Was man von einem guten Schüler erwarten kann

Folgendes Blatt war mein Konzept bei einem Elternabend:

Was ich von einem guten Schüler erwarte: Prinzipien meiner Arbeit

1. Da ist ein Problem, das will ich lösen!

Beispiel: vor Weihnachten „Lebenslauf/Bewerbung“ geschrieben, Problem mit der Anordnung der Angaben im tabellarischen Lebenslauf exakt untereinander; eigentlich hatte nur Nadine die Lösung.

Ich habe die Entwürfe korrigiert und eine Berichtigung anheimgestellt, also nicht „aufgegeben“; am nächsten Tag hatte nur Martin seinen Entwurf überarbeitet, die anderen 18 nicht. Dabei hatten fast alle das Problem der exakten Anordnung gesehen, ebenso gesehen, dass es lösbar ist (Nadine), und ich hatte mehreren aufgeschrieben: „Frage mal Nadine!“

– Problem: Schule ist nicht der Ernstfall, aber die Gelegenheit zum folgenlosen Probieren.

2. Das prüfe ich selber nach!

Beispiel: 2. Klassenarbeit, Schreibweise „rethorisch“ als R-Fehler angestrichen. Ein Schüler kommt am nächsten Tag zu mir (immerhin!) und fragt: „Herr Tholen, wo ist denn da der Fehler?“

Besser wäre gewesen, er hätte selber nachgeschaut. Oder zu Deutsch: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Die Schule läuft darauf hinaus, dass die Schüler von mir und jedem einzelnen Lehrer unabhängig werden, also selbstständig werden. Das heißt natürlich: genau hinschauen, bereits beim Abschreiben der Aufgabenstellung, erst recht bei ihrem Verständnis (Beispiel: 2. Klassenarbeit!).

3. mit Methode arbeiten:

Das war das Prinzip, von dem die Gedichtlektüre geleitet sein sollte, als alles andere schiefging: Ich verstehe eine Äußerung, wenn ich bedenke, wer es sagt, zu wem er spricht, bei welcher Gelegenheit, in welchem Tonfall usw. Dieses Prinzip erlaubt selbstständiges und sachliches Arbeiten. Es ist der einzige Weg, der so etwas wie wissenschaftliches Arbeiten ermöglicht: unser Ziel!

Auch unsere Grammatik-Arbeit ist diesem Ziel zuzuordnen. Beispiel: Letzte Klassenarbeit, 2. Strophe:

Den Hauptsatz bilden eben die beiden letzten Verse: Was nun von Halm zu Halme wandelt,

Was nach den letzten Blumen greift,

Hat heimlich im Vorübergehen

Auch dein geliebtes Haupt gestreift.     → die Konjunktion „auch“

Oder eben die berühmte 5. Strophe: Erlosch auch hier ein Duft, ein Schimmer…

Das ist primär eine Frage! und keine Erinnerung!

Die Grammatik hat den Wert (und Sinn), dass man im Zweifelsfall sachlich, also methodisch selber prüfen kann, was denn nun wirklich in einer Äußerung gesagt (getan) wird. Oder jetzt: was wie erklärt wird.

4. Prinzip der Sachlichkeit: Ich vertrete meine Einsicht, wenn ich sie geprüft habe.

Beispiel: Bewerbung, Formulierung des ersten Satzes nach dem Betreff: „Hiermit bewerbe ich mich um eine Stelle als…“ Nach meinem Gefühl müsste es auch hier heißen: „… bewerbe ich mich um einen Ausbildungsplatz zum Heizungsmonteur.“ Entsprechend habe ich die Vorlagen korrigiert.

Tobias M. konnte mich am nächsten Tag darauf hinweisen, dass im von mir verteilten Muster aber die andere Formulierung steht; ich muss also auch die andere gelten lassen (Muster!), nicht ohne meine Bedenken gegen das Muster (zu oberflächlich von mir geprüft!) zu äußern.

– Wenn etwas geprüft ist, wird sachlich entschieden, auch gegen den Lehrer, auch gegen die Eltern, auch gegen das Kind – nein, nicht gegen jemand, sondern gegen eine Auffassung! Es gibt keinen Verlierer!

Meine Bitte an Sie:

1. Wir stellen uns den Problemen, die es gibt!

2. Lassen Sie „die Kinder“ selber Probleme lösen!

3. Ermuntern Sie Ihre Kinder zum sachlich begründeten Widerstand (auch gegen ihre Eltern)!

4. Lassen Sie sie langfristig regelmäßig arbeiten!

5. Glauben Sie mir bitte, dass ich den Schülern das zu vermitteln versuche, was nach meiner Einsicht (40 Jahre Textarbeit – Motto „präziser, bitte!“) wichtig und richtig ist, auch wenn andere Kollegen… Tn

Eine Parabel von der gerechten Beurteilung: „Die Schnellläufer“

Hans Chr. Andersen: Die Schnellläufer

Ein Preis war ausgesetzt, sogar zwei Preise, ein kleiner und ein großer, für die größte Schnelligkeit, aber nicht in einem einzigen Lauf, sondern über das ganze Jahr verteilt.

