„kam herbei wie eine Welle“ – ein Vergleich bei Goethe

Und was sich, an jener Stelle,

Nun mit deinem Namen nennt,

Kam herbei, wie eine Welle,

Und so eilt‘s zum Element.

Wie können wir dieses Bild Goethes verstehen? Ist es überhaupt ein Bild, also etwas Unveränderliches, und nicht eher ein kleiner Bericht: Es kam – es eilt? Es handelt sich um die zweite Hälfte der vierten Strophe von „Dauer im Wechsel“ (1803); zu ihrem Verständnis muss man zunächst kurz den Kontext beschreiben. Der Sprecher hat von Beginn an auf verschiedene Formen des Wechsels hingewiesen, dass sich nämlich die Gegebenheiten der Welt dauernd ändern, dass nichts von Bestand ist: Blütenblätter fallen ab, Laub verschwindet, Früchte bleiben nicht hängen, Tal und Fluss bleiben nicht bestehen. Sein zweiter Blick gilt dem Menschen: „Du nun selbst!“ – dein Blick ändert sich, die küssende Lippe und der kletternde Fuß vergehen, ebenso deine Hand – „Alles ist ein andres nun“; „Alles“, das sind die Teile deines Körpers, das bist du selbst im ganzen. Und darauf folgen dann die vier genannten Verse: „Und was sich, an jener Stelle…“.

Das Subjekt der Aussage ist das, „was sich, an jener Stelle, [n]un mit deinem Namen nennt“. Hieran fällt auf, dass nicht vom Du, sondern von einem Es die Rede ist; diesem Es ist ein Name zugeordnet, dein Name. Er wird ihm „nun“ beigelegt, ist aber der Name des früheren Du, das doch vergangen ist. Was gegenwärtig mit diesem Namen bezeichnet wird, befindet sich „an jener Stelle“, die nun den alten Namen trägt. Was kann von diesem Es gesagt werden? Es „kam herbei, wie eine Welle“. Dieser Vergleich erfasst Bestand und unmerkliche Veränderung in einem: Die Welle ist als solche beständig und als solche weiterziehend, und zugleich als Welle nur eine durch eine Energie erzeugte Bewegung des Wassers, die man sieht, die aber nicht selbständig und substanziell ist, auch wenn sie „die Welle“ heißt: Bewegung im Wasser. Und so eilt Es „zum Element“, zum großen Wasser des Ozeans, wo Es im Element verschwindet. Das ist es, was sich mit deinem Namen nennt.

Was zeigt der Vergleich des sich verändernden Menschen mit der Welle? Er dient sicher nicht – wie Schüler in ihrer Hilflosigkeit zu sagen pflegen – dazu, „dass man sich etwas besser vorstellen kann“; die Vorstellungen vom Menschen, der sich ändert, waren zuvor klar genug. Nein, durch den Vergleich lassen sich zwei widersprüchliche Aussagen zusammen denken: Du änderst dich fortwährend, und doch wird dir mit dem gleichen Namen Identität zuerkannt. Das versteht man, wenn man sieht, wie die Welle kommt und weiterzieht, sagt der Sprecher.

Wie Goethe in der fünften Strophe „Dauer im Wechsel“ sichern will, brauchen wir jetzt nicht zu berücksichtigen.

Gedichtvergleich: zwei Fassungen eines Gedichts

Die Idee habe ich von Hilke Schildt: Aus der poetischen Werkstatt. Gedichte in verschiedenen Fassungen, Textheft und Ergänzungsheft 1971 (gibt es noch antiquarisch): Wenn man zwei oder mehrere Fassungen des gleichen Gedichts vergleicht, kann man sehen, wie der Dichter mit der Idee gerungen, das heißt an der Form gefeilt hat, was in der Regel eine Verbesserung, beim alternden Goethe oft nur ein Glättung bedeutet. Aus Schildts Heft und aus eigenen Forschungen kann ich folgende Beispiele nennen:

Goethe: Mayfest (1771/75) https://de.wikisource.org/wiki/Mayfest_(Johann_Wolfgang_von_Goethe) → Mailied https://www.staff.uni-mainz.de/pommeren/Gedichte/mailied.html

Goethe: Mit einem gemalten Band (zwei Fassungen, in Goethe: Hambuger Ausgabe Bd. 1, S. 25-27)

Goethe: Der König von Thule (zwei Fassungen, HA 1, S. 79 f.)

Goethe: An den Mond (zwei Fassungen, HA 1, S. 128-130)

Goethe: Bundeslied (zwei Fassungen, HA 1, S. 93-95)

Goethe: Auf dem See (1775/89) https://deutschunterlagen.files.wordpress.com/2014/12/goethe-aufm-zucc88richersee-materialien.pdf (beide Fassungen)

Goethe: Im Vorübergehn (vor 1813) https://deutsche-poesie.com/goethe/im-vorubergehn/ → Goethe: Gefunden (1813) https://www.staff.uni-mainz.de/pommeren/Gedichte/gefunden.html

Goethe: Es schlug mein Herz (1771) → Willkommen und Abschied (1789) http://www.gedichte.co/goe_jw39.html (beide Fassungen)

C. F. Meyer: Rom: Springquell (1860) → Der schöne Brunnen (1864) → Der Brunnen (1865) → Der römische Brunnen (1870) → Der römische Brunnen (1882) https://deutschunterlagen.files.wordpress.com/2014/12/meyer-rocc88mischer-brunnen-6-fassungen.pdf (alle Fassungen)

C. F. Meyer: Der Erntewagen (1860) → Auf Goldgrund (1882/83) https://norberto42.wordpress.com/2012/01/29/c-f-meyer-auf-goldgrund-geschichte-des-textes-analyse/ (alle vier Fassungen)

C. F. Meyer: Abendbild (1870) → Zwei Segel (1882) https://norberto42.wordpress.com/2012/01/29/c-f-meyer-zwei-segel-geschichte-des-textes-analyse/, dazu: Eindoppeltes Leben (1875) https://books.google.de/books?id=JYldDwAAQBAJ&pg=PA11&lpg=PA11&dq=C.+F.+Meyer+%22ein+doppeltes+leben,+zwei+segel%22&source=bl&ots=o92K7jARBu&sig=ACfU3U3EEILFMaNNDYjaNOCViZQec8uVdQ&hl=de&sa=X&ved=2ahUKEwiwpovv0qHwAhWKhf0HHf6-APEQ6AEwAHoECAIQAw#v=onepage&q=C.%20F.%20Meyer%20%22ein%20doppeltes%20leben%2C%20zwei%20segel%22&f=false

C. F. Meyer: Kommet wieder (1869?) https://gedichte.xbib.de/Meyer_gedicht_022.+Kommet+wieder%21.htm → Möwenflug (1881/83) https://www.mumag.de/gedichte/mey_cf14.html

H. Hesse: Knarren eines geknickten Astes (drei Fassungen) https://www.zum.de/Faecher/D/BW/gym/hesse/gedichte.htm

G. Trakl: Herbstseele (August/September 1913) https://www.textlog.de/19468.html (1. Fassung) https://www.textlog.de/17553.html (2. Fass.)

Andreas Thalmayr: Das Wasserzeichen der Poesie, 1985, hat S. 181 ff. drei Fassungen eines Gedichts von Clemens Brentano und von Günter Eich. – In Georg Trakl: Das dichterische Werk, dtv 6001, 1972, werden S. 196 ff. Doppelfassungen vieler Gedichte Trakls aufgeführt.

Herder: Es sah ein Knab ein Röslein stehn (v. 1773 – unklar, wie weit Goethe hier mitgearbeitet hat) https://www.volksliederarchiv.de/es-sah-ein-knab-ein-roeslein-stehn/ → Goethe: Sah ein Knab ein Röslein stehn (1771) https://www.lieder-archiv.de/sah_ein_knab_ein_roeslein_stehn-notenblatt_300360.html

Andere Gedichtformen, die sich zum Vergleich zweier Gedichte eignen, sind die Replik, die Parodie und das Plagiat (s. „Wasserzeichen der Poesie“). Allgemein bekannt und verbreitet ist der Vergleich themengleicher Gedichte. – Vgl. meinen alten Aufsatz https://norberto68.wordpress.com/2012/10/15/gedichtvergleich-mehrere-fassungen-verwandte-gedichte/!

Goethe: Über das Lesen

Was mein leichter Griffel entwirft, ist leicht zu verlöschen,
Und viel tiefer präget sich nicht der Eindruck der Lettern,
Die, so sagt man, der Ewigkeit trotzen. Freilich an viele
Spricht die gedruckte Kolumne; doch bald, wie jeder sein Antlitz,
Das er im Spiegel gesehen, vergißt, die behaglichen Züge,
So vergißt er das Wort, wenn auch von Erze gestempelt.
Reden schwanken so leicht herüber hinüber, wenn viele
Sprechen und jeder nur sich im eigenen Worte, sogar auch
Nur sich selbst im Worte vernimmt, das der andere sagte.
Mit den Büchern ist es nicht anders. Liest doch nur jeder
Aus dem Buch sich heraus, und ist er gewaltig, so liest er
In das Buch sich hinein, amalgamiert sich das Fremde.
Ganz vergebens strebst du daher, durch Schriften des Menschen
Schon entschiedenen Hang und seine Neigung zu wenden;
Aber bestärken kannst du ihn wohl in seiner Gesinnung
Oder, wär er noch neu, in dieses ihn tauchen und jenes.

Sag ich, wie ich es denke, so scheint durchaus mir, es bildet
Nur das Leben den Mann und wenig bedeuten die Worte.
Denn zwar hören wir gern, was unsre Meinung bestätigt,
Aber das Hören bestimmt nicht die Meinung; was uns zuwider
Wäre, glaubten wir wohl dem künstlichen Redner; doch eilet
Unser befreites Gemüt, gewohnte Bahnen zu suchen.
Sollen wir freudig horchen und willig gehorchen, so mußt du
Schmeicheln. Sprichst du zum Volke, zu Fürsten und Königen, allen
Magst du Geschichten erzählen, worin als wirklich erscheinet,
Was sie wünschen und was sie selber zu leben begehrten.

(Auszug aus der Epistel, die Goethe 1794 für die Horen geschrieben hat)

Parodieren, Parodie schreiben (mit Beispielen)

Man parodiert etwas, wenn einem bestimmte Inhalte in ihren spezifischen Ausformungen zum Hals heraus hängen. So wird durch genervten Kirchenbesucher im Bistum Aachen „Großer Gott, wir loben dich…“ umgeformt in „Großer Gott von Lobberich…“ [für Ortsunkundige: Lobberich ist ein Dorf am Niederrhein]. In unserer Familie haben wir ein Weihnachtslied umgeformt (weil ich das fromme Gedudel nicht mehr hören konnte):
„Die redlichen Hirten stehn kniend davor,
hoch oben pupst jubelnd der Engelein Chor.“
Das geht auch bei Schlagern prima: „Der Junge mit dem Hund von Monika…“, „Es hängt ein Büstenhalter an der Wand…“ (Parodie von „Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand“) bzw. „Es hängt ein Autoreifen an der Wand“.
So haben Eichendorff und Herwegh schon Goethes „Nachtgesang“ parodiert, so kann man Benn und Bloch wegen ihrer sprachlichen Eigenheiten leicht parodieren. Brecht hat mit „Großer Dankchoral“ das Te Deum parodiert, seine ganze „Hauspostille“ ist eine Parodie kirchlicher Formen und Riten.
Vor gut zehn Jahren stand in der ZEIT eine Parodie der Warnungen vor Drogensucht, in der berichtet wurde, wie eine Frau nach Waschmitteln süchtig wurde, und vor dieser Waschmittel-Sucht gewarnt wurde.

