Harald Weinrich: Linguistik der Lüge – Zusammenfassung

Harald Weinrich ist am 26. Februar 2022 gestorben. Im Nachruf der SZ wurde die „Linguistik der Lüge“ hervorgehoben; aus diesem Grund hatte ich beschlossen, sie endlich einmal zu Ende zu lesen.

Augustins Definition der Lüge ist der Ausgangspunkt: mendacium est enuntiatio cum voluntate falsum enuntiandi. Diese Definition schließt wegen des Rückgriffs auf den Willen eine linguistische Behandlung der Lüge aus.

Zur Semantik der Wörter: Die Bedeutung eines Wortes ist weit, vage, sozial bedingt und abstrakt. Die Meinung eines Sprechers ist dagegen eng umgrenzt, präzise, individuell und konkret. „Bedeutung – Meinung“ sind die Grundbegriffe der Semantik. Der Satz ist die Brücke von der variablen Bedeutung zur Meinung, in ihm erfolgt die Determination zum Sinn. Deshalb sind Sätze/Texte immer übersetzbar, auch wenn es nicht für jedes Wort ein genaues Pendant in einer anderen Spreche gibt.

Über das Verhältnis von Wörter – Sachen, Wörter – Begriffe; Wörter sind nicht defizitär gegenüber Begriffen, weil/wenn sie in Texten stehen. Auch Begriffe entstehen in Sätzen (Definitionen), haben also einen Kontext, aber stehen eo ipso nicht in einer Situation.

Wörter, mit denen viel gelogen worden ist, werden verlogen [fragwürdig!]; erst in einem minimalen Kontext können Wörter lügen, z.B. „Boden“ in „Blut und Boden“. Auch Begriffe können lügen, z.B. „Volksdemokratie“ [ebenfalls fragwürdig!].

Zum gelogenen Satz eines Sprechers gehört ein von ihm gedachter wahrer Satz [fragwürdig]. Duplex oratio ist Signum der Lüge. [Der Rekurs auf das Verhältnis Gedachtes – Gesagtes ist fragwürdig; ich halte es für richtig, dass in der Lüge bewusst die Unwahrheit gesagt wird: Rekurs auf einen behaupteten Sachverhalt!]

Mit der Metapher ist eine Täuschung verbunden (Spannung zum Wortfeld), aber keine Lüge. Es wird eine Erwartung enttäuscht; ein Wort ist eine Erwartungsanweisung.

Das definite Verb mit seinen Morphemen macht den Satz, bezieht ihn auf die Sprechsituation. Das Verb enthält ein Assertionsmorphem (Ja/Nein). Person, Tempus und Determination sind die wesentlichen Merkmale des finiten Verbs. Die Logik entsorgt das Tempus zugunsten eines Präsens des immer Gültigen. Bloomfields und Gadamers Theorien – Gadamer bringt mit der Basis „Frage → Antwort (→ Frage → Antwort…)“ die Determination Ja/Nein in die Sprechsituation. Eine Frage enthält gegenüber der Antwort eine partielle Information; die Antwort ergänzt sie, mindestens durch ein Ja/Nein. In einem Satz werden die Bedeutung vollständig auf die Sprechsituation bezogen. – Von hier aus kommt Weinrich zu einer Syntax der Lüge: Die Lüge ist auf ein Ja/Nein bezogen; Beispiel: Hitlers Rede 1938.

In der Ironie bilden Wahrheit und Lüge keinen Gegensatz. Seit Sokrates gibt es die Ironiesignale; das sind sprachliche Zeichen, zumindest im Tonfall des Sprechens – man kann sie aber überhören. Ein gedachter Dritter hört das Gemeinte [?]. Selbstironie ist die reinste Form der Ironie.

Lügen die Dichter? Es gibt eine europäische Lügendichtung, die von Lügensignalen durchsetzt ist. Die Lügenrede und die Signale heben einander auf; eines der beliebten Signale ist die Wahrheitsbeteuerung, sind genaueste Angaben und Augenzeugenschaft usw. Platons Diktum von den lügenden Dichtern wird abgelehnt.