»Ich bekam den ersten Preis«, sprach der Hase; »Gerechtigkeit muss schließlich sein, wenn Verwandte und gute Freunde im Preisrichterkollegium sitzen; dass aber die Schnecke den zweiten Preis erhielt, finde ich fast beleidigend für mich!«

»Nein,« versicherte der Zaunpfahl, der Zeuge bei der Preisverteilung gewesen war, »man muss auch Fleiß und den guten Willen berücksichtigen; das sagten mehrere achtbare Preisrichter, und das habe ich wohl begriffen. Die Schnecke hat freilich ein halbes Jahr gebraucht, um über die Türschwelle zu gelangen; allein, sie hat sich einen Schaden zugezogen, hat sich das Schlüsselbein gebrochen bei der Eile, die es doch für sie war. Sie hat ganz und gar für ihren Lauf gelebt, und sie lief mit ihrem Hause auf dem Rücken! Das alles ist sehr charmant, und sie bekam deshalb auch den zweiten Preis.«

»Mich hätte man doch auch berücksichtigen können«, sagte die Schwalbe; »ich sollte meinen, dass niemand sich schneller als ich im Flug und Schwung gezeigt hat. Und wie weit bin ich herumgekommen, weit, weit, ganz weit!«

»Ja, das ist gerade Ihr Unglück«, sprach der Zaunpfahl, »Sie sind zu flatterhaft! Immer müssen Sie auf die Fahrt, sogar ins Ausland, wenn es hier zu frieren beginnt. Sie haben keine Vaterlandsliebe! Sie konnten deshalb nicht berücksichtigt werden.«

»Wenn ich nun aber den ganzen Winter hindurch in der Moorheide läge«, erwiderte die Schwalbe, »wenn ich also die ganze Zeit schliefe, würde ich dann in Betracht gezogen?«

»Bringen Sie eine Bescheinigung der alten Moorfrau, dass Sie die halbe Zeit im Vaterland verschlafen haben, dann sollen Sie berücksichtigt werden.«

»Ich hätte eigentlich den ersten Preis und nicht den zweiten verdient«, sprach die Schnecke. »Denn ich weiß genau, dass der Hase nur aus Feigheit gelaufen ist, weil er jedes Mal meinte, es sei Gefahr im Verzug. Ich hingegen habe mir Laufen zur Lebensaufgabe gemacht und bin im Dienst zum Krüppel geworden. Sollte überhaupt jemand den ersten Preis bekommen, dann wäre ich es. – Aber ich verstehe es nicht, mich vorzudrängen, so etwas verachte ich.«

»Ich kann mit Wort und Rede dafür geradestehen, dass jeder Preis – wenigstens mit meiner Stimme – unter dem Aspekt der Gerechtigkeit gegeben worden ist«, sprach der alte Grenzpfahl im Wald, der Mitglied des entscheidenden Richterkollegiums war. »Ich gehe stets systematisch, mit Überlegung und Berechnung vor. Siebenmal habe ich früher bereits die Ehre gehabt, bei der Preisvergabe dabei zu sein und mitzustimmen, aber erst dieses Mal habe ich mich durchsetzen können. Ich bin bei jeder Abstimmung von etwas Bestimmtem ausgegangen; ich bin beim ersten Preise von vorne im Alphabet, beim zweiten von hinten ausgegangen. Passen Sie nun gut auf, ich will Ihnen das genau erklären. Der achte Buchstaben von A aus ist H, da haben wir den Hasen, und deshalb erkannte ich dem Hasen den ersten Preis zu; der achte Buchstabe von hinten ist S, und deshalb erhielt die Schnecke den zweiten Preis. Das nächste Mal wird ein Tier mit I erster und eines mit R zweiter. Es muss bei allen Dingen Ordnung herrschen! Man muss für sein Urteil immer ein bestimmtes Kriterium haben.«

»Ich hätte freilich für mich selbst gestimmt, wenn ich nicht unter den Richtern gewesen wäre«, sagte der Maulesel, der gleichfalls Preisrichter war. »Man muss nicht allein die Schnelligkeit berücksichtigen, mit welcher man vorwärts kommt, sondern auch andere Eigenschaften, zum Beispiel wie viel jemand zu ziehen vermag. Doch das wollte ich dieses Mal nicht hervorheben, auch nicht die Klugheit des Hasen auf der Flucht, wenn er plötzlich einen Sprung seitwärts macht, um die Verfolger auf eine falsche Fährte zu leiten, damit sie nicht wissen, wo er steckt. Nein, es gibt noch etwas, worauf viel Gewicht liegt und das man nicht außer Acht lassen darf – ich meine das, was man das Schöne nennt. Auf das Schöne richtet sich hauptsächlich meine Aufmerksamkeit; ich schaute mir die schönen, wohlgeformten Ohren des Hasen an, es ist eine wahre Freude zu sehen, wie lang die sind. Mir kam es vor, als sähe ich mich selber in meiner Kindheit Tagen, und so stimmte ich für den Hasen!«

»Pst«, sagte die Fliege, »ich will keine Rede halten, ich will nur kurz etwas sagen, – will nur sagen, dass ich mehr als einen Hasen eingeholt habe. Letzthin zertrümmerte ich einem der jüngsten die Hinterläufe; ich saß auf der Lokomotive vorn am Bahnzug – das tue ich oft, man erlebt so am besten seine eigene Schnelligkeit. Ein junger Hase lief lange Zeit vor der Lokomotive her, er hatte keine Ahnung, dass ich zugegen war; endlich aber musste er ausweichen, aber da zerschmetterte die Lokomotive ihm die Hinterbeine, denn ich saß auf ihr. Der Hase blieb liegen, ich fuhr weiter. Das heißt doch wohl ihn besiegen! – Allein, ich brauche den Preis nicht.«