Weil es so schön ist, ein Beispiel, das ich in der Schule gelernt habe:

„Ich bin klein,
mein Herz ist rein,
ich schlaf allein –
muss das sein?“
(von Christina, die so ihre Oma aus Ratheim zitierte)

Idee: im Deutsch- oder Literaturunterricht Parodien schreiben

Beispiele einer Parodie der wikipedia:

http://www.stupidedia.org/stupi/Hauptseite

http://de.uncyclopedia.org/wiki/Hauptseite

http://kamelopedia.mormo.org/index.php/Kamelopedia:Hauptseite

(vgl. http://www.netzeitung.de/internet/917817.html)

Ich würde übrigens eine Parodie als Sonderform der Satire betrachten, wobei die Kritik durch die (überprägnante) Nachahmung bestimmter Merkmale der Form der kritisierten Vorlage (oft mit einer Trivialisierung oder „Verblödung“ des Inhalts verbunden) geübt wird.

Fortsetzung 2013 (weitere Beispiele, Theorie der Parodie):

http://www.fernuni-hagen.de/EUROL/termini/welcome.html?page=/EUROL/termini/6231.htm

Kästner: Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn? (-> Goethe: Mignon)

Kästner: Der Handstand auf der Loreley (-> Heine: Ich weiß nicht, was soll es bedeuten)

http://www.erlangerliste.de/parodie/lenore.html (große Sammlung)

http://de.wikisource.org/wiki/Parodien (Sammlung von Beispielen)

http://www.litipedia.de/artikel/parodie (Definition)

http://www.erlangerliste.de/vorlesung/parodieII2.html (Theorie)

(vgl. auch http://de.wikipedia.org/wiki/Kategorie:Parodie)

Noch ein schönes Beispiel:

Alexander Nitzberg: Der Bonbononkel aus Unterrath

Der Bonbononkel aus Unterrath,
er wohnte am Kaugummi-Automat,

Und war es am Spielplatz besonders toll,
stopft’ er sich beide Taschen voll.

Und kam auf Rollschuhn ein Junge daher,
rief er: Willst einen Gummibär?

Und kam ein Mädchen, er zwickt’ es am Po:
Na, Püppchen, willst einen Haribo?

So ging es an die zehn Jahre fast,
da kam der Onkel in den Knast.

Er ahnte es vorher, und als gute Tat
kaufte er den Kaugummi-Automat.

Und bald aus dem Mehrfamilienhaus
führten den Onkel sie hinaus.

Die Eltern riefen: Ab in den Knast!
Endlich haben sie ihn gefaßt.

Und die Kinder seufzten, das Herze schwer:
Wer gibt uns nun einen Gummibär?

So klagten die Kinder, das war nicht recht:
Sie kannten den alten Onkel schlecht.

Bei den Eltern freilich, da wird gespart:
Jeder Groschen geht für die Urlaubsfahrt.

So war der Onkel – schon vor der Haft –
voller Mißtraun gegen die Elternschaft.

Er wußte genau, was damals er tat,
als er kaufte den Kaugummi-Automat.

Er hat ihn nämlich so eingestellt,
daß er Kaugummis rausspuckt auch ohne Geld!

Und kommt auf Rollschuhn ein Junge daher,
knirscht das Zahnwerk: Willst einen Gummibär?

Und kommt ein Mädchen, knarrt es froh:
Na, Püppchen, willst einen Haribo?

So spendet noch immer der Automat
des Bonbononkels aus Unterrath.

Einführung in die Lyrik – Theorie für Schüler

Im Lauf der Jahre habe ich für verschiedene Altersstufen (und Themen) Einführung in die Lyrik unterrichtet. Dies sind die schriftlich fixierten Ergebnisse:

Gedichte – Übungsdiktat (Kl. 5)

1 Gedichte sind Texte, die sich deutlich davon unterscheiden, wie wir normalerweise sprechen. Man kann sie leicht auswendig lernen – vor allem deshalb, weil sie in einem gleichförmigen Takt abgefasst sind.
2 Ein Takt ist eine Gruppe von zwei oder drei Silben, von denen eine betont ist. Mehrere gleiche Takte ergeben einen Vers, der für sich in einer Zeile steht. Eine Strophe besteht aus mehreren Versen, ein Gedicht aus Strophen.
3 Das Gesetz des Taktes schreibt vor, welche Wörter der Dichter wählen kann. So werden „Garten, Apfel, Kinder“ auf der ersten Silbe von zweien betont, „Kamin, das Tor, Hanswurst“ aber auf der zweiten. Der Takt kann auch gestört sein.
4 Als wesentliches Merkmal des Gedichtes neben dem Takt gilt der Reim. Wenn Wörter gleich (oder ähnlich) klingen, reimen sie sich. Durch den Reim werden Wörter bzw. Verse zusätzlich vom Klang her miteinander verbunden.
5 Wenn Silben oder Wörter am Ende von Versen gleich klingen, spricht man vom Endreim; Reime innerhalb eines Verses nennt man Binnenreim. Ein Stabreim liegt vor, wenn Wörter mit dem gleichen Laut in der betonten Silbe beginnen.
6 Welchen Eindruck ein Gedicht macht, hängt auch davon ab, in welchem Tempo es gesprochen wird. Ein hohes Tempo kann Freude, aber auch Unruhe oder Angst des Sprechers anzeigen; wenn jemand ruhig nachdenkt, spricht er dagegen langsam.
7 Der Autor hat das Gedicht ausgedacht und aufgeschrieben; er hat sich eine Figur vorgestellt, der er das Gedicht als Äußerung in den Mund legt. So wird „Herbst auf der Schulbank“ von einem Schulkind gesprochen bzw. gedacht.
8 Wichtig ist auch die Frage, wie das Gedicht aufgebaut ist. In „Der Zauberer Korinthe“ wird zunächst der Zauberer vorgestellt; dann werden drei Beispiele seines Wirkens erzählt, zum Schluss die Hörer direkt angesprochen.
9 Wie ein Gedicht aufgebaut ist, kann man erst richtig ausdrücken, wenn man untersucht, was der Sprecher tut: Er kann Vergangenes erzählen, über ein Erlebnis nachdenken, seine Wünsche äußern und vieles mehr.
10 Es gibt auch Gedichte, deren Verse nicht vom Takt bestimmt sind, sondern von einer festen Anzahl von Hebungen (also betonten Silben) oder überhaupt von der Silbenzahl oder von gar nichts – das muss man im Einzelfall feststellen.

Bildhafte Sprache in Gedichten – Übungsdiktat (Kl. 6)
1 Wer dichtet, spielt mit der Sprache und freut sich, wenn es ihm gelingt, den Klang und die Betonung der Wörter auszunutzen. Oft sucht ein Dichter auch kunstvolle Wendungen und Vergleiche, um etwas eindrucksvoll zu sagen.
2 Wir wollen jetzt verschiedene Formen bildhaften Sprechens kennen lernen [kennenlernen]: den Vergleich, die Metapher, die Personifikation, das Bild. Wir können untersuchen, was mit diesen Formen im Einzelfall ausgedrückt oder angedeutet wird.
3 Wenn man etwas Unbekanntes vorstellt, kann man es mit etwas Bekanntem vergleichen. Oft soll ein Vergleich helfen, dass man sich etwas bildlich vorstellen kann. Wenn aber der Himmel „wie aus blauem Porzellan“ ist, wird er etwas Wunderbares.
4 Wenn man sagt, eine Lehrerin sei für die Klasse eine richtige Mutter, gebraucht man eine Metapher; man meint, sie sei für die Klasse wie eine Mutter. Man kann also die Metapher als verkürzten Vergleich betrachten.
5 Wenn durch eine Metapher ein Gegenstand oder ein Tier in den menschlichen Bereich gerückt wird, spricht man von einer Personifikation: „Das Auto ruht sich aus.“ Dadurch wird der Abstand zwischen Ding und Mensch oder Tier und Mensch verringert.
6 Wenn gesagt wird, dass das Auto sich ausruht, klingt das eher lustig. Ein Eselchen, das nachdenkt, ist uns dadurch vertraut und nahe. Wenn Menschen in die Nähe der Tiere gerückt werden, kann man sie aber auch als unmenschlich kritisieren.
7 Es kommt also darauf an, dass wir spüren, was die bildhafte Ausdrucksweise jeweils leistet. Dazu prüft man, wie die Wendung sich in normaler Sprache anhört: „Das Auto steht da.“ Man macht also eine Ersatzprobe.
8 Oder man sucht zum Vergleich ein anderes Bild: „Die Lehrerin ist ein Engel.“ Was besagt die eine Metapher im Unterschied zur anderen? Oft ist es hilfreich, das Gegenwort (Antonym) zu bestimmen: „Die Lehrerin ist herzlos.“
9 Bildhaft Gesagtes kann eine besondere Stimmung oder Bewertung enthalten; der Gegenstand oder das Geschehen können anschaulich vorgestellt werden. Dies zu bemerken und richtig auszudrücken ist die Leistung, die du erbringen sollst.
10 Man spricht von einem Bild, wenn bestimmte Sachverhalte anschaulich dargestellt werden. Bilder können etwas bloß andeuten, aber auch vollständig beschreiben. Der Begriff des Bildes unscharf; er ist ein Sammelbegriff für verschiedene Stilmittel.