Ich habe in eckigen Klammern vermerkt, wo ich Weinrichs Ausführungen für fragwürdig halte. Weinrich selber hat sich in einer Buchbesprechung ein wenig von der „Linguistik der Lüge“ distanziert.

https://www.sueddeutsche.de/kultur/harald-weinrich-nachruf-literatur-linguistik-college-de-france-1.5540025 (Nachruf SZ)

https://www.welt.de/kultur/article237249931/Nachruf-auf-Harald-Weinrich-Schwarze-Milch-ist-keine-Luege.html (Nachruf Welt)

https://www.scielo.br/j/pg/a/fYYFNGQgGFSqRv4mZWVGtSb/?lang=de&format=pdf (Gespräch mit Weinrich)

https://api.deutsche-digitale-bibliothek.de/binary/12b0b5af-963b-464c-946d-4dceb4b56d0c.pdf (Sprachwissenschaft und Ideologiekritik)

Zivilist:innen – idiotische Genderei

Die Genderei treibt seltsame Blüten. Eine neue Sumpfblüte ist „Zivilist:innen“, wie ich gestern in der Rundmail des Tagesspiegels las. Zivilisten sind Menschen, die nicht zum Militär gehören, also Männer, Frauen und Kinder jeden Alters. „Die Zivilisten“ heißt es (den Singular gibt es kaum im Sprachgebrauch), und der Artikel „die“ ist einfach ein Pluralartikel, weder masc. noch fem. noch neutr. Wenn Bomben Zivilisten treffen, treffen sie unterschiedslos alle. Wenn man nun aber von Zivilist:innen spricht, wird so getan, als seien die Zivilisten ausschließlich Männer, was eindeutig falsch ist. Hier wird um des Feminisierens will ein masc. Plural erfunden, den es eigentlich nicht gibt. Scheiß Genderei!

Es genügt, dass wir Zivilisten sind – Zivilist:innen und Zivilist:außen brauchen wir nicht.

Fritz Mauthners Sprachkritik

In seinen Erinnerungen (1918) berichtet Mauthner, wie die Idee der Sprachkritik ihn 1873 überfallen, sich seiner bemächtigt habe, so dass er wochenlang schriftlich ausarbeiten musste, „was in mir denken wollte“.

Die drei Bände seiner Sprachkritik erschienen dann 1901/02, in einer überarbeiteten zweiten Auflage 1906-1913. Dass diese Ideen in der Luft lagen, sieht man zum Beispiel am Chandos-Brief Hofmannsthals und an Musils Roman „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“. 1904 wurde (in der „Zukunft“) ein Brief Mauthners an Harden veröffentlicht, in dem er berichtete, welche Momente bei der „Entbindung“ seiner sprachkritischen Gedanken geholfen haben; diesen Brief findet man in Mauthners Erinnerungen wieder abgedruckt (S. 210 ff.). Mauthner nennt drei Anstöße:

  1. Otto Ludwig: Shakespeare-Studien (1871). Ludwig vergleicht den Dramatiker Schiller mit Shakespeare, wobei die Sprache des damals gefeierten Schiller als „schöne“ Sprache kritisiert wird; eine solche Sprache könne nicht Kunstmittel sein. Daraus ergab sich für Mauthner die Frage, ob Sprache ein Erkenntnismittel sein kann; dabei beruft er sich auf Goethe: Das Wort müsse sich ablösen, sich vereinzeln, um etwas sagen, etwas bedeuten zu können: Es ist so, „daß die Begriffe oder Worte keinen starren Umfang und keinen definierten Inhalt haben, daß vielmehr ein zitteriger Umfang, ein nebelhafter Inhalt die Worte der lebendigen Sprache mindert oder erhöht, wie man’s nimmt. Dieses Schweben und Weben in den einzelnen Worten kann keine Anschauung geben, nur Assoziationen kann es wecken, Assoziationen und Erinnerungen.“ Darum „ist das Schwebende in den Begriffen, der Gefühlswert in den Worten ein so ausgezeichnetes Mittel der Wortkunst“, aber taugt nicht zur Erkenntnis der Wirklichkeit. Deshalb könnten die Wissenschaften nur die Welt beschreiben, aber nicht erklären. In „Die Worte des Glaubens“ habe Schiller noch an Worte geglaubt, zwei Jahre später in „Die Worte des Wahns“ schon nicht mehr. [Diese Deutung halte ich für sehr problematisch, N.T.]
  2. Nietzsche: Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben (1874). Nietzsche habe sich gegen den Glauben gewandt, die Geschichte werde von Gesetzen bestimmt; daraus folgerte Mauthner, es gebe auch keine Sprach- und keine Denkgesetze. Sprache sei nur die Summe der menschheitlichen Erinnerungen.
  3. Als mächtiger Faktor wird Bismarck genannt, auf den die deutschen Prager Studenten in ihrem Kampf mit den tschechischen Kommilitonen mit großer Begeisterung blickten, weil er die deutsche Einheit hergestellt hatte. Die Bewunderung für den Realpolitiker habe sie allerdings in ihrem erkenntnistheoretischen Idealismus in Bedrängnis gebracht: „Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern durch Eisen und Blut.“

