„Kabale und Liebe“
Eine Pantomime in Regieanweisungen von Friedrich Schiller
Unter diesem Titel hat Gustav Seibt eine Reihe (längst nicht alle!) Regieanweisungen des Stücks zusammengestellt und so daraus das „Drehbuch“ einer Pantomime entwickelt (SZ, 10. November 2009). In den überaus zahlreichen Regieanweisungen seines Stücks gibt Schiller vor, wie die Figuren auftreten und sprechen oder wie sie sich bewegen; was sie sagen, fehlt also völlig – das wird in diesem Stück jedoch teilweise in der Expressivität des Agierens ausgeglichen („Sturm und Drang“). – Was Seibt herausdestilliert hat, liest sich so:
„3. Akt
Präsident: verdrüßlich. Wurm: munter. Hofmarschall: eilfertig. Luise: sehr ernsthaft. Ferdinand: das Gesicht verzerrt und an der Unterlippe nagend. Wurm: kommt näher. Luise: Sie dreht sich um, wird den Sekretär gewahr und tritt erschrocken zurück. Wurm lacht überlaut. Luise: schreibt mit zitternder Hand. Blickt ihn starr und durchdringend an. Groß und schrecklich. Wurm: zieht sie fort.“
Wer das Drama kennt, sieht sofort, dass erstens viele wichtige Regieanweisungen (und damit Handlungen der Figuren) fehlen. Zweitens wird die thematische Problematik überhaupt nicht erfasst: wie Luise in einem Konflikt zwischen Pflicht und Neigung steht; wie bürgerliche Ehe und romantische Liebe kollidieren; wie „die Liebe“ zum Medium der Selbstfindung junger Menschen und damit ihrer Ablösung von der Herkunftsfamilie wird.
Das sollte man alles bedenken, wenn man fragt:
- Wie erfasst man überhaupt die Bedeutung eines Dramas?
- Was können Standbilder dabei leisten?
Ein Standbild ist ja, wenn man so will, die Ausarbeitung einer Regieanweisung in einer Momentaufnahme des szenischen Geschehens. Aber erst die gesamte Abfolge solcher Momente macht das szenische Spiel aus. Und dem szenischen Spiel fehlen immer noch die Worte, fehlt der Text. Ein Standbild ist also die Reduktion eines einzigen Aspekts (des szenischen Spiels) auf einen einzigen Moment, nicht mehr und nicht weniger.
Aristoteles war ein Philosoph der guten alten Zeit. Nach seinem Verständnis genügte es, wenn man den Text einer Tragödie kannte und verstand – er begründete so die Theorie, das Lesedrama sei das Ganze. Das ist sicher verengt, und im Zeitalter leichter Reproduzierbarkeit von Aufführungen auch, anders als zu Aristoteles’ Zeiten, nicht mehr theoretisch plausibel; ob Standbilder heute noch erforderlich sind, um die Aristotelischen Einseitigkeiten zu korrigieren?
Zweite Frage an die Standbild-Theoretiker: Alles, was unter den Stichworten „Werktreue“ und Inszenierung diskutiert wird (Welcher Text wird gesprochen? Wie sind die Figuren konzipiert? In welchen Kostümen treten sie in welchen Räumen auf?), bleibt beim Bau von Standbildern unbedacht, unbeachtet – wie rechtfertigt ihr das?
Standbilder bauen lassen, damit aktiviert man die jungen Menschen; aber zum Verständnis eines Dramas führt man damit nur minimal.
(Beitrag von November 2009)
Dazu ein Kommentar von dete/Berlin:
Ich verstehe mich nicht als Standbild-Theoretiker und habe auch selbst im Unterricht nicht damit gearbeitet, weil dies Herangehensweise auch nicht „mein Ding“ ist.
Allerdings kann ich mir durchaus vorstellen, dass Standbilder auch(!) sinnvoll genutzt werden können – also im Sinne eines besseren Textverständnises.
Die entscheidende Frage ist ja wie immer, welche Funktion diese Aufgabe haben soll und wie gut die konkrete Aufgabenstellung (inkl. Auswertung) vom Lehrer vorbereitet und geübt(!) wird.
Ein großes Problem besteht weiterhin darin, dass es Kriterien geben sollte, wann die Aufgabe „richtig“ gelöst wurde: welches Standbild also als gelungen betrachtet werden kann, sonst verbleibt man auf der Ebene des Da-war-schon-viel-Schönes-dran.
Wenn es Kriterien gibt, dann setzt ein gelungenes Standbild durchaus eine vernünftige Lektüre – sprich Auseinadersetzung der Schüler mit dem Text voraus. Der Einsatz erscheint mir allerdings begrenzt auf den Aspekt der Figurenkonstellation bzw. deren Entwicklung. Und wie immer bleibt natürlich die berechtigte Frage der Aufwand/Nutzen-Relation.