Balladen – Übungsdiktat (Kl. 7)
1 Balladen sind eine bestimmte Art von Gedichten, die sich über Jahrhunderte aus französischen Tanzliedern entwickelt hat; heute versteht man darunter Gedichte, in denen in der Regel spannende Ereignisse erzählt werden.
2 Für Leser sind solche Gedichte interessant, wenn man nicht weiß, wie das erzählte Geschehen ausgeht; meistens gibt es nach der Gefährdung des Helden eine Rettung („Der Knabe im Moor“), aber es gibt auch seinen Untergang („Erlkönig“).
3 Als Helden bezeichnen wir hier die wichtigste Person, auch wenn sie keine Heldentaten vollbringt; mit einem Fachbegriff kann man sie den Protagonisten nennen. Wir kennen bisher zwei Erzählschemata: Gefahr und Rettung; Gefahr und Untergang.
4 Es gibt auch andere Erzählschemata, etwa das von „Verbrechen und Strafe“ („Die Vergeltung“); im ersten Teil der Ballade wird erzählt, wie der Passagier einen Kranken ermordet; im zweiten Teil wird angedeutet, wie er selber zur Vergeltung gehängt wird.
5 In dieser Ballade zweifelt der Passagier, als er mit den Seeräubern aufgehängt werden soll, an der Gerechtigkeit Gottes; denn er ist ja kein Seeräuber. Aber der Leser erkennt, dass Gott doch gerecht ist; denn ein Balken des Galgens ist der, von dem der Kranke fortgerissen worden war: „Batavia 510“.
6 Mit dieser Erzählung soll vermutlich dem Leser beispielhaft gezeigt werden, dass Gott gerecht ist, auch wenn man das nicht immer merkt; der Leser kann also durch den Erzähler in eine bestimmte Richtung gewiesen, sein Verständnis kann gelenkt werden.
7 Das ist auch bei der Ballade „Die Bürgschaft“ von Schiller der Fall. Da gibt es zunächst das Erzählschema von Behinderung und Gelingen: Viele Hindernisse türmen sich auf, aber der unerschrockene Freund kann sie mit Heldenmut und Glück überwinden.
8 Mit seiner freiwilligen Rückkehr vollbringt er aus Freundschaft eine unglaubliche Heldentat; er und sein Freund bekunden „Schmerzen und Freude“; auch die Leute, die das sehen, sind ergriffen; selbst der König ist gerührt, sein böses Herz „bezwungen“.
9 Der König spricht dann klar aus, was auch der Leser erkennen soll: „Und die Treue, sie ist doch kein leerer Wahn“; zwischen einer so deutlichen Äußerung und dem verhaltenen Hinweis in „Die Vergeltung“ kann der Versuch, den Leser zu lenken, pendeln.
10 Um die Spannung zu steigern, kann der Erzähler zeigen, wie die Zeit vergeht; so muss der Freund bis zum Abend in Syrakus ankommen – und die Stunden verstreichen, wobei sich immer wieder Hindernisse vor ihm auftun, während die Sonne sinkt.
11 Auch das personale Erzählen – man kann unmerklich am Erleben des Helden teilnehmen – dient wie die Wiedergabe wörtlicher Rede dazu, das Geschehen aus der Nähe miterleben zu lassen, also Spannung zu erzeugen; Vergleiche und Personifikationen können ebenfalls dazu genutzt werden. [Stilmittel]
12 Ebenso können die Elemente des erzählten Geschehens zur Spannung beitragen: alle Arten von Gefahr, vor allem Lebensgefahr; alle unerklärlichen Vorgänge, dazu geisterhafte Gestalten; was im Dunkeln oder im Gewitter sich ereignet, was man nur hört, ist geheimnisvoll.

Mit diesem Übungsdiktat endet die systematische Einführung in die Lyrik für Schüler; denn in der Regel habe ich als Deutschlehrer eine Klasse drei Jahre lang in Deutsch unterrichtet – d.h. nach Kl. 7 war Schluss mit der systematischen Einführung, und in Kl. 8 musste man bei neuen Klassen in der Regel wieder „von vorn anfangen“. Die Übungsdiktate haben den Unterricht begleitet und seine Ergebnisse für die Schüler festgehalten.

—————————————————————————————————————————————————-

Gedichtvergleich – Beispiele und Methode(n)

Methodisch müsste man Folgendes fragen, wenn man davon ausgeht, dass motivgleiche Gedichte verglichen werden sollen:
1. Sprechsituation: Wer spricht zu wem worüber?, dazu thematischer Aspekt und Gestimmtheit des Sprechers;
2. dominierende Sprechakte: klagen, berichten, auffordern, beschreiben, usw. – dazu
3. zeitlicher Aspekt: Blick in die Vergangenheit / Gegenwart / Zukunft? – 2. und 3. könnte man zusammenfassen unter
4. Aufbau des Gedichtes, evtl.
5. Sprechweise (Sprechart, Stil des Sprechers).
Es müssen nicht zwingend beide Gedichte vollständig analysiert werden; es genügt, eines zu analysieren und dann das zweite unter bestimmten Aspekten mit dem ersten zu vergleichen. Man könnte auch einen anderen Schwerpunkt setzen, wenn man nicht motivgleiche Gedichte untersucht,
z.B. zwei Gedichte: Blick auf das Dritte Reich (unterschiedliche Wertung),
oder: traditionelle – moderne Dichtung,
oder: Ost – West,
oder: politische Propaganda – kritische Dichtung,
oder: Naturlyrik – polit. Gedicht o.ä.

Beispiele und Arbeitsanregungen im Netz:
http://www.frustfrei-lernen.de/deutsch/gedichtvergleich-winterabend-winternacht.html (Thema: Winterabend)
http://www.zum.de/Faecher/Materialien/dittrich/Lyrik/Gedichtvergleich_Urlaubs-ABC-Ferienplaene.htm (mit Einschränkungen)
http://www.4teachers.de/?action=material&id=10260 (mit Passwort)
http://www.zum.de/Faecher/D/BW/gym/romantik/eichend_vgl.htm
http://www.wms-hn.de/index.php?option=com_docman&task=doc_view&gid=1473&Itemid=441 (Rilke-Brecht, für Schüler zu schlau und zu lang)
http://www.ags.rw.schule-bw.de/homepage/images/stories/PDF/beispiel%20fr%20einen%20gedichtvergleich%20von%20marie-chantal%20wittig.pdf (Fried-Kirsch)
http://hausaufgabenweb.de/deutsch/interpretation/vergleich-zwielicht-daemmerung/ (Eichendorff-Lichtenstein)
sowie Dateien, die unter folgenden Stichworten zu suchen sind:
Paul Zech: Park an der Fabrik, und Bertolt Brecht: Der Blumengarten oder http://epub.ub.uni-muenchen.de/2959/1/Wozu_noch_Lyrik_2959.pdf (Regen, 4. Schuljahr)
http://digitale-schule-bayern.de/dsdaten/17/699.pdf
Gedichtvergleich: Liebesgedichte (C.F. Meyer und Jörg Niebelschütz)
http://www.klausschenck.de/ks/downloads/h25gedichtvergleich.pdf oder http://katjabeyrich.de/_downloads/Gedichtint,%20Erwartung.pdf (Rilke-Werfel: Sprachskepsis)

—————————————————————————————————————————————————-

Deutsche Lyrik 1945 – 1960

Die vier Lektionen sind das Ergebnis meines Unterrichts im letzten D-Kurs, den ich zum Abitur 2007 geführt habe. Die U-Reihe ist bei l-o ausgearbeitet unter http://www.lehrer-online.de/dyn/9.asp?path=/lyrik1945-1960. Für die Einzelanalysen schaut bitte in der Rubrik „Gedichte“ nach [oder: (Autor +) Titel + analyse + norberto42]!

1. Lektion

Der unmittelbare geschichtliche Hintergrund ist die Lyrik 1933 – 1945, wobei die drei zeitlichen Grenzen 1933, 1945, 1960 problematisch sind: Menschen ändern sich nicht von heute auf morgen, ebenso ändern sie nicht ihre Schreibweise von einem Tag zum andern; ferner gehört Josef Weinheber z.B. sowohl zur ersten wie zur zweiten Art der Lyriker. Mit diesen Einschränkungen kann man drei Arten Lyrik kurz vor 1945 unterscheiden:
a) die dem NS angepasste Lyrik:
Josef Weinheber: Dem Führer (1939, http://www2.vol.at/borgschoren/lh/lh4.htm – 6. Dokument zur Exilliteratur)
Martin Simon: Der Befehl (1940)
Will Vesper: Das Neue Reich. Dem Führer zum 50. Geburtstag (http://ingeb.org/Lieder/sechsjah.html)
b) die Lyrik der Inneren Emigration (um die Zeitschrift „Das innere Reich“), die nach 1945 i.W. im Westen fortgesetzt wurde:
Karl Krolow: Für mein Kind (1942)
Georg Britting: Wo der Waldweg lief (1936)
[Ralf Schnell: Selbst- und Fremdwahrnehmung der Inneren Emigration im Dritten Reich (www.kritische-ausgabe.de/hefte/reich/schnell.pdf)]
c) die Lyrik der Exilliteratur, die nach 1945 i.W. in Ostdeutschland veröffentlicht und fortgesetzt wurde:
Bertolt Brecht: Wie künftige Zeiten unsere Schriftsteller beurteilen werden (1939)
Bertolt Brecht: An die Nachgeborenen (1939)

Texte, nach Jahreszahlen geordnet, findet man leicht in dem Sammelband „Epochen der deutschen Lyrik 9. 1900 – 1960“, bearbeitet von Gisela Lindemann, dtv 1974 und 1984. Das Gesamtwerk ist von Walter Killy herausgegeben worden.

Noch ein Wort zur Rezeption der Lyrik: Ich habe 1961 am Kreisgymnasium Heinsberg Abitur gemacht; die deutsche Lyrik 1945 – 1960 kam in unserem Deutschunterricht nicht vor, nicht einmal die des frühen 20. Jahrhunderts, sofern sie modern war. Was die normalen Deutschen an Lyrik gelesen haben, sind etwa die heiteren Verse Eugen Roths („Ein Mensch“, 1935; „Mensch und Unmensch“, 1948; „Der letzte Mensch“, 1964); und die bringt man weder in den drei Kategorien der Lyrik vor 1945 noch in denen der Nachkriegslyrik unter – das sind Kategorien einer kleinen Anzahl von ausgesuchten Lesern. Noch in dem von Benno von Wiese in den 50er Jahren herausgegebenen Sammelband „Die Deutsche Lyrik“, Bd. II, 23. – 25. Tausend 1970 gedruckt, kommen als Nachkriegsautoren nur vor: Benn, Weinheber, Britting (zweimal), Brecht, wobei die besprochenen Gedichte der drei Letztgenannten fast alle vor 1945 verfasst sind.
Was heute rezipiert wird, seht ihr zum Beispiel daran, zu welchen Autoren es „Interpretationen“ bei Reclam gibt: Gedichte von G. Benn, hrsg. von H. Steinhagen; Gedichte von B. Brecht, hrsg. von J. Knopf; Gedichte von P. Celan, hrsg. von H.-M. Speier.