Nachträglich habe Mauthner ähnliche Gedanken bei Vico, Bacon, Hobbes, Locke, Hume, Kant, Hamann und Goethe gefunden, aber diese hätten den sprachkritischen Gedanken nicht Ende gedacht.

https://www.textlog.de/mauthner.html (Mauthners Sprachkritik, vgl. die Zusammenfassung in https://de.wikipedia.org/wiki/Fritz_Mauthner )

https://archive.org/details/erinnerungenipra00mautuoft/page/210/mode/2up?view=theater (Mauthners Brief an Harden, 1904, über die Quellen seiner Sprachkritik)

https://philosophierer.blogspot.com/2015/10/wittgenstein-und-mauthner.html (Wittgenstein und Mauthner)

https://www.gleichsatz.de/b-u-t/221149/schleich1.html (Hubert Schleichert, kritisch über Mauthners Sprachkritik)

https://also42.wordpress.com/2021/08/18/sprachkritik-in-der-philosophie-o-f-gruppe/ (Otto F. Gruppes Sprachkritik, Mauthner scheint sie nicht zu kennen)

https://norberto42.wordpress.com/2013/04/11/hofmannsthal-ein-brief-des-lord-chandos-inhalt-links-zum-verstandnis/ (zum Chandos-Brief, 1902 verfasst; vgl. Musils „Die Verwirrungen des Zöglings Törleß“, 1906)

Wie die p.c. Tatsachen verbiegen kann

Im heute-jounal des ZDF vom 15. September 2020 sagte Marietta Slomka, der NS habe „Menschen jüdischen Glaubens“ verfolgt und vernichtet. Das ist politisch korrekt, weil der inzwischen geächtete Begriff „Rasse“ vermieden wird – aber es ist sachlich falsch, weil Juden eben nicht wegen ihres Glaubens verfolgt wurden (denn dann wären christlich getaufte Juden verschont worden), sondern nur wegen ihrer Rassenzugehörigkeit. Und die Nürnberger Gesetze waren keine Glaubens-, sondern Rassegesetze.

Nun haben manche Progressiven in der modernen Rassismus-Debatte beschlossen, dass es keine Rassen gebe, womit dem weit verbreiteten Rassismus der sachliche Boden entzogen wäre, und sie wollen sogar das Wort „Rasse“ aus dem Grundgesetz streichen: welch bodenlose Naivität! Als ob mit dem Wort „Rasse“ auch schon der Rassismus erledigt wäre! Als ob es gegen Menschen mit anderer Hautfarbe oder fremdartigem Namen dann keine Vorurteile mehr gäbe!

Marietta Slomka ist sicher eine kluge Frau, aber im ZDF auch an die Sprache der politischen Korrektheit gebunden. Dass dabei dann ein solcher Unsinn wie im heute-journal herauskommt, es seien Menschen jüdischen Glaubens verfolgt worden, ist ein Effekt, der uns zur Vorsicht mahnen sollte: Will man etwa sagen, Juden seien „wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer angeblich minderwertigen Rasse verfolgt worden, obwohl es in Wahrheit gar keine Rassen gibt“, wäre das nicht nur ziemlich kompliziert, sondern auch nicht plausibel – man braucht ja nur die Augen zu öffnen, um Unterschiede zwischen Menschen unterschiedlicher Herkunft zu sehen. Oder sollte man lieber einfach erklären, es gebe „keine minderwertigen Rassen“, dann würden die Nachrichten von Bewertungen unzulässig überflutet – Bewertungen gehören jedoch in die Kommentare, nicht in die Nachrichten.

Es ist mit der p.c. wie bei der Genderei: Wenn man die Wörter verändert, hat man noch nicht die Tatsachen verändert. Das kann man bereits bei Peter Bichsel nachlesen („Ein Tisch ist ein Tisch“); und wie problematisch es ist, wenn man auf breiter Front die „korrekte“ Sprechweise durchsetzt, das wird in Orwells Roman „Neunzehnhundertvierundachtzig“ erzählt.

Personifikation – Verständnis und Missverständnis

Was versteht man unter Personifikation? Das ist „in der Stilistik die Darstellung eines Gegenstandes als eine menschliche Gestalt.[…] Die P. ist ein Spezialfall der Anthropomorphisierung, bei der ein unbelebter oder tierischer bzw. pflanzlicher Gegenstand Züge des Menschlichen erhält.“

Dieser Definition des MLL, welche die gängige Sichtweise zusammenfasst, liegt ein folgenschwerer Irrtum zugrunde. Ihr zentrales Begriffspaar ist Gegenstand und Mensch, mit der Maßgabe, dass der Mensch mit Gegenständen zu tun hat, mit ihnen hantiert, das Subjekt mit den Objekten. Dabei wird verkannt, dass Dinge als Gegenstände zu betrachten und zu behandeln nicht einfach natürlich, sondern das Ergebnis eines langen kulturellen Abstraktionsprozesses ist: Ein Gegenstand ist etwas, zu dem wir ein Ding machen, indem wir es dem messenden Betrachten unterwerfen. Das kann man in Ernst Cassirers „Philosophie der symbolischen Formen“, vor allem in den beiden ersten Bänden nachlesen.

Am Anfang der Begegnung von Mensch und Welt steht vielmehr, dass die Dinge als eigenständige Wesen ihren Ausdruck haben und auf den Menschen Eindruck machen und dass es ihm erst durch die Sprache, die Namen gelingt, den Dingen eine feste Gestalt zu geben. Die Dinge begegnen zunächst wie Personen, sie machen Eindruck und tragen nicht nur Züge des Menschen, sondern auch des Übermenschlichen. Und selbst heute können wir unseren Blick vom Gegenstand lösen und uns seinem Ausdruck hingeben, auf dass er Eindruck auf uns mache: etwa wenn eine Tierherde nicht mehr als Lieferant von Schlachtfleisch und Schlachtprämie gesehen wird, sondern als eine stürmende Gruppe wilder Tiere gefürchtet, oder wenn der Sonnenuntergang nicht als Ergebnis der Erddrehung verstanden, sondern als Verschwinden des Lichts erlebt wird.

Deshalb müssten die Schüler im Unterricht dahin geführt werden, dass sie sich dem Eindruck von Personifikationen hingeben könnten, statt sich in die Floskel zu flüchten, da werde bildhaft gesprochen, „damit man sich das besser vorstellen kann“.

Die Bedeutung des Wortes

Das ist der Titel eines klugen Buches von Karl Otto Erdmann (Leipzig 1900), das leicht verständlich erklärt, was es mit der Bedeutung der Wörter auf sich hat (https://archive.org/details/diebedeutungdesw00erdm/page/114); leider muss man die Frakturschrift lesen können, um sich das Buch einzuverleiben – aber vielleicht wäre hier auch ein Anlass, die Fraktur lesen zu lernen? So schwer ist es nicht, nach drei, vier Seiten Buchstabieren sollte man es eigentlich können. Auf der verlinkten Seite beginnt Erdmann, die Problematik des Gebrauchs von Fremdwörtern zu diskutieren.

Deutsche Vorsilben und Nachsilben

Eine vollständige Übersicht über die deutschen Vor- und Nachsilben findet man in:

Johann August Eberhards synonymisches Handwörterbuch der deutschen Sprache. 16. Auflage, bearbeitet von Otto Lyon. Leipzig 1904, S. XX ff. (bzw. S. XI ff.: Vergleichende Darstellung der deutschen Vor- und Nachsilben):

A. Die Vorsilben oder Präfixe

Ab

Aber

After

Allenfalls

Aller

An

Ant

Auf

Aus

Auseinander

Außer

Be

Bei

Dar

Durch

Ein

Ent

Emp

Er

Erz

Fort

Ge

Gegen

Her

Herab

Heran

Herauf

Heraus

Herbei

Herein

Hernieder

Herum

Herunter

Hervor

Herzu

Hin

Hinter

Los

Miß (= