erweitert oder gedehnt werden.
8 Was die erzählende Person selber sagt, fühlt, denkt und erlebt, wird in der 1. Person formuliert: „ich“ und „wir“ sind die Personalpronomen der 1. Person; die Pronomen „mein“ und „unser“ zeigen den Besitz an.
9 Von Bedeutung ist, wem und bei welcher Gelegenheit der Bauer die Geschichte erzählt. Einem guten Freund wird er seine Dummheit vielleicht eingestehen, vor anderen sie wohl eher entschuldigen: Wie schlecht doch heutzutage die Studenten sind!
10 Irgendwann, nicht unbedingt zu Beginn muss angedeutet werden, wann das Geschehen sich ereignet hat. Wenn man bedenkt, wem der Bauer seine Geschichte bei welcher Gelegenheit erzählt, wird man leicht den Anfang finden.

Hierzu eignen sich vor allem Schwänke oder Hebels Kalendergeschichten; so kann Hebels Erzählung „Der kluge Richter“ aus der Perspektive des Begünstigten erzählt werden: „Wie ein kluger Richter meinen guten Ruf gerettet hat.“ Man kann/sollte auch die Erzählsituation vorgeben: Ein Mann erzählt in geselliger Runde: „Wie ein kluger Richter…“ Oder zu „Der geheilte Patient“: Der Opa erwählt seinen Enkelkindern: „Wie ein kluger Arzt mich vor langer Zeit von meinen Macken befreit hat.“ Man muss dabei die Perspektive des Opas wie auch die Erwartungen und Kenntnisse (Perspektive) der Kinder berücksichtigen. Eine große Aufgabe!

Ebenfalls in Klasse 6 vielleicht auch: eine Erzählung in einen Bericht umformen. Schön und ergreifend war die Lektüre von O. F. Langs Roman „Meine Spur löscht der Fluß“ – danach konnte ein normales Ereignis in der Perspektive und Sprache eines frisch in die „Zivilisation“ verschlagenen „Indianers“ erzählt werden.

Klasse 7: Im Anschluss an Kästners Gedicht „Wär‘ ich ein Baum“ haben wir versucht, die Menschenwelt mit den Augen eines Tiers oder eines Gegenstandes („Wenn ich ein Buch wäre“, „Wenn ich eine Uhr wäre“ …) zu beschreiben; sehr anspruchsvoll, vgl. https://norberto68.wordpress.com/2011/02/21/phantasie-war-ich-ein-baum-kastner/ (vgl. auch das Stichwort Nature Writing).

Klasse 8 (- 10): Nach der Analyse einiger Kurzgeschichten kann man den vorgegebenen Anfang einer Kurzgeschichte zu Ende schreiben lassen, vgl. https://norberto68.wordpress.com/2011/02/21/anfange-von-kurzgeschichten-fortsetzen/; Vorsicht: die Schüler neigen zu happy-end-Schlüssen!

Kl. 8: Im Zusammenhang mit einer analytischen Reihe über Formen des Bewertens habe ich gern eine Figur in einem vorgegebenen Text umwerten lassen, also etwa aus einer in einem Zeitungsartikel verrissenen Sängerin einen großen Star oder aus einem tollen Offizier (Landserheft) einen miesen Typen machen lassen. Die Anleitung zur analytischen Arbeit finden Sie unter „Aufsatzunterricht“, dort C: Etwas bewerten, darin „Kriterien und Methoden des Bewertens“ und „aufwerten – abwerten: sprachliche Mittel“.

Klasse 9: Satiren schreiben, das war eine meiner Lieblingsreihen, mit wunderbaren Ergebnissen, s. https://norberto68.wordpress.com/2011/02/21/satiren-schreiben-mit-beispielen/ (vgl. auch noch https://norberto68.wordpress.com/2013/09/15/satire-beispiel-worterbuch-des-fmg/).

Klasse 10: eine Typisierung verfassen; auch diese Reihe führte zu schönen Ergebnissen, vgl. die Darstellung in https://norberto68.wordpress.com/2011/02/21/typisierung-mit-beispielen/. Als Leser der Schülerarbeiten erfreut man sich an der kritischen Sicht seiner Zöglinge – alle Reihen in Kl. 7-10 haben ja einen kritischen Touch, und bereits die Erzählung in der „Indianersprache“ in Klasse 6 arbeitet mit der Technik der Verfremdung.

Also, liebe Kolleginnen und Kollegen, nur Mut! Ich habe die besten Erfahrungen mit diesen Reihen gemacht.

Grundproblem der Didaktik

Man sieht (…), wie gern die Menschen ihren Zweck nur auf eigene Weise erreichen möchten, wie viel Not man hat, ihnen begreiflich zu machen, was sich eigentlich von selbst versteht, und wie schwer es ist, denjenigen, der etwas zu leisten wünscht, zur Erkenntnis der ersten Bedingungen zu bringen, unter denen sein Vorhaben allein möglich wird.

(Der Erzähler in „Wilhelm Meisters Lehrjahre“ V 8, siehe http://www.zeno.org/Literatur/M/Goethe,+Johann+Wolfgang/Romane/Wilhelm+Meisters+Lehrjahre/F%C3%BCnftes+Buch/Achtes+Kapitel !)