»Mir scheint freilich«, dachte die wilde Rose, aber sie sagte es nicht, denn es ist nun einmal nicht ihre Natur, sich auszusprechen, obwohl es gut gewesen wäre, wenn sie es getan hätte – »mir scheint freilich, dass der Sonnenstrahl den ersten Ehrenpreis und auch den zweiten hätte bekommen müssen. Der Sonnenstrahl fliegt im Nu den unermesslichen Weg von der Sonne zu uns herab und kommt mit einer Kraft an, dass die ganze Natur dabei erwacht. Er besitzt eine solche Schönheit, dass wir Rosen alle erröten und duften. Das hohe Gericht scheint dies gar nicht bemerkt zu haben! Wäre ich der Sonnenstrahl, dann bekäme jeder von ihnen einen Sonnenstich – allein, der würde sie nur toll machen, aber das werden sie ohnehin. Ich sage nichts!« dachte die wilde Rose. »Friede soll im Wald herrschen! Herrlich ist’s, zu blühen, zu duften und zu leben, in Sang und Sage fortzuleben. Der Sonnenstrahl überlebt uns doch alle!«

»Was ist der erste Preis?« fragte der Regenwurm, der die Zeit verschlafen hatte und nun erst hinzukam.

»Der besteht im freien Zutritt zu einem Kohlgarten«, antwortete der Maulesel; »ich habe diesen Preis vorgeschlagen. Der Hase musste und sollte ihn haben, und so nahm ich als vernünftig denkendes und handelndes Mitglied Rücksicht auf den Nutzen dessen, der ihn erhalten sollte; jetzt ist der Hase versorgt. Die Schnecke darf auf dem Zaun sitzen und sich an Moos und Sonnenschein erfreuen; sie ist ferner zu einem der ersten Preisrichter beim Schnelllaufen bestimmt worden – es ist sehr viel wert, Fachleute im Komitee zu haben. Ich muss sagen, ich erwarte viel von der Zukunft; wir haben schon einen recht guten Anfang gemacht!«

Als ehemaliger Lehrer interessiert mich eine Parabel über die gerechte Bewertung von Leistungen, die in Hans Christian Andersens Erzählung „Die Schnellläufer“ vorliegt. Darin wird ausgezeichnet, wer „die größte Schnelligkeit … über das ganze Jahr verteilt“ erbracht hat. Dieses Kriterium ist in sich unsinnig, denn die größte Schnelligkeit kann man nur in einem bestimmten Lauf erzielen; es ist aber so gefasst, damit auch die Schnecke zum Zuge kommen kann, die schließlich den zweiten Preis bekommt, während der schnelle Hase den ersten Preis davonträgt.

Im Gespräch verschiedener Teilnehmer wird die Preisverleihung diskutiert, wobei die Diskutanten sowohl sich selbst wie auch ihre Kriterien bloßstellen. Das Gespräch dreht sich i. W. um die Fragen,

  • warum der Hase den ersten Preis errungen hat,
  • warum die Schnecke den zweiten Preis bekommen hat,
  • warum die Schwalbe keinen Preis gewonnen hat;

die Rose schließlich lehnt den ganzen Wettbewerb ab.

Warum hat der Hase gewonnen? Nicht weil er schnell gelaufen ist, sondern weil er Verwandte und Freunde im Preisrichterkollegium hat (so der Hase), weil er beim Laufen Haken schlägt, weil er so schöne lange Ohren hat (so der Maulesel) und weil H wie Hase der achte Buchstabe im Alphabet ist (so der Grenzpfahl). Diese Argumente sind so lächerlich wie die Begründungen dafür, dass ausgerechnet der Schnecke (schon in sich ein Witz!) der zweite Preis zuerkannt worden ist.

Bleibt noch zu klären, warum die Schwalbe keinen Preis gewonnen hat, obwohl sie doch am schnellsten fliegt (so die Schwalbe). Das begründet der Zaunpfahl – ausgerechnet ein Zaunpfahl und ein Grenzpfahl als Preisrichter, die sich um keinen Zentimeter bewegen können! – ganz unsachlich damit, dass die Schwalbe auch ins Ausland fliegt, ergo keine Vaterlandsliebe habe, aber für einen Preis in Betracht käme, wenn sie den Winter in der Moorheide verschliefe, also sich durchaus nicht bewegte (paradox!); die „Vaterlandsliebe“ zählt eben mehr als die Leistung.

Über die Arroganz der Fliege braucht man kein Wort zu verlieren; die Überlegungen des Grenzpfahls und des Maulesels sprechen für die Willkür, nach der die Leistungen der verschiedenen Tiere bewertet werden. Der Clou steht am Schluss: Die Schnecke wird zum Preisrichter beim Schnelllaufen ernannt, weil man ja schließlich Fachleute im Komitee haben muss.