Der weitere geschichtliche Hintergrund der Lyrik nach 1945 ist die sogenannte Moderne ab 1900; vielleicht ist der Überblick über die Geschichte der deutschen Lyrik, die Eberhard Hermes in seinem Buch „Abiturwissen Lyrik“ (Klett, 1985 = 9. A. 2000, S. 103 ff.) gibt, geeignet, einige Merkmale der Moderne (dazu S. 135 ff.) zu erfassen:
* Das Problem der Moderne besteht darin, dass die überlieferten Ausdrucksmittel der Sprache nicht mehr auf die erlebte Wirklichkeit passen.
* Ein erster Lösungsversuch habe darin bestanden, „das alltagssprachlich vermittelte Oberflächenbild einer zusammenhängenden Realität zu durchstoßen, um der Wirklichkeit unmittelbar zu begegnen“. Beispiel dafür wäre A. Lichtenstein: Ein dicker Junge spielt…
* Der nächste Schritt sei dort erfolgt, „wo zum Zeilenstil die Häufung der Bilder und ihre Isolierung voneinander dazukommt“. Beispiel dafür wäre Hans Arp: Ein Tag fällt vom Lichtbaum ab…
* Die letzte Stufe der Auflösung „wäre dann der Verzicht auf Sprache überhaupt“, z.B. in Hugo Balls „Wolken“: elomen elomen lefitalominal….
[Hieran schließt Hermes seine Ausführungen über die hermetische Literatur Ingeborg Bachmanns und Paul Celans an.]
Damit sind drei Merkmale expressionistischer Lyrik beschrieben, die in den 20er Jahren endete und deren „Fortführung“ 1933 politisch verhindert wurde – damit sind wir bei der Lyrik im Dritten Reich als der unmittelbaren Vorgeschichte der Lyrik nach 1945.
http://www.xlibris.de/Epochen/VJahrhdt/VJhdrt1.htm bietet einen Überblick über die Literaturgeschichte 1900 – 1933 und damit in den Beginn der Moderne – zugleich ein Beitrag zum sogenannten Epochenumbruch von 1900.

Der zeitgeschichtliche Hintergrund der Lyrik 1945 – 1960 ist die Zeit der Not, der Aufarbeitung der Verluste, des Wiederaufbaus nach dem Krieg – aber auch der Konfrontation der Weltmächte USA – UdSSR mit der ständigen Drohung eines Atomkriegs. Mir fällt bei den Gedichten auf, wie wenig positiv gestimmte Äußerungen wir bei ihnen finden; offensichtlich ist poetisches Sprechen ein anderes als das alltägliche, ein anderes auch als das politische. In der nicht-poetischen Wirklichkeit waren die Leute damit befasst, sich eine neue Existenz aufzubauen; in intellektuellen Kreisen herrschte jedoch ein skeptisches Denken vor, weithin von der damaligen Modephilosophie des Existenzialismus (Sartre, Camus) bestimmt. Als Vertreter eines teilweise apokalyptisch gestimmten Denkens sei Günther Anders genannt (Die Antiquiertheit des Menschen, 2 Bd.). Als Dichter der Kurzgeschichten möchte ich Heinrich Böll nennen (zum Beispiel „Wanderer, kommst du nach Spa…“), natürlich auch Wolfgang Borchert.
Am ehesten waren noch Menschen positiv gestimmt, die sich nach 1945 als Sieger sehen konnten; das waren nicht einfach die Überlebenden, sondern diejenigen, die etwa zur KP gehörten und erlebt hatten, wie die Rote Armee mit den anderen Alliierten die Nazis (nicht primär „Deutschland“) besiegt hatte. Aber auch Leute, die wirklich inneren Widerstand geübt hatten, konnten aufjubeln und befreit dichten (wie Horst Lommer: Der Spuk ist aus; Walter Bauer: Wenn wir erobern die Universitäten). Ansonsten sind es elementare menschliche Erfahrungen, die auch Dichter vorsichtig positiv stimmen können: dass ein Kind heranwächst; dass Vertrauen und Liebe möglich sind; dass eine Landschaft oder eine Stadt da ist und sich in ihrer Schönheit offenbart. Selten sind Gedichte wie das von Johannes Bobrowski: Die Zeit Picassos, in dem eine Kunsterfahrung poetisch geformt ist.
Im Vorgriff auf die 2. und 3. Lektion möchte ich jetzt schon andeuten, dass es sowohl den Kitsch [vorsichtiger: trivialen Ausdruck] der positiven wie der negativen Gestimmtheit gibt; dabei ist „der positive Kitsch“ leichter zu durchschauen als der negative, denke ich, weil der negative sich oft dunkel-tiefsinnig zu geben weiß: Dem Tiefsinn traut man eher als den platten Formeln [etwa von J. R. Becher, E. Rehwinkel] Sinn zu…

2. Lektion

In der 1. Lektion solltet ihr gelernt haben, dass es „die deutsche Lyrik“ so nie gegeben hat. Ich möchte jetzt erklären, welche Frage sich stellt, wenn man die deutsche Lyrik 1945 – 1960 verstehen will.
Man muss um 1900 ansetzen, nach Realismus und Naturalismus: bei Dichtern wie Rudolf G. Binding (Jg. 1867), Stefan George (Jg. 1868), Hugo von Hofmannsthal (Jg. 1874) und Rainer Maria Rilke (Jg. 1875). Sie alle dichteten erlesen und wollten den tieferen Sinn der Welt den Uneingeweihten entschlüsseln; George hatte dazu sogar einen Kreis von Jüngern um sich geschart und ließ sich noch 1928 als Dichterfürst feiern, der ein besonderes Amt innehabe. Von den Genannten, zu denen man auch noch Hesse (Jg. 1877), Schröder (Jg. 1878), Carossa (Jg. 1878), Wilhelm Lehmann (Jg. 1882), Oskar Loerke (Jg. 1884) u.a. zählen kann, hat Hofmannsthal in der Krise um die Jahrhundertwende als einziger bemerkt, dass es mit der Sprache nicht so einfach weitergeht wie bisher (Chandos-Brief, 1902).
In der Dichtung setzte sich das in einer Suche nach neuen Formen des Sprechens um: im Expressionismus, wie er von Gottfried Benn (Jg. 1886), Georg Trakl (Jg. 1887), Georg Heym (Jg. 1887) u.a. nach 1910 praktiziert wurde (auch noch von Brecht, Jg. 1998, um 1920). Nach dem ersten Weltkrieg war die Zeit des Expressionismus vorbei, Trakl und Heym waren tot – die einen suchten neue Formen (Dadaismus), die anderen suchten die alten Formen zu beleben: naturmagische Dichtung um die Zeitschrift „Die Kolonne“, wozu auch Lehmann, Loerke, Georg Britting (Jg. 1891), Elisabeth Langgässer (Jg. 1899) und auch Günter Eich (Jg. 1907) gehörten. In gewisser Weise lebt bei ihnen die alte romantische Vorstellung fort, wie Eichendorff sie in „Wünschelrute“ formuliert hat: dass ein Lied in allen Dingen schläft, was durch ein Zauberwort erweckt wird.
Die Neuorientierung in der Weimarer Zeit trieb Bertolt Brecht und andere zum Kommunismus; Dichtung sollte im Dienst der politischen Aufklärung stehen. 1933 wurde in Deutschland mit allem Linken und allem Modernen kurzer Prozess gemacht, im Mai gab es die großen Bücherverbrennungen und die entschlossene Wendung zum Provinziellen… – wie das weiterging, steht in der 1. Lektion.
Die Erfahrung des Dritten Reiches, der vielfachen Verbrechen und des Krieges ließ die Dichter zunächst einmal ratlos da stehen: Worüber sollte man dichten? Und wie sollte man es sagen? [Am einfachsten ist die (frühe) Lyrik nach 1945 vielleicht zu verstehen, wenn man weiß, was 1945 und vorher geschehen ist. Dazu solltet ihr ganz einfach einmal in die großen Darstellungen der Leiden dieser Zeit schauen, etwa in die Bücher von Edgar Hilsenrath („Nacht“), Primo Levi („Ist das ein Mensch?“), Jorge Semprun („Die große Reise“) und ähnliche Werke – wer bloß Schlink liest, versteht natürlich nichts davon!.] Die einen haben dazu gesagt: so wie früher (naturmagische Dichtung); und die Leute kannten das und haben es auch geschätzt. Die anderen haben gesagt: Das geht jetzt nicht mehr; und sie haben neue Inhalte und neue Formen (und Anschluss an die europäische und amerikanische Moderne) gesucht, was die meisten Deutschen nicht verstehen konnten. Aus der Unsicherheit, wie man überhaupt noch „gültig“ sprechen und dichten kann, erklärt sich auch die Vielzahl poetologischer Gedichte, wie man sie bei Adelheid Petruschke vorgestellt bekommt, aber auch der Ausbruch aus den normalen Sprechweisen in der konkreten Poesie.
Man kann sagen, dass besagter Anschluss um 1960 gefunden war; damit war aber auch ein neues Selbstverständnis der Dichter verbunden – jedenfalls der Verzicht auf ein Sehertum und Dichteramt, teilweise der Rückzug in eine artistische (Benn) oder dunkle Sprache (hermetische Dichtung: Celan, Jg. 1920; Bachmann, Jg. 1926), bald auch die Wendung zu politischen Themen (Enzensberger, Jg. 1929) und zu sprachlichen Experimenten (Gomringer, Jg. 1925; Heißenbüttel, Jg. 1921) oder neuen Sprechweisen (Kaschnitz, Jg. 1901). – Wenn ihr das Alter der Dichter beachtet, seht ihr, dass eine bestimmte „Richtung“ oft auch die Sache einer Altersgruppe ist.
Diese 2. Lektion kann man nur verstehen, wenn man viele Gedichte liest, Erläuterungen bedenkt und sich Zeit zum Lesen nimmt; sie bietet eine allererste Orientierung. Davon abgesehen fällt vielen das Verständnis bereits des Umbruchs im Expressionismus (nach 1900) schwer, weil sie (trotz PC-Nutzung und Fremdsprachenkenntnis) begeistert Kirmes in Glehn und Abitur in Giesenkirchen in Formen feiern, die nicht über das 19. Jahrhundert hinausgekommen sind.
Adelheid Petrusche hat zwei „Lektürehilfen“ bei Klett veröffentlicht, einmal zur deutschen Lyrik nach 1945 (1987, 2. Aufl. 1988), wo allerdings die wirklich kanonischen Gedichte von Eich, Benn, Brecht und Celan fehlen – kanonisch an dem gemessen, was allgemein rezipiert und analysiert wird. Im Hinblick auf die Themen des Zentralbiturs 2007/08 ist dieses Büchlein geringfügig überarbeitet worden (Eich: Inventur, ist hinzugekommen, die politische Lyrik ist überarbeitet; Brinkmann ist rausgeflogen), zum Schluss stehen einige Prüfungsaufgaben und Lösungen: Lyrik der Nachkriegszeit 1945 – 1960 (bei Klett 2006). Klug, aber knapp sind die Analysen von Hermann Korte (Lyrik von 1945 bis zur Gegenwart, 1996 bei Oldenbourg); sehr viele Texte mit Aufgabenstellungen, Erläuterungen und kurzen Einzelanalysen bietet Dieter Hoffmann (Arbeitsbuch Deutschsprachige Lyrik seit 1945, 1998 bei Francke); Korte und Hoffmann liegen inzwischen in zweiter Auflage vor.
Die Zusammenfassung von Braungarts Vorlesung in Regensburg 1997/98 über die dt. Lyrik des 20. Jh. findet ihr hier; solche Zusammenfassungen solltet ihr „draufhaben“, d.h. von dort aus denken und sie auch reproduzieren können. Im Übrigen sind die vorhergehenden Vorlesungen dort einzusehen, u.a. über Benn, Brecht, Bachmann und Celan.