„Eulenäugig“ und andere Fehler

Ich habe vor ein paar Tagen angefangen, die Odyssee zu lesen, und zwar in der Übersetzung von Robert Hampe. Dabei ist mir sogleich aufgefallen, dass Athene „die Göttin mit strahlenden Augen“ ist. Das erinnert mich an unsere hilflose wörtliche Übersetzung von glaukopis: „eulenäugig“. Wie kann eine Göttin mit Eulenaugen schön sein, haben wir vor 60 Jahren gedacht, vermutlich aber nicht zu fragen gewagt – die Übersetzung war ja „richtig“.

Nein, sie war nicht richtig, wie ich seit ein paar Tagen weiß: Mit „eulenäugig“ sind vermutlich große Augen gemeint, und große Augen machen Frauen und Mädchen schön. Das hätte unser Griechischlehrer als Mann wissen können, vielleicht wusste er es auch; aber er hat es uns nicht erklärt, vielleicht schickte sich das damals angeblich nicht, wer weiß, oder er hat sich einfach nichts angesichts einer „richtigen“ Übersetzung gedacht. [Der Fairness halber sei gesagt, dass nach Gemolls Schul- und Handwörterbuch (9. Aufl.) glaukopis eher von glaukos: glanz-, strahlenäugig abzuleiten ist; dem folgt auch Hampes Übersetzung.]

Dieser Fehler unseres Griechischlehrers veranlasst mich, weitere Fehler unserer Lehrer am Gymnasium zu benennen – die menschlichen Flegeleien und Unverschämtheiten, die sie sich herausgenommen haben, sollen hier nicht ausgebreitet werden, sondern methodische Fehler, welche auch heute Kollegen unterlaufen könnten.

Dazu fällt mir unser Lateinlehrer Karl Möller ein. „Gallia est omnis divisa in partes tres…“, so beginnt Caesars De bello gallico. Wie übersetzt man „omnis“ am besten? Wir haben alles probiert, „das ganze Gallien“, „Gallien insgesamt“, alles passte ihm nicht, bis er nach einer Viertelstunde Raten uns die „richtige“ Übersetzung vorsagte: „Gallien in seiner Gesamtheit“. Diese Wendung lag außerhalb unseres Sprachgebrauchs, und sie ist auch nicht besser als andere Übersetzungen; aber Herr Möller kannte sie (irgendwoher) und fand sie die einzig angemessene, und deshalb hatten wir sie auch zu finden.

Noch viel schlimmer war, dass er, als er uns in Klasse 8 übernahm, uns auftrug, eine feste Kladde zu besorgen, die wir immer bei uns zu führen hatten und in die er bei Bedarf einzelne Abschnitte aus der lateinischen Grammatik diktierte. Dabei besaßen wir alle eine in der Schule als Lehrbuch eingeführte Grammatik; aber darin stehe nur „zeilenfüllender Mist“, befand Herr Möller, deshalb diktierte er uns die „richtige“ Grammatik, wie es ihm im Augenblick einfiel. Selbst wenn unsere Grammatik nicht gut gewesen wäre, hätte er das mit uns im Einzelfall erarbeiten können, ja müssen; jedenfalls hätte er uns beibringen sollen, wie man mit einer Grammatik arbeitet – das habe ich in neun Jahren am Kreisgymnasium Heinsberg nicht gelernt; ich habe es aber meinen Schülern am FMG beizubringen versucht, indem wir den Schülerduden Grammatik als Lehrbuch in Kl. 5-7 benutzt haben (vergeblich habe ich versucht, meine Deutschkollegen für diese Idee zu begeistern). Und wenn wir dort einen Fehler oder eine Unsauberkeit gefunden haben, wurde das Problem in der Klasse besprochen; dann haben wir (resp. ich) an die Redaktion des Schülerdudens geschrieben, und deren Antwort wurde in der Klasse ans Schwarze Brett geheftet.

Wenn mir noch weitere Klopse einfallen…

Bereits vor über 100 Jahren: das Lernen lernen

„Was man in der Schule lernt, ist doch natürlich nur wenig, nur ein geringer Teil dessen, was man für eine fruchtbare Wirksamkeit im leben zu lernen hat.Es kommt daher besonders darauf an, daß das in der Schule Gelehrte, was es auch sein mag, in einer Weise glehrt werde, die bei dem lernenden Schüler die Lust des Lernens weckt und anregt und ihn in den Stand setzt, die Mittel des selbständigen Weiterlernens, soweit sie ihm erreichbar sind, leicht zu finden und mit Geschick und Erfolg zu benutzen, mit einem Wort, daß der Schüler in der Schule das Lernen lernt.“

Dieser kleine Auszug aus den Lebenserinnerungen von Carl Schurz, 1. Band, 1906, S. 53 f. (https://archive.org/details/lebenserinnerung11schu/page/52) zeigt, wie „alt“ manches ist, das uns als neu verkauft wurde. – Ich empfehle, die ganze Passage S. 53 – 59 und S. 67 ff. zu lesen, vielleicht sogar das ganze dritte Kapitel (S. 52 ff.)