Die Rose beteiligt sich nicht am Streitgespräch, sondern weist in ihren stillen Überlegungen alle Begründungen der Diskutanten zurück: Sie verweist auf die Schnelligkeit des Lichtes und die Schönheit der Sonne, welche die Rosen zum Leben erweckt (wieder die egozentrische Sicht). Aber dann kommt ihr entscheidendes Argument, das die ganze Preisrichterei als sinnlos erklärt: „Herrlich ist’s, zu blühen, zu duften und zu leben…“ Und wenn man dabei rennt, ist es auch gut; es braucht aber nicht ausgezeichnet zu werden. Mir scheint, dass die Rose das ausspricht, was Andersen mit seiner Parabel „sagen“ will – wenn man denn fragt, was er wohl sagen will, und sich nicht einfach an der herrlichen Geschichte erfreut.

Wenn man, ohne die Rose zu hören, über eine gerechte Bewertung der schnellen Bewegung nachdenkt, muss man natürlich Schwalbe und Hase als mögliche Sieger berücksichtigen, während die Fliege und erst recht die Schnecke dafür nicht in Betracht kommen; denn es wird nach der der größten Schnelligkeit gefragt – das ist eine eindeutige Frage (allerdings ohne den Zusatz „über das ganze Jahr verteilt“).

Die Erzählung erinnert mich an einen Cartoon, der vor 50 Jahren unter progressiven Lehrern verbreitet war: Da standen, wenn ich mich recht erinnere, ein Pinguin, ein Affe, ein Elefant und noch ein Tier – sagen wir Hase oder Igel – vor einer Palme und bekamen den Auftrag (= die Aufgabe), den Baum hochzuklettern; klar ist, dass nur der Affe diese Aufgabe lösen kann. Mit dem Cartoon wurde dagegen polemisiert, dass in der Schule allen Schülern die gleichen Aufgaben gestellt werden, obwohl vermeintlich klar ist, dass manche sie gar nicht lösen können, also mit einer Benotung ihrer Leistung zu Unrecht bestraft werden. Nun kann man natürlich zweifeln, ob die Unterschiede zwischen Kindern angesichts der schulischen Aufgaben so groß sind wie die zwischen Affe und Pinguin beim Klettern; unbestritten ist, dass es Unterschiede in der Begabung gibt. Aber wenn man nicht alle nach dem Kriterium der Leistung beurteilt, sondern die Aspekte des Hasen, des Maulesels, des Grenz- und des Zaunpfahls beachtet, dann landet man wieder in der Ständegesellschaft, wo Geld und Beziehungen das Fortkommen bestimmt haben. Das Kriterium der Leistung ist ein explizit bürgerliches Kriterium, das den Vorteil der vornehmen Herkunft ausschaltet.

Wiederum eine andere Frage ist es, ob man schwächer oder einseitig begabte Kinder gezielt fördern kann und will – das ist unter anderem (aber nicht nur) eine Frage des Geldes, das der Staat oder die Kommune für die Schule locker machen. Unterschiedliche Begabung darf aber kein Grund sein, von einer Bewertung nach den gleichen Kriterien abzusehen; eher sollte man (vor allem die Eltern!) mit der Rose überlegen, worauf es im Leben letztlich ankommt. Ich halte es jedenfalls gesellschaftlich für höchst bedenklich, wenn man die Anforderungen an die Schüler permanent senkt, nur damit alle (auch die mit einem IQ unter 100) Abitur machen können, was seit Jahren ein schulpolitischer Trend ist und durch die zentralen Prüfungen mit ihren klein gehackten Aufgabenstellungen (und der entsprechenden Vorbereitung darauf) befördert wird.

Drei Merksätze für Schüler

Schweres kann leicht werden.

Greif an ein Werk, und wirf den Mut nicht bald zu Erden;

Was schwer ist, kann durch Fleiß und Übung leichter werden.

(Aus dem Arabischen des Kalifen Ali)

……….

Wer unbedingt dich lobt, der lobt dich wirklich nicht,

Weil, wo Begrenzung fehlt, auch der Gehalt gebricht.

Der lobt dich, wer bedingt dich lobt im Gegensatz

Anweisend unter viel Gelobten deinen Platz.

(Rückert, Weisheit des Brahmanen)

……….

Menschen von dem ersten Reise

Lernen kurze Zeit und werden weise;

Menschen von dem zweiten Range

Werden weise, lernen aber lange;

Menschen von der letzten Sorte

Bleiben immer dumm und lernen Worte.

(Schi-King)

Das Drama des begabten Kindes – in der Schule

Das Drama des begabten Kindes“ war ein Bestseller der Alice Miller; über dieses Buch informieren die unten verlinkten Texte. Mir geht es dagegen um ein Drama des intellektuell begabten Kindes, dem alles leicht zufliegt.

Wenn ein solches Kind nicht auf Lehrer trifft, die zugleich „fördern und fordern“, dann gereicht ihm seine Begabung nicht zum Nutzen: Es braucht nicht ernsthaft zu arbeiten, um sich in der Spitzengruppe der Klasse halten; wenn es aber nicht regelmäßig zu arbeiten lernt, dann kann es nicht arbeiten, wenn es arbeiten können müsste – spätestens im Studium. Es hat sich daran gewöhnt, dass es „auch so“ durchkommt – bis es eben auf einmal nicht mehr auch so, ohne zu arbeiten, durchkommt. Und dann ist es oft zu spät, um das Steuer noch herumzureißen, und das einst begabte Kind wird – beruflich – ein mittelprächtiger Erwachsener.