3. Lektion

Das Verb „dichten“ ist älter als das Nomen „Dichter“, was sich erst seit dem 18. Jh. als Verdeutschung von „Poet“ durchgesetzt hat. Die Volksetymologie, „dichten“ heiße „dichte“ Aussagen zu machen, ist falsch; „dichten“ ist ein Lehnwort, schon über 1000 Jahre alt, was auf das lat. dictare: etwas zum Aufschreiben vorsagen, zurückgeht (Intensivum zu dicere). Das entnehme ich dem Wörterbuch von Kluge, 24. Auflage.
Daraus ergibt sich, dass ein Gedicht nicht desto besser, je „dichter“, also je unverständlicher es ist; was „hermetische Dichtung“ genannt wird [und wozu Korte Benns „Nur zwei Dinge“ zählt, während Hoffmann dieses Gedicht traditionell nennt – ein Beispiel für die Problematik von Kategorisierung], stößt also in der Produktion des schwer Verständlichen an eine Grenze, die nur zum Un-sinn hin überschritten werden kann. Für den „Jargon der Eigentlichkeit“ haben Theodor W. Adorno und Christian Schütze („Gestanzte Festansprache“, Stuttgarter Zeitung vom 2. 12. 1962) entlarvt, dass hinter den Phrasen des Erhabenen nichts steht – man konnte das auch schon im 19. Jh. in Andersens Märchen von des Kaisers neuen Kleidern nachlesen. Nur die Eingeweihten scheinen den Un-sinn zu verstehen und sich darüber zu verständigen; erst nach einiger Zeit, wenn Kindermund Wahrheit kund tut, merkt der gesunde Menschenverstand, dass da nichts ist. Dichtung muss also auch für jemand verstehbar sein, der nicht zehn Semester Germanistik studiert hat; Dichtung muss vielleicht auch zitierbar sein, muss jedenfalls gesprochen werden können.
Nehmen wir ein neutraleres Beispiel, die Dichtung um 1900; George ließ sich als tiefsinniger Seher feiern, scharte sogar einen Jünger-Männer-Kreis um sich, hat aber viel Schwulst produziert; freiwillig lese ich von ihm nur das Gedicht „Komm in den totgesagten Park…“. Christian Morgenstern hat leicht und lustig gedichtet, steht auch im großen Conrady, kommt aber im Deutschunterricht der Sek. II nicht vor. Dabei hat er Zitierbares gedichtet, etwa das große Gedicht „Die unmögliche Tatsache“: Palmström ist von einem Auto überfahren worden und studiert daraufhin Gesetzesbücher, um den Fall juristisch zu begreifen. Und dann die letzte Strophe:
   Und er kommt zu dem Ergebnis:
   Nur ein Traum war das Erlebnis.
   Weil, so schließt er messerschaft,
   nicht sein kann, was nicht sein darf.
Das ist scharf beobachtet, ist große Dichtung, und ist sogar ist zitierbar! Ähnliches gilt von Wilhelm Buschs Gedichten „Die Liebe war nicht geringe“ oder „Ach, wie geht‘s dem Heilgen Vater!“; im zweiten wird erzählt, wie Joseph einen für den armen Heiligen Vater bestimmten Gulden in einer Wirtschaft verprasst und dann zur Einsicht kommt:
   Ach der Tugend schöne Werke,
   Gerne möcht ich sie erwischen,
   Doch ich merke, doch ich merke,
   Immer kommt mir was dazwischen.
Auch Wilhelm Busch kommt im Deutschunterricht höchstens in Kl. 5 und 6 vor, unter dem Aspekt „lustige Gedichte“; vielleicht sollte man ihn unter Weisheit einordnen und auch in Kl. 13 besprechen? Doch leider, leider kann man an ihm keinen „Epochenumbruch“ demonstrieren – damit ist er didaktisch erledigt.
Uns ist es aufgegeben, die deutsche Lyrik von 1945 – 1960 zu erforschen. Das kann uns aber nicht daran hindern, auch Grenzen sinnvollen Dichtens zu benennen; und es darf uns nicht daran hindern, beim Lesen selber auf dem Teppich zu bleiben. Ein schönes Beispiel fürs Abheben liefert Adelheid Petruschke, die zu Eichs Gedicht „Inventur“ zu V. 7 f. (ich hab in das Weißblech / den Namen geritzt) schreibt: „Das Ich vergewissert sich seiner Identität dadurch, dass es seinen Namen auf einen unverzichtbaren Gegenstand schreibt.“ (Lyrik der Nachkriegszeit 1945 – 1960, 2006, S. 25) Das kann man zwar ähnlich öfter lesen, ohne dass es durch Wiederholung richtig würde: Wenn man in einem Lager, wo Not herrscht, seinen Namen auf Geräte schreibt, markiert man sie als sein Eigentum, damit sie nicht so leicht geklaut werden (vgl. den Nagel vor begehrlichen Blicken verbergen!). Ich schreibe meinen Namen doch auch nicht in Bücher, um mich meiner Identität zu vergewissern, sondern um sie als meine zu kennzeichnen, damit sie die Chance haben, vom Ausleihen zurückzukommen. – In einem kleinen Aufsatz zu Weinrich: Semantik der Metapher [https://norberto68.wordpress.com/2011/02/22/weinrich-semantik-der-metapher/] habe ich das Nötige zu den Prinzipien des Verstehens gesagt. Wendet diese Prinzipien nüchtern an, egal, was Frau Petruschke schreibt oder Norbert Tholen sagt! Denkt selber, auch wenn es bequemer ist abzuschreiben! Wenn ihr dazu ein ganz großes Gedicht lesen wollt, klickt bitte an: http://www.hegel.net/werkstatt/artikel/grundkonzepte/der_zweifler.htm

4. Lektion: Methoden

Wir haben im Unterricht bei der Besprechung von Eich: Inventur,
1. auf die Überschrift (Anweisung des Autors) geachtet;
2. die Bedeutung von „Inventur“ über das Wörterbuch erschlossen. Im Netz steht euch http://www.dwds.de/woerterbuch und http://wortschatz.uni-leipzig.de/ zur Verfügung – damit zu arbeiten müsst ihr selber lernen und üben;
3. die Sprechsituation erfasst (monologisches Inventarisieren); dabei haben wir die Störung des Inventarisierens (V. 15 f.) bemerkt und auszuwerten versucht;
4. den Aufbau des Gedichtes (also der Äußerung des Sprechers) beschrieben und für das Selbstverständnis des Sprechers ausgewertet (Mittelteil);
5. den Rhythmus untersucht. Der machte euch Schwierigkeiten, weil ihr von der traditionell gelesenen Lyrik an Metrum und Reim als Mittel lyrischen Sprechens gewöhnt seid; man kann aber auf noch andere Sprechweisen achten, z.B.
– die Anzahl der Hebungen pro Vers,
– die Anzahl der Silben pro Vers,
– die wirklich betonten Wörter,
– den Zeilenschnitt (Enjambement),
– Alliteration und Assonanz (Anklänge),
– Strophenlänge… mehr fällt mir gerade nicht ein.
Die reimlose Lyrik haben wir schon bei Goethe kennengelernt, dort spricht man von freien Rhythmen der großen Hymnen – schau in den Kommentar von Erich Trunz zum Beispiel! Bei Goethe äußerte sich also ein „großes“ Ich im Überschwang seiner Kraft, seines Herzens; in der Nachkriegslyrik ist es mehr die Skepsis gegenüber den großen geformten Gedanken und Formeln (durch Klang und Metrum wird ein Text semantisch überstrukturiert!), welche die Sprechweise bestimmt. Bei Brecht ist es dagegen die aus dem Theater bekannte gestische Sprechweise, wodurch der Hörer resp. Zuschauer zum Mitdenken eingeladen wird. Es gibt also mehr als ein Motiv des reimlosen Sprechens – schaut und hört genau hin!
6. Begnüge dich nicht mit dem ersten Eindruck, mit dem ersten Verständnis. Überprüfe es, indem du dir die Grammatik des Satzes bewusst machst (Möglichkeiten des Satzbaus durchspielst, gerade bei Gedichten!) und auch im Wörterbuch nachschlägst, ob ein Wort vielleicht mehrere Bedeutungen hat (zum Beispiel: die Seekarten „aufrollen“ bei Enzensberger).
7. Bereits bei Eich (vgl. meinen kleinen Aufsatz zur Interpretation mit den Literaturhinweisen) zeigt sich ein wichtiges Prinzip des Verstehens: den Bezug auf andere Texte (Weiner, Brinkmann) beachten: das Prinzip der Intertextualität; zu Celan: Todesfuge, kann man es anwenden (Bezug auf Gedicht des Freundes Weißglas); bei Celan: Tenebrae, wird dieses Prinzip systematisch von uns angewendet: Rückbezug auf die Psalmen, speziell Ps 23.
8. Behandle einen Text nicht wie einen Haufen von Wörtern, sondern wie ein Netz von Wörtern, Wendungen und Sätzen. Was damit gemeint ist, kannst du einmal in dem Artikel „Bedeutung“ in der Kategorie „Semantik“ bei norberto42.wordpress.com oder in dem Aufsatz über den Aufbau von Gedichten nachlesen: stets beachten, wer wann wozu wie spricht. Vereinfacht gesagt fragt man immer nur:
* Was steht da (und was steht nicht da!)?
* Wo steht es (im Satz, im Gefüge der Sätze)?
Die erste Frage beantwortet man durch Ersatzproben und Suche nach dem Antonym (und ein reiches sprachliches und historisches Wissen), die zweite durch Untersuchung des Aufbaus (ausgehend von der Sprechsituation, mit der Kenntnis sprachlicher Formen und Produkte verbunden, vgl. oben 3. und 6.).
9. Ich zumindest versuche, mich mit anderen Lesern (bzw. deren Analysen) auseinanderzusetzen; das heißt nicht, dass man von ihnen abschreibt, sondern dass man sein Verständnis mit ihrem vergleicht und dann fragt, welches Verständnis sich worauf stützt und eher dem Text gerecht wird – das ergibt zwar keine objektive, aber doch eine intersubjektiv geprüfte Lesart.
10. Man wird immer den Bezug zur Entstehungszeit mitbedenken; das ist schon Interpretation, geht also über Analyse hinaus, genau wie der Bezug auf andere Texte (s.o. 6.) eher Interpretation als Analyse ist. Die Unterscheidung Analyse – Interpretation ist also nur unscharf möglich.

Sommer 2006

Montage-Technik

Um das Gedicht „Topographien“ von Heißenbüttel zu verstehen, muss man die Montagetechnik kennen (und erkennen):

* Schau dir Bilder von Francis Picabia an! Das ist ein Hinweis Heißenbüttels; ich würde schon auf Bilder von Braque, Léger (z.B. Contrastes deformés, 1911), Picassso oder Juan Gris nach 1910 hinweisen [später: Marcel Duchamp!]. Fragmentation ist der Titel, unter dem solche Bilder im Centre Pompidou in Paris zusammengestellt sind. Wenn Andreas Beyer („Der souveräne, freie Blick“, SZ vom 21. Oktober 2006) Recht hat, hat Paul Cézanne den entscheidenden Schritt zum konstruktiven Sehen getan und Picasso 1907 mit seinem Bild „Demoiselles d’Avignon“ das erste Bild der Moderne gemalt (siehe „Bilder“ bei google).
* Im TTS (1999) findest du S. 334 f. Gedichte von Bachmann, Enzensberger und Gomringer, die verschiedene Möglichkeiten der Textmontage zeigen (am einfachsten Bachmann: Reklame, worauf ich heute ja schon hingewiesen habe). Ein schönes Beispiel, eine schlichte Zusammenstellung einzelner Redensarten, nur durch die Überschrift zusammengehalten, ist folgendes Gedicht:

Brecht: Was ein Kind gesagt bekommt

Der liebe Gott sieht alles.
Man spart für den Fall des Falles.
Die werden nichts, die nichts taugen.
Schmökern ist schlecht für die Augen.
Kohletragen stärkt die Glieder.
Die schöne Kinderzeit kommt nicht wieder.
Man lacht nicht über ein Gebrechen.
Du sollst Erwachsenen nicht widersprechen.
Man greift nicht zuerst in die Schüssel bei Tisch.
Sonntagsspaziergang macht frisch.
Zum Alter ist man ehrerbötig.
Süßigkeiten sind für den Körper nicht nötig.
Kartoffeln sind gesund.
Ein Kind hält den Mund.

Lies vielleicht auch das Gedicht von G. Benn: Fragmente, um eine Rechtfertigung der Montagetechnik zu hören. Die Montage-Technik ist eine Möglichkeit, mit den in den poetologischen Gedichten gezeigten Schwierigkeiten fertig zu werden. Schau (oben) in die vier Lektionen zur deutschen Lyrik nach 1945!

Unterrichtsreihe: http://www.lehrer-online.de/lyrik1945-1960.php

Im Verlag Krapp & Gutknecht ist im August 2009 ein von mir gemachtes Lehrerheft zur Lyrik 1945 – 1960 (und darin eingearbeitet: viel Schülermaterial, zum Kopieren) herausgekommen. Das Inhaltsverzeichnis kann man auf der Seite des Verlags einsehen bzw. als pdf-Datei herunterladen.
Ein kleines Versehen ist zu korrigieren, das sich aus dem Kampf mit den Rechten um eine Textfassung ergeben hat: Stefan Hermlins Gedicht „Die Asche von Birkenau“ (S. 121) hatte bei seiner Veröffentlichung 1951 die Angaben „Auschwitz-Birkenau, Sommer 1949“ unter dem Text stehen. In meiner Vorlage, im Manuskript und noch in der Korrektur-Datei stehen diese Angaben auch an ihrem Ort; dann musste der Verlag wohl auf die Ausgabe bei Hanser zurückgreifen (1979), und jetzt fehlen auf einmal die genannten Angaben.

„Deutsche Literatur der Nachkriegszeit 1945 – 1959. Ein Lesebuch“, hrsg von Klaus Wagenbach, ist noch antiquarisch zu kaufen, aber auch als Datei greifbar: http://kghalle.nw.lo-net2.de/12dw07/.ws_gen/20/Lesebuch_45_bis_59_Texte_II.doc

Material einer Vorlesung aus dem SS 2009 aus Berlin bietet die Kollegin Schreiber (Datei).

—————————————————————————————————————————————————–

Konkrete Poesie – eine Übersicht (für Schüler und Lehrer)

Auswertung verschiedener Beiträge

Einordnung und Datierung:
* eine Strömung in der Lyrik des 20. Jahrhunderts; sie wurde in den 1950er-Jahren von der Wiener Gruppe zum Programm erhoben. (meyers: Taschenlexikon)
* Konkrete Poesie entstand Mitte der 50er Jahre. (aeiou)

Beispiele (im Netz):
http://www.anatol.cc/032-Poesie.htm
http://www.christian-lippuner.com/index.asp?topic_id=68&m=63&g=2
http://vdeutsch.eduhi.at/literatur3/ly_konkret_vtfg.htm (mit ein bisschen Theorie)

Was ist konkrete Poesie? [= Wie wird konkrete Poesie gemacht?]
* Die Sprache (…) wird selbst zum Zweck des Gedichts. (wikipedia = wik, 2. April 2009)
* Die Textelemente werden auf der Fläche nach visuellen und/oder semantischen Gesichtspunkten grafisch angeordnet. (meyers)
* Die konkrete Poesie verwendet die phonetischen, visuellen und akustischen Dimensionen der Sprache als literarisches Mittel (…): Wörter, Buchstaben oder Satzzeichen werden aus dem Zusammenhang der Sprache herausgelöst und treten dem Betrachter „konkret“, d. h. für sich selbst stehend, gegenüber. (wik)
* Diese so genannten materialen Eigenschaften der Sprache werden durch verschiedene Techniken, wie Montage, Variation, Isolation, Reihung, Wiederholung, Permutation von Worten bzw. Lauten, die graphische Anordnung des Textes und das laute Lesen des Gedichts künstlerisch genützt. (aeiou)
* In der Tat deuten die mehr oder weniger optisch interessanten Zeichen-, Wort- und Satzanhäufungen auf eine Art von Sprachspiel hin. (…) Zwar ist der gliedernde Vers die Ausnahme, aber das Sprachmaterial wird räumlich gruppiert, auf jeden Fall sinn(be)deutend strukturiert. (sprachwitz)
* Es werden Wort- und Buchstabengruppen zu neuen ästhetischen Werten, durch die Freisetzung bloßer Klangwerte und die Bildung neuer Wortgruppenbezüge, zusammengesetzt; das „konkrete“ Sprachmaterial (atomisiert in Buchstaben, Buchstabengruppen und Laute) wird assoziativ zu neuen sinnfreien Beziehungen verbunden oder räumlich angeordnet (Konstellationen). (wissen.de)

Wozu ist das gut? [= Welche Theorie wird dazu aufgestellt?]
* Sprache hat keine Verweisfunktion mehr. Die Methode der konkreten Poesie ist eine antipoetische Meditation über die Bedingung der Möglichkeit der poetischen Sprechweise. (wik)
* Die Art, wie die Elemente arrangiert sind, bewirkt assoziative Muster, die zum Nachdenken anregen und zu Sinnerlebnissen führen.
Reflexion, Meditation und ähnliche geistig-semantische Verarbeitungsprozesse lassen Rezipienten zu Mitautoren werden. (sprachwitz)
* durch die Veränderung der Wortgestalt das sprachliche Feingefühl erhöhen (Schülerduden Literatur)
* Theorie der Stuttgarter Schule: http://www.stuttgarter-schule.de/  und http://www.goethe.de/wis/bib/prj/hmb/the/das/de3289544.htm (E. Walther-Bense)
und Max Bense (1965): http://www.stuttgarter-schule.de/bense_konkret2.htm
* Ästhetik der Abweichung; Interesse an der Materialität der künstlerischen Gebilde; Ästhetik der abstrakten Darstellung (MLL)

Wogegen richtet sie sich?
* eine gegen traditionelle dichterische Formen gerichtete neue Auffassung literarischer Ausdrucksmöglichkeiten (wissen.de)
* Diese sprachliche Demonstration soll ein Gegenpol zur sprachlichen Reizüberflutung sein. (wik)

Woher kommen diese Ideen? (Vorgeschichte)
* Die Entwicklung ging über das l’art pour l’art, die poésie pure, den Dadaismus, den russischen Futurismus und die Lettristik zur konkreten Poesie. (wissen.de)
* Vorstufen finden sich u. a. im italienischen Futurismus und im Dadaismus.  (meyers)
* Vorstufen der Lautgedichte: St. George, C. Morgenstern, E. Lasker-Schüler; russ. Futurismus, Dadaismus, expressionist. Sturmkreis, Wiener Gruppe (SD Literatur)
* Konkrete Literatur greift sowohl die Emblematik des Barock als auch Elemente des Dadaismus und des Surrealismus auf. (Literatur: Basiswissen Schule)
* Dadaismus, Futurismus und Merzdichtung (MLL)

Wer hat mitgemacht? (Geschichte)
* Bedeutende Vertreter sind E. Gomringer, E. Jandl, F. Mon. Nebenform ist die akustische Dichtung (E. Jandl u.a.). (meyers)
* Richtungweisende Vertreter der konkreten Poesie sind F. Mon, H. Heißenbüttel, E. Jandl und die Wiener Gruppe (H. C. Artmann, K. Bayer, F. Achleitner, G. Rühm) (wissen.de)
* Vertreter in Österreich sind vor allem E. Jandl, die Mitglieder der Wiener Gruppe Oswald Wiener, G. Rühm und F. Achleitner. (aeiou)
* E. Gomringer, E. Jandl und die Autoren der Wiener Gruppe (SD Literatur)
* E. Gomringer, H.C. Artmann, G. Rühm; Ö. Fahlström, mehrere Brasilianer, E. Jandl, Konrad Bayer, Fr. Achleitner, H. Heißenbüttel (Literatur. Basiswissen Schule)
* Akenaton … bis O. Wiener (wik)
* neben der Wiener Gruppe die Stuttgarter Schule und der Darmstädter Kreis (MLL)

Mit welchen ähnlichen Bestrebungen berührt sie sich? [= Unter welchen Stichworten kann man sich weiter informieren?]
* Siehe auch: Concretismo, Kühlschrankpoesie, Lettrismus
Visuelle Poesie, Experimentelle Typografie, Figurengedicht
im weiteren Sinne: Dadaismus, Sprachspiel
Absolute Poesie (wiki)
* visuelle Dichtung, akustische Dichtung, Lautgedichte (SchülerDuden Literatur)
* Linguistik, Semiotik, Autonomieästhetik; poetische Sprachkritik und -reflexion (MLL)

Wie geht es heute mit ihr weiter?
* Neue Techniken der Gestaltung und Präsentation haben mich angeregt zu zeigen, wie die experimentelle Poesie der nostalgischen Buchdruck-Typografie mit heutigen Gestaltungswerkzeugen (z.B. QuarkXPress, Photoshop, Corel Draw, Gimp) – auch für das Web – weiterentwickelt werden kann. Bitte die Beispiele konkret 1 bis konkret 26 anklicken! (sprachwitz: http://www.sprachwitz.de/konkret0.html)
* An die Stelle der Gruppen sind sehr wenige Einzelvertreter getreten, die – begünstigt durch die Entwicklung der Medien und auch der Werbung – kühner in ihren Entwürfen und Werken geworden sind. An die Stelle von starren Dogmen dieser gestalterischen Literatur (z. B. konkrete Poesie stellt ausschließlich sich selbst dar) ist das Spiel mit dem Wort und den Buchstaben getreten. Es geht vor allem um
– das Spiel mit Bedeutungen
– das Spiel mit der räumlichen Dimension der Schrift (z. B. verschiedener Schriftgrößen)
– das Spiel mit der räumlichen Positionierung der Buchstaben/Worte.
Es gibt inzwischen auch den Begriff des „Wortbildes“ als Bezeichnung für dieses Sprachprodukt – neben der Bezeichnung „visuelle“ oder „konkrete“ Poesie. (wik)
* Netzkunst: http://www.netzliteratur.net/cramer/netzkunst_konkrete_poesie.htm

Was macht man in der Schule damit?
* Kl. 5: Zugang zum PC
http://www.kreis-paderborn.de/kmz/ustunden/deu/poesie/poesie.htm
* analysieren und selber machen (4. Klasse): http://www.dagmarwilde.de/bspde/ged2.html
* Deutschunterricht in Russland: http://www.juma.de/2005/j3_05/image/t27.pdf
* Sprachspiele im DaF: http://www.linguistik-online.de/10_02/jung.html
* Sprachspiele, Klasse 4 (habe ich in Klasse 5 gemacht, wenn sie gut war!): http://www.coldewey.org/component/option,com_docman/task,doc_download/gid,37/Itemid,1/
http://www.virtuellegrundschule.de/191.html
* Mittelstufe: http://www.manfred-huth.de/fbr/unterricht/sek/ko-po.html
* Ausstellung: http://www.gymnasium-bitterfeld.eu/?id=111005000146
* Texte mittels PC erschließen: http://lehrerfortbildung-bw.de/faecher/deutsch/bs/nm/schreiben/erschliessen/erschliessen.htm
* Kunstunterricht: http://www.kunstschule-digital.de/ansehen/seiten/magazin/magazin.htm
* Sprachspiele: http://www.ag.ch/bks/shared/dokumente/pdf/rundschreiben_16_einlagen_feb_ 2009.pdf
* Projekt Grund- und Hauptschule: http://www.gymnasium-muenchberg.de/Facher/Deutsch/Gomringer/body_gomringer.html
* kreatives Schreiben: http://zif.spz.tu-darmstadt.de/jg-03-1/beitrag/schreit2.htm
* Bibliografie: http://www.engeler.de/15akonkretepoesie.html

Nachtrag: Wenn sprachwitz beteuert, die konkrete Poesie sei nicht nur Spielerei, dann muss man festhalten, dass sie auch Spielerei ist – wobei zu spielen ja nichts Schlechtes ist, aber auch in sich nichts Bedeut-sames, sondern eben: ein Spiel(en). So zeugt es denn von großem Tiefsinn, wenn Harald Hartung über Eugen Gomringers Gedicht „vielleicht“ sieben Seiten Interpretation abliefert (Gedichte und Interpretationen: Gegenwart I, hrsg. von Walter Hinck, Stuttgart 1982, S. 151 ff.). Mich würde nicht wundern, wenn er das Gedicht „schweigen“ des gleichen Autors ebenfalls auf sieben Seiten interpretierte, während es meines Erachtens genügt zu sagen: „Ganz nett!“ – Wozu der ganze Tiefsinn gut ist, versteht man, wenn man erfährt, dass ein Verlag für den Abdruck vom Gomringers „schweigen“ in einem Lehrerheft 150,00 Euro zahlen soll: nicht schlecht für 14 Wörter, mit Überschrift 15 – bzw. für ein einziges Wort, vierzehnmal recht simpel im Raum verteilt.
Wozu die konkrete Poesie auch dienen mag: als Gegengift gegen den sprachmagischen Tiefsinn Gottfried Benns und anderer, denen so gesagt wird: Ihr verwendet schließlich auch nur Wörter, vielleicht sogar nur Buchstaben.

Vergleichbares gab es „schon immer“, ohne dass man daraus eine Theorie gemacht hätte. Ich führe zwei Beispiele an (Alles Unsinn. Deutsche Ulk- und Scherzdichtung von ehedem bis momentan. Gesammelt und hrsg. von Heinz Seydel. Eulenspiegel Verlag: Berlin 1989, 5. Aufl., S. 218 f.):

Die wüsten Winterwinde

Wenn die wüsten Winterwinde wehen,
weißt du, was zur Wehre wählt ein Weiser?
Warme Wohnung, weiche Watt‘ und wollnes Wams,
weiter: würz‘gen Wein und willige Weiber.
(Friedrich Rückert, 1788-1866, dezent antifeminstisch)

Die treue Trine

Trau, treue Trine, trüglich trüben Träumen nicht,
treib trotzig triumphierend weg das Traumgesicht,
trockne die Tränen tragischen Trübsals tropfend auf,
trink trauten Traubensafts Trostestropfen drauf.
(Angely, d.i. Angelika von Marquardt, um 1880)

Nett ist auch die Wort-Chemie von Alwin Joel, zum Beispiel:
Wie gewinnt man Eisen? Man stopft Ameisen in verschiedene Flaschen oder Pullen. Dann verbindet sich das „Am“ mit den „Pullen“, und das Eisen wird frei. (S. 228)

Oder das „Fragment“ von Hansgeorg Stengel (S. 231), über die Frage:
Sie ist erstens ein Maulwurfhügel, sie wird aufgeworfen.
Sie ist eine Patientin, sie wird untersucht und behandelt…

Recht systematisch ist das alles von Gerhard Grümmer behandelt: Spielformen der Poesie. Verlag Werner Dausien: Hanau 1985 (gibt’s nur noch antiquarisch); ansatzweise auch A. Thalmayr: Das Wasserzeichen der Poesie, Nördlingen 1985 (A.T. = Enzensberger).

======================================================================================

Zur Praxis:

Den Übungsdiktaten oben kann man entnehmen, was lange auf dem Plan in Klasse 5-7 gestanden hat: eine systematische Einführung in das Verständnis von Gedichten.

Vor vielen Jahren habe ich in Klasse 5 gern mit den Schülern Wort- und Buchstabenbilder zunächst untersucht und dann selbst gestaltet; vgl. dazu heute etwa

http://vs-material.wegerer.at/deutsch/pdf_d/gedichte/busch/Station3_Wortbilder.pdf

http://www.sippel.de/kunst/wortbild.htm

http://www.buchstabenbildchen.de/

http://www.google.de/search?q=buchstabenbilder&hl=de&rlz=1G1GGLQ_DEDE261&prmd=imvns&tbm=isch&tbo=u&source=univ&sa=X&ei=vqUYULaFB8XMswbMtoD4Dw&sqi=2&ved=0CFkQsAQ&biw=1666&bih=982

http://www.genial-zeichnen-lernen.de/einstrichbilder/

http://lehrerfortbildung-bw.de/faecher/deutsch/rs/moduleins/wortbilder.htm

Die Unterrichtsreihe „Bildhafte Sprache in Gedichten“ (Kl.6): https://norberto68.wordpress.com/2010/11/30/bildhafte-sprache-in-gedichten-u-reihe-in-klasse-6/

Bei den Balladen in Kl. 7 war Hebbel: Der Heideknabe, anspruchsvolles Thema der Klassenarbeit.

Herbstgedichte habe ich oft in Kl. 9 oder 10 mit den Schülern gelesen; der Text der Klassenarbeit (Theodor Storm: Im Herbste) hat die Schüler häufig überfordert, während Hesse: Im Nebel, leichter zu verstehen war; Alternative zu den Herbstgedichten war das Thema Stadt in der Dichtung, meist mit Wolfenstein: Städter, als Text der Klassenarbeit..

Unterrichtsreihe „Balladen“ in Klasse 11

In meinem letzten 11er-Kurs habe ich eine Balladenreihe gemacht:
Bürger: Lenore (sehr intensiv)
Goethe: Die Braut von Korinth
Heine: Maria Antoinette
Diese ersten drei Balladen sind dadurch verbunden, dass Gespenstisches erzählt wird, jedoch von Seiten des Sprechers zunehmend entmystifiziert.
Brecht: Die Ballade vom Soldaten
Als Klausur folgte Kästner: Der Handstand auf der Loreley.
(Analysen zu zu diesen Balladen gibt es bei norberto42.wordpress.com, ferner zu Goethe: Der Fischer.)
Zum Üben war Kästner: Die Ballade vom Nachahmungstrieb, empfohlen; zu diesem Gedicht gibt es im www leider kein Material kostenlos.
Wer sich das Buch besorgen kann, sollte zugreifen: Geschichte im Gedicht. Texte und Interpretationen (Protestlied, Bänkelsang, Ballade, Chronik). Hrsg. von Walter Hinck (1979, es).

Unterrichtseinheit: Lyrik des Expressionismus (expressionistische Gedichte) – Kl. 11
1. In dieser Unterrichtsseinheit geht es um den Beginn der literarischen Moderne im strengen Sinn, also um den sogenannten „Epochenumbruch“ um 1900. Vergleichbare Stichworte – im Gegenzug gegen Realismus und Naturalismus – wären etwa Symbolismus, Jugendstil, fin de siècle, Dekadenz. 
Erste Hinweise bei www.literaturwelt.com
, dort „Epochen“: Moderne, Expressionismus; http://www.ned.univie.ac.at, nur noch nach Anmeldung zugänglich
Strategisch soll diese Einheit das Verständnis der Lyrik 1945-1960 vorbereiten, ein Thema, das bis 2010 im Zentralabitur NRW zu finden war.
Meine Arbeiten zum Thema sind auch in einem Beitrag bei lehrer-online ausgewertet: http://www.lehrer-online.de/lyrik1945-1960.php.
2. In meiner Unterrichtseinheit wurden besprochen
Georg Trakl: Verfall (Aufbau eines Sonetts),
Gottfried Benn: Requiem,
Gottfried Benn: Gesänge (kurz),
Georg Heym: Die Tote im Wasser (v.a. die Bilder ausgewertet); Heyms Gedicht war Anlass, das in Malerei und Dichtung gegebene Motiv der Wasserleiche (Ophelia, totes Mädchen) kennenzulernen;
Georg Heym: Der Krieg (kurz); das Gedicht war Anlass, in das Verfahren der Textkritik einzuführen, da es in verschiedenen Versionen kursiert;
Gottfried Benn: Schöne Jugend; das Gedicht liegt in zwei Versionen vor; das war uns Anlass, die Arbeit des Dichters an der Fassung eines Gedichtes für das Verständnis heranzuziehen;
Georg Trakl: Traum des Bösen; das Gedicht liegt in drei Fassungen vor, die bei „Schöne Jugend“ angewandte Methode wurde vertieft.
Klausur war dann die Analyse von Heym: Ophelia I.
3. Abschließend wurden diese Gedichte insgesamt noch einmal als expressionistische Gedichte betrachtet: Was ist das eigentümlich Expressionistische daran?
Dieser Abschluss dient zunächst dazu, die Epoche in verschiedenen Ausdrucksformen zu verstehen; er dient auch dazu, Suchtechniken (Internet) zu üben (Variation „Expressionismus/expressionistisch“ und „Gedichte/Lyrik“ beim Suchen) und Hilfsmittel aus der Bibliothek kennenzulernen:
– Literaturgeschichten (z.B. dtv-Atlas Deutsche Literatur; Literatur: Basiswissen Schule),
– literaturwissenschaftliche Wörterbücher (z.B. Gero von Wilpert; Schülerduden Literatur).
Wenn man „Unterrichtseinheit Lyrik Expressionismus“ bei eTools eingibt, bekommt man mehr als zehn vollständig passende Links angeboten. – Vgl. auch meinen neueren Aufsatz über den Epochenumbruch um 1900 in norberto42.wordpress.com!
Dem Lehrer sei das Buch „Moderne Literatur in Grundbegriffen“, hrsg. von Dieter BorchmeyerViktor Zmegac, 2., neu bearbeitete Auflage 1994, empfohlen; relevante Stichwörter sind „Aleatorik, Décadence, Expressionismus, Moderne/Modernität, Montage/Collage“. Hilfreich ist auch, von einem, der den Expressionismus erlebt hat, zu lesen, was er zum Expressionismus zu sagen hat: Ludwig Marcuse: Mein zwanzigstes Jahrhundert, Diogenes 1975, S. 69 ff.

Eine Brecht-Reihe habe ich öfter in Kl. 11 oder 12 gehalten – Brecht ist einer der ganz großen Dichter. Aber wie das in Kl. 11 (im G 9) halt so war: Man musste wieder bei Null anfangen, nicht nur weil Schüler von der Realschule dazukamen, sondern auch weil andere Kollegen in Kl. 8-10 sich darauf beschränkt hatten, Verse und Strophen zu zählen oder Taktarten und Reimformen zu bestimmen, und sich bei der Rhetorik mit assoziativen Lösungen („ein Vergleich soll etwas anschaulich machen“) begnügt hatten.

Die Lyrik des jungen Goethe war oft Thema in Kl. 12 (im G 9), wobei ich auch gelegentlich zwei Fassungen des gleichen Gedichts herangezogen habe (s. den nächsten Punkt!) – zugleich eine Einführung in den Sturm-und-Drang.

Gedichtvergleich: mehrere Fassungen / historisch verwandte Gedichte

Ich möchte hier eine Art des Gedichtvergleichs vorstellen, wobei nicht motivgleiche, jedoch einander „fremde“ Texte, sondern Gedichte verglichen werden, die in einem sachlich-geschichtlichen Bezug zueinander stehen. Die einfache Version ist die, dass ein Dichter selber sein Gedicht später überarbeitet, also an ihm gefeilt hat, um das, was aus späterer Sicht als Schwäche erschien, zu tilgen. Das bekannteste Beispiel ist Conrad F. Meyers Gedicht „Der römische Brunnen“, das in sechs oder acht Fassungen vorliegt, wovon die letzte sicher die gelungenste ist.
Diese Reihe habe ich oft in Klasse 13 am Gymnasium gehalten – sie hat oft auch Aufgaben fürs Abitur geliefert, in der guten alten Zeit vor dem Zentralabitur. Die Idee habe ich bei Hilke Schildt: Aus der poetischen Werkstatt – Gedichte in verschiedenen Fassungen (Verlag G. Braun, Karlsruhe 1971) gefunden. Dort sind Goethe und C.F. Meyer die Hauptlieferanten des Materials; aber auch G. Keller und Trakl sind ergiebige Quellen. Verschiedene Fassungen von Gedichten Goethes und Kellers findet man in der Freiburger Anthologie, für Trakl ist „Das dichterische Werk“ (dtv 6001, 1972) die einfache Fundstelle. Auch die zehn Bände „Epochen der deutschen Lyrik“ (dtv) bieten bei ruhiger Suche viele Hinweise, zum Beispiel die Weiterverarbeitung von Goethes „Nachtgesang“.
Es gibt, wie gesagt, verschiedene Möglichkeiten, ein vorliegendes Gedicht zu verarbeiten – was uns dazu dienen kann, die Geschichtlichkeit und den Literaturbezug von Literatur zu demonstrieren (ähnlich wie beim Vergleich motivgleicher Fabeln). Für die erste Version habe ich bereits C.F. Meyers Gedicht „Der römische Brunnen“ genannt; auch Goethes „An den Mond“ verdiente hier Beachtung, daneben Gedichte der oben genannten Autoren.
Eine grundsätzlich andere Art des Bezugs liegt vor, wenn jemand das Gedicht eines anderen aufgreift und verarbeitet. Das kann noch im Sinn der Verbesserung wie bei Goethes „Nähe des Geliebten“ (1796) geschehen, wo „Ich denke dein“ der Sophie C.F. Brun von 1795 poetisch geglättet wird; häufig wird ein Gedicht aber auch parodiert. Kästners Verarbeitung der „Lorelei“ Heines verdient Beachtung; Material bieten „Lyrische Parodien vom Mittelalter bis zur Gegenwart“. Ausgewählt von Erwin Rotermund, Fink (München) 1964; Deutsche Lyrik-Parodien aus drei Jahrhunderten (RUB 7975); ich kenne noch Sammlungen von Th. Verweyen oder A. von Bormann. „Das Wasserzeichen der Poesie“ von A. Thalmayr (das ist Hans M. Enzensberger) präsentiert übrigens verschiedene Formen der Aufnahme vorliegender Gedichte.
Eine dieser Versionen ist die so genannte Replik, wofür Braun: Fragen eines regierenden Arbeiters, ein Beispiel ist, was Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“ aufgreift. In der Sammlung „Gedichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart“ (Klett 1985) heißt dieser Typus „Widerlegung und Weiterführung“. Ob man es nun Replik nennt oder nicht, stellt Herweghs „Wiegenlied“ eine andere Art von Wiederaufnahme von Goethes „Nachtgesang“ dar: Das bekannte Gedicht wird im Rhythmus beibehalten, ebenso der Refrain „Schlafe, was willst du mehr“, aber als Hintergrund zu einem politischen Aufruf an das „schlafende“ Deutschland genutzt. – Fazit: eine interessante Form der Literaturbetrachtung , wobei der Blick auf die kleinen Unterschiede trainiert werden kann.

Zwei Nachträge:
1. Anregungen zum Vergleich motivgleicher Gedichte findet man nicht nur in den Registern der Lesebücher (oder sogar über das Stichwort in einer Suchmaschine, z.B. „Herbstgedichte“), sondern auch in dem Bändchen „Motivgleiche Gedichte“ (RUB 15038).
2. Das Prinzip des intertextuellen Verstehens erfordert es, reale Bezüge zwischen Texten bzw. Rückbezüge auf ältere Texte aufzudecken und zu berücksichtigen, vgl. meine Analysen und Links zu Eich: Inventur; Celan: Todesfuge, und zu Celan: Tenebrae (s. „Gedichte“ im Blog norberto42.wordpress.com).

Nachträglich sehe ich, dass Claudius: Abendlied (1779), offensichtlich Paul Gerhardts „Abendlied“ (1667) aufgreift. Mir fällt auch die übergroße Nähe von Gryphius: Tränen des Vaterlandes, anno 1636, zu Gryphius: Trawrklage des verwüsteten Deutschlandes (http://www.archivaria.com/Gedichte/Gryphius.html), auf; das letzte scheint mir die Vorlage für das bekannte erstgenannte Gedicht zu sein.

Meine verschiedenen Anleitungen zur Gedichtanalyse sind hier zusammengestellt: https://norberto68.wordpress.com/2010/11/28/gedichtanalyse-gedichte-analysieren-meine-aufsatze-mit-beispielen/

Intention des Autors oder Dichters?

[…] Das Gespräch wendete sich auf den >Tasso<, und welche Idee Goethe darin zur Anschauung zu bringen gesucht. »Idee?« sagte Goethe – »daß ich nicht wüßte! Ich hatte das Leben Tassos, ich hatte mein eigenes Leben, und indem ich zwei so wunderliche Figuren mit ihren Eigenheiten zusammenwarf, entstand in mir das Bild des Tasso, dem ich als prosaischen Kontrast den Antonio entgegenstellte, wozu es mir auch nicht an Vorbildern fehlte. Die weiteren Hof-, Lebens- und Liebesverhältnisse waren übrigens in Weimar wie in Ferrara, und ich kann mit Recht von meiner Darstellung sagen: sie ist Bein von meinem Bein und Fleisch von meinem Fleisch.

Die Deutschen sind übrigens wunderliche Leute! – Sie machen sich durch ihre tiefen Gedanken und Ideen, die sie überall suchen und überall hineinlegen, das Leben schwerer als billig. – Ei, so habt doch endlich einmal die Courage, euch den Eindrücken hinzugeben, euch ergötzen zu lassen, euch rühren zu lassen, euch erheben zu lassen, ja euch belehren und zu etwas Großem entflammen und ermutigen zu lassen; aber denkt nur nicht immer, es wäre alles eitel, wenn es nicht irgend abstrakter Gedanke und Idee wäre! Da kommen sie und fragen, welche Idee ich in meinem >Faust< zu verkörpern gesucht. Als ob ich das selber wüßte und aussprechen könnte! – Vom Himmel durch die Welt zur Hölle, das wäre zur Not etwas; aber das ist keine Idee; sondern Gang der Handlung. Und ferner, daß der Teufel die Wette verliert, und daß ein aus schweren Verirrungen immerfort zum Besseren aufstrebender Mensch zu erlösen sei, das ist zwar ein wirksamer, manches erklärender guter Gedanke, aber es ist keine Idee, die dem Ganzen und jeder einzelnen Szene im besonderen zugrunde liege. Es hätte auch in der Tat ein schönes Ding werden müssen, wenn ich ein so reiches, buntes und höchst mannigfaltiges Leben, wie ich es im >Faust< zur Anschauung gebracht, auf die magere Schnur einer einzigen durchgehenden Idee hätte reihen wollen!

»Es war im ganzen«, fuhr Goethe fort, »nicht meine Art, als Poet nach Verkörperung von etwas Abstraktem zu streben. Ich empfing in meinem Innern Eindrücke, und zwar Eindrücke sinnlicher, lebensvoller, lieblicher, bunter, hundertfältiger Art, wie eine rege Einbildungskraft es mir darbot; und ich hatte als Poet weiter nichts zu tun, als solche Anschauungen und Eindrücke in mir künstlerisch zu ründen und auszubilden und durch eine lebendige Darstellung so zum Vorschein zu bringen, daß andere dieselbigen Eindrücke erhielten, wenn sie mein Dargestelltes hörten oder lasen. Wollte ich jedoch einmal als Poet irgendeine Idee darstellen, so tat ich es in kleinen Gedichten, wo eine entschiedene Einheit herrschen konnte und welches zu übersehen war, wie z. B. >Die Metamorphose der Tiere<, die >der Pflanze<, das Gedicht >Vermächtnis< und viele andere. Das einzige Produkt von größerem Umfang, wo ich mir bewußt bin, nach Darstellung einer durchgreifenden Idee gearbeitet zu haben, wären etwa meine >Wahlverwandtschaften<. Der Roman ist dadurch für den Verstand faßlich geworden; aber ich will nicht sagen, daß er dadurch besser geworden wäre. Vielmehr bin ich der Meinung: je inkommensurabeler und für den Verstand unfaßlicher eine poetische Produktion, desto besser.«

Sonntag, den 6. Mai 1827

Johann Peter Eckermann: Gespräche mit Goethe in den letzten Jahren seines Lebens, 1848