Ich erinnere mich besonders gut an zwei Fälle. Der erste war D., ein wirklich begabter Junge oder junger Mann, der ohne zu arbeiten bei mir in Deutsch eine 3 bekam, was immerhin etwas heißt. Warum sollte er auch arbeiten? Das Leben war schön und es genügte ihm, aufmerksam dem Unterricht zu folgen. Er ging dann zum Studium an die RWTH Aachen; dort hat er keinen Abschluss geschafft, weil an der RWTH bei den Ingenieuren erbarmungslos gesiebt wird und man mit D.s lascher Einstellung dort keinen Blumentopf gewinnen kann. Nach dem Abbruch/Ende des Studiums hat er gejobt; was er jetzt macht, weiß ich nicht.

Der zweite Fall war L., eine begabte eloquente Schülerin mit schneller Auffassung, die sich aber nur gelegentlich zum Arbeiten aufraffte und die es gewohnt war, damit gute Noten zu bekommen. Als sie damit einmal bei mir in einer Klausur auf „befriedigend“ kam, haben ihre Eltern ein Riesentrara veranstaltet, einschließlich einer Beschwerde bei der Schulaufsicht in Düsseldorf: Ich versaute ihrer Tochter mit so einer Note die geplante große Karriere… L. wechselte dann in einen anderen Kurs, wo sie allerdings auch nicht über 2- hinauskam. Sie hat dann eines der weichen Fächer studiert und arbeitet, ohne ihr großes Berufsziel erreicht zu haben, mittlerweile als Angestellte in einem Konzern.

Fazit: Niemandem ist damit gedient, wenn man ihm gute Noten hinterherschmeißt; niemandem ist damit gedient, wenn man ihm „gute“ Leistungen bescheinigt, obwohl man keine Leistung verlangt hat – und es ihm durch guten Unterricht ermöglicht hat, diese Leistung auch zu erbringen. Aber das ist ein weites Feld: Es gibt viele Kollegen, die sich ihre Ruhe damit erkaufen, dass sie gute Noten mit der Gießkanne ausschütten – kluge Schüler und die Kollegen belächeln das, der Schulleiter und die Eltern freuen sich, und der Kollege, der als Nachfolger einer solchen Flasche arbeitet, kann dann eine sehr heiße Suppe auslöffeln.

Zum Buch der Alice Miller:

https://de.wikipedia.org/wiki/Alice_Miller#Das_Drama_des_begabten_Kindes_(1979,_Neufassung_1994) (Inhalt, kurz)

http://www.irwish.de/PDF/Miller/Miller-Drama_des_begabten_Kindes.pdf (Text?)

https://www.hausarbeiten.de/document/106858 (eine Hausarbeit als „Analyse“)

Erziehung zum Fleiß?

In meiner Schulzeit gab es die Kopfnoten im Zeugnis, in denen die Lernhaltung des Schülers bewertet wurde. Dazu gehörte „Fleiß und Aufmerksamkeit“. Ohne dass ich hier diskutieren möchte, ob es sinnvoll war, die Kopfnoten abzuschaffen, halte ich es für fraglos richtig, dass Erziehung zum Fleiß eine wichtige Aufgabe der Schule ist. Damit komme ich zu einem aufschlussreichen Aufsatz, in dem die semantische und soziale Bedeutung von „Fleiß“ in der Neuzeit skizziert wird – und das ist zugleich ein Anlass, auf den heute weithin unbekannten Otto Friedrich Bollnow hinzuweisen, der zwischen Pädagogik und Philosophie dahinsegelte und eine Philosophie gesucht hat, die dem wirklichen Menschen zugewandt war. Hier also ein Auszug aus seinem Aufsatz über den Fleiß:

Die Romantik bekämpft die aufklärerische Schätzung des Fleißes nicht als unsittlich, sondern sie verspottet sie nur als kleinlich. Das bedeutet: In irgendeiner Weise erkennt sie ihren Wert schon an, nur daß dieser Wert als niedrig, als verächtlich angesehen wird. Oder genauer: Der Wert als Wert wird nicht angefochten, sondern lediglich die Haltung, die diesen Wert als den höchsten nimmt und darüber andere und in Wirklichkeit höhere Werte nicht sieht. Es handelt sich nicht um die Alternative von Wert und Unwert, sondern um die Rangordnung zwischen höherem und niedrigerem Wert.

Und in dieser Richtung dürfte dann die Auflösung überhaupt zu suchen sein. Der Fehler der Aufklärung lag darin, daß sie den Fleiß und die ganze Gruppe der bürgerlichen Tugenden, deren Wert sie entdeckte, zugleich verabsolutierte, indem sie diese zu den schlechthin entscheidenden Tugenden erhob. Demgegenüber gilt es zu erkennen: Der Fleiß ist keine von den „hohen“ Tugenden, keine von denen, die dem menschlichen Leben einen letzten Sinn geben. Dies erkannt zu haben, und daß die Verabsolutierung dieser Tugenden schließlich dem menschlichen Leben seine Erfüllung nimmt (ihm „die Rückkehr ins Paradies verwehrt“), ist dann die besondre Leistung der Romantik. Und es kommt darauf an, diese Leistung zu bewahren. Der Fleiß ist eine relative und keine absolute Tugend. Aber diese Relativierung des Fleißes darf nicht dazu führen, den Fleiß überhaupt abzulehnen oder verächtlich zu machen, und indem sich die Romantik in ihrer Freude an der provozierenden Formulierung dazu hinreißen ließ, fiel sie aus der Bekämpfung der einen Verkehrung in die entgegengesetzte, aber nicht minder verderbliche Verkehrung, aus dem Kampf gegen die Verabsolutierung des Fleißes in seine grundsätzliche Verneinung. In Wirklichkeit aber bedeutet die Relativierung der Tugend des Fleißes nicht seine Negierung, sondern es kommt darauf an, seine Stelle als dienende Tugend im größeren Ganzen einer sinnvollen Rangordnung der Tugenden richtig zu bestimmen. Er ermöglicht nicht nur nach außen hin den geregelten Haushalt des Lebens, sondern ist auch nach innen hin ein notwendiges Glied jeder Disziplinierung. Faulheit ist Zuchtlosigkeit. Und erst auf dem Boden eines angespannten und in sich notwendig asketischen Fleißes werden dann die höheren Leistungen des sittlichen Lebens ermöglicht. […]

Seine besondere Bedeutung gewinnt damit aber der Fleiß unter dem pädagogischen Gesichtspunkt. Die Erziehung zum Fleiß bedeutet in der Tat den Grundstein aller sittlichen Erziehung. Er hat eine disziplinierende Kraft, die schlechterdings durch keine andre Tugend ersetzt werden kann und die weit über den Umkreis des wirtschaftlichen Lebens hinausgeht. Freilich liegt in ihm (wie in jeder Tugend) zugleich die Gefahr der Entartung. Das ist einmal die Verengung des Blicks auf den Umkreis des bloß Nützlichen und damit die Gefahr des Banausischen. Das ist zweitens sodann die Neigung zum Übereifer und damit die Gefahr eines blinden Fanatismus. Und beiden Gefahren gegenüber bedarf es dann zugleich des ironischen Abstands, wie ihn die Romantik uns in unvergleichlicher Weise gelehrt hat, ohne dabei wieder umgekehrt der spielerischen Verantwortungslosigkeit zu verfallen.

(Otto Friedrich Bollnow: Der Fleiß. Ein Beitrag zur Geistesgeschichte der Tugendbegriffe, 1949 = https://bollnow-gesellschaft.de/getmedia.php/_media/ofbg/201504/454v0-orig.pdf

Man findet verschiedene Arbeiten Bollnows auf der Seite der Bollnow-Gesellschaft: https://bollnow-gesellschaft.de/schriften/ Bei der Übertragung ins pdf-Format haben sich einige Fehler eingeschlichen, damit muss man als vernünftiger Leser rechnen.

Etwas lernen wollen

In einem Brief an Lucilius schrieb Seneca: „Je mehr die Seele aufnimmt, desto mehr erweitert sie sich, diese Lehre gab uns, wie ich mich erinnere, Attalus, als wir seine Schule belagerten“, und er zitiert dann einen Satz seines Lehrers: „Dasselbe Ziel muss sowohl der Lehrende als der Lernende haben, jener, dass er nützen, dieser, dass er Nutzen ziehen wolle.“ Anders gesagt, der Lehrer muss lehren und der Schüler lernen wollen.

Das hört sich banal an, ist es aber nicht; im Zeitalter des Internets wollen manche Schüler nur ein Ergebnis gezeigt bekommen – copy and paste, ohne sich mit dem Gegenstand auseinanderzusetzen. Oder wie mir einmal ein Schüler, dem ich Nachhilfe gegeben habe, zu einer literaturgeschichtlichen Epoche sagte: „Ich brauche fünf Schlagworte, die ich immer reinhauen kann.“ Dieser Schüler wollte nichts lernen; aber dass er mit den fünf Schlagworten durchgekommen ist, zeigt, dass seine Lehrerin auch nicht lehren wollte.

Leider erinnere ich mich daran, dass ich als Schüler am Gymnasium oft auch nichts lernen wollte; einmal war ich ein guter Schüler, der das vermeintlich nicht nötig hatte, und zum anderen waren viele unserer Lehrer Witzfiguren, von denen man allein deshalb nichts lernen wollte.

Mein Credo in meiner Dienstzeit lautete: „Ein guter Schüler lernt bei jedem Lehrer etwas, ein schlechter bei keinem, und nur für die anderen kommt es auf die richtigen Lehrmethoden an.“ Das würde ich jetzt nicht mehr so unbedingt sagen: Es kommt immer auf die Persönlichkeit und das Engagement des Lehrers und auf seine Lehrmethoden an – aber ein guter Schüler lernt selbst dann etwas, wenn nicht alles in Ordnung ist.

Ich füge noch einige Fragmente Demokrits (um 500 v.u.Z.) an:

Natur und Erziehung sind verwandt. Denn die Erziehung wandelt den Menschen um; indem sie ihn aber umwandelt, schafft sie eine neue Natur. (95)

Es werden mehr Leute durch Schulung als durch natürliche Begabung tüchtig. (96)

Man kann es weder in einer Kunst noch in einer Wissenschaft zu etwas bringen, ohne dass man lernt. (97)

Edle Güter erarbeitet man sich nur durch anstrengendes Lernen, gemeine aber erntet man von selbst ohne Anstrengung. (98)

Einem minderwertigen Menschen untergeben zu sein ist schwer. (148)

Die Fragmente sind nach einer Ausgabe von Wilhelm Nestle zitiert: https://archive.org/details/dievorsokratiker00nestiala/page/174/mode/2up

Blick von außen aufs Lernen

Lauriger Horatius, quam dixisti verum:

Hoc fonte derivata clades

In patriam populumque fluxit!

Ihr müßt durch alle Schule wandern
Und schon von Kindesbeinen an,
Von einem Lehrer zu dem andern,
Zu lernen, was man lernen kann.

Ihr müsset immerfort studieren,
Das halbe liebe Leben lang,
Ihr müsset zeitig euch dressieren
In einen schulgerechten Zwang.

Ihr müsset Prüfungen bestehen,
Die selbst ein Hiob kaum bestand,
Und dann noch bitten, betteln, flehen,
Als suchet ihr‘s gelobte Land.

Was ist denn euer Ziel auf Erden
Für so viel Kräfte, Geld und Zeit ?
Ihr wollet nur Bedienten werden
Und bleiben bis in Ewigkeit.

Hoffmann von Fallersleben, Unpolitische Lieder I, 1840

„Eulenäugig“ und andere Fehler

Ich habe vor ein paar Tagen angefangen, die Odyssee zu lesen, und zwar in der Übersetzung von Robert Hampe. Dabei ist mir sogleich aufgefallen, dass Athene „die Göttin mit strahlenden Augen“ ist. Das erinnert mich an unsere hilflose wörtliche Übersetzung von glaukopis: „eulenäugig“. Wie kann eine Göttin mit Eulenaugen schön sein, haben wir vor 60 Jahren gedacht, vermutlich aber nicht zu fragen gewagt – die Übersetzung war ja „richtig“.

Nein, sie war nicht richtig, wie ich seit ein paar Tagen weiß: Mit „eulenäugig“ sind vermutlich große Augen gemeint, und große Augen machen Frauen und Mädchen schön. Das hätte unser Griechischlehrer als Mann wissen können, vielleicht wusste er es auch; aber er hat es uns nicht erklärt, vielleicht schickte sich das damals angeblich nicht, wer weiß, oder er hat sich einfach nichts angesichts einer „richtigen“ Übersetzung gedacht. [Der Fairness halber sei gesagt, dass nach Gemolls Schul- und Handwörterbuch (9. Aufl.) glaukopis eher von glaukos: glanz-, strahlenäugig abzuleiten ist; dem folgt auch Hampes Übersetzung.]

Dieser Fehler unseres Griechischlehrers veranlasst mich, weitere Fehler unserer Lehrer am Gymnasium zu benennen – die menschlichen Flegeleien und Unverschämtheiten, die sie sich herausgenommen haben, sollen hier nicht ausgebreitet werden, sondern methodische Fehler, welche auch heute Kollegen unterlaufen könnten.

Dazu fällt mir unser Lateinlehrer Karl Möller ein. „Gallia est omnis divisa in partes tres…“, so beginnt Caesars De bello gallico. Wie übersetzt man „omnis“ am besten? Wir haben alles probiert, „das ganze Gallien“, „Gallien insgesamt“, alles passte ihm nicht, bis er nach einer Viertelstunde Raten uns die „richtige“ Übersetzung vorsagte: „Gallien in seiner Gesamtheit“. Diese Wendung lag außerhalb unseres Sprachgebrauchs, und sie ist auch nicht besser als andere Übersetzungen; aber Herr Möller kannte sie (irgendwoher) und fand sie die einzig angemessene, und deshalb hatten wir sie auch zu finden.

Noch viel schlimmer war, dass er, als er uns in Klasse 8 übernahm, uns auftrug, eine feste Kladde zu besorgen, die wir immer bei uns zu führen hatten und in die er bei Bedarf einzelne Abschnitte aus der lateinischen Grammatik diktierte. Dabei besaßen wir alle eine in der Schule als Lehrbuch eingeführte Grammatik; aber darin stehe nur „zeilenfüllender Mist“, befand Herr Möller, deshalb diktierte er uns die „richtige“ Grammatik, wie es ihm im Augenblick einfiel. Selbst wenn unsere Grammatik nicht gut gewesen wäre, hätte er das mit uns im Einzelfall erarbeiten können, ja müssen; jedenfalls hätte er uns beibringen sollen, wie man mit einer Grammatik arbeitet – das habe ich in neun Jahren am Kreisgymnasium Heinsberg nicht gelernt; ich habe es aber meinen Schülern am FMG beizubringen versucht, indem wir den Schülerduden Grammatik als Lehrbuch in Kl. 5-7 benutzt haben (vergeblich habe ich versucht, meine Deutschkollegen für diese Idee zu begeistern). Und wenn wir dort einen Fehler oder eine Unsauberkeit gefunden haben, wurde das Problem in der Klasse besprochen; dann haben wir (resp. ich) an die Redaktion des Schülerdudens geschrieben, und deren Antwort wurde in der Klasse ans Schwarze Brett geheftet.

Wenn mir noch weitere Klopse einfallen…

Erziehung und Lebenskunst

Als einen Kommentar zur letzten Strophe von Goethes Gedicht „Dauer im Wechsel“ („Danke, dass die Gunst der Musen…“) lese ich eine Bemerkung der Malwida von Meysenbug in ihren „Memoiren einer Idealistin“, Bd. 2, S. 145 (https://archive.org/details/memoireneineride00meysuoft/page/n601): „Wir sprachen über die Kunst des Lebens überhaupt und wie wenige, selbst unter den Guten, es verstehen, das Leben vor Zersplitterung, vor Aufgehen in dem ‚Verfänglichen des irdischen Geschwätzes‘ zu hüten und die flüchtige Zeit zu retten für das, was ‚allein Not tut‘ im höchsten ethischen Sinn.“ Sie kam mit dem Arzt Löwe, den man als Lebenskünstler gerühmt hatte, „überein, dass die höchste Aufgabe der Erziehung sein sollte, diese Kunst des Lebens auszubilden, damit das ganze Dasein nur ein fortwährendes Enthüllen und Ausarbeiten einer erhabenen Idee in uns würde, mit der wir uns selbst zum höchsten Kunstwerk umgestalten und das Leben von den Fesseln des ‚Nichts in ewiger Bewegung‘ erlösen könnten“.

„Ein schöner Fehler“ – Fehlerkultur in der Schule?

Wenn ich im Unterricht gelegentlich zu einem Schülerbeitrag „ein schöner Fehler“ gesagt habe, haben die Schüler meistens gelacht, weil sie das als ironischen Kommentar verstanden haben. Es war aber immer ernst gemeint: Ein schöner Fehler ist ein Fehler, bei dem der Lehrer sieht, dass ein Schüler nachgedacht, aber an einer Stelle einen falschen Weg eingeschlagen hat, woran man der Klasse erklären oder mit der Klasse erarbeiten kann, wieso dieser Weg nicht zu einer richtigen Lösung führt. Ein schöner Fehler ist also ein Beitrag zum Verständnis eines Problems, ein wichtiger Beitrag zum Unterricht, weshalb ich einen schönen Fehler oft mit einer 2 benotet habe (es wäre sogar die 1 zu erwägen) – dabei habe ich selten einzelne Beiträge mit einer Note in meinem Büchlein bewertet (in jedem Fall die, in denen mich ein Schüler korrigieren konnte, mit 1).

Allgemeiner gesprochen: 1. In der Schule muss eine Fehlerkultur eingerichtet werden – die Schüler müssen ermutigt werden, auf eigenen Wegen die Lösung der Probleme zu versuchen, auch wenn dabei „Fehler“ auftreten. 2. Es muss deutlich unterschieden werden zwischen einer Phase, in der man Fehler machen darf, und der Phase (speziell in Klassenarbeit oder Klausur), in der die Fehler tunlichst zu vermeiden sind. 3. Den Schülern muss der Unterschied dieser beiden Phasen und ihre Dauer resp. ihr Beginn deutlich gemacht werden – deutlicher jedenfalls, als ich das getan habe (andernfalls hätten Schüler nicht über meine Bemerkung „ein schöner Fehler“ gelacht). 4. In diesem Zusammenhang ist natürlich klar, dass ein Lehrer Schülerbeiträge nicht (nur) nach richtig und falsch sortieren darf, sondern dass er vor allem „geratene“ Lösungen von gedachten unterscheidet, also versucht zu verstehen, auf welchen Wegen Schülerbeiträge zustande gekommen sind. 5. Damit ist jede Rechthaberei – sowohl der Schüler wie des Lehrers – aus der Schule zu verbannen; jeder kann Fehler machen, und was ein Fehler ist, wird nicht durch „meine Meinung“, sondern allein durch sachliche Argumente entschieden.

Nicht vor Irrtum zu bewahren, ist die Pflicht des Menschenerziehers, sondern den Irrenden zu leiten, ja ihn seinen Irrtum aus vollen Bechern ausschlürfen zu lassen, das ist Weisheit der Lehrer. Wer seinen Irrtum nur kostet, hält lange damit haus, er freuet sich dessen als eines seltenen Glücks, aber wer ihn ganz erschöpft, der muß ihn kennen lernen, wenn er nicht wahnsinnig ist.“ (Der Landgeistliche zu Wilhelm, in „Wilhelm Meisters Lehrjahre“, siebentes Buch, 9. Kapitel)

http://www.umsetzungsberatung.de/unternehmenskultur/fehlerkultur.php

www.schul-in.ch/myUploadData/intranet_redaktion/Tagung Lerncoaching_2013/Unterlagen/Atelier_07_Umgang_mit_Fehlern.pdf

http://sinus-sh.lernnetz.de/sinus/materialien/sinus-module/Modul-3.pdf (mit verlinkten Materialien)

http://de.wikipedia.org/wiki/Fehlerkultur

http://www.mathematik.uni-dortmund.de/~prediger/veroeff/09-Prediger_Wittmann_PM27_Webversion.pdf (am Beispiel Mathematik)

Die Links zum Thema „Fehlerkultur“ verlieren schnell ihre Gültigkeit, stelle ich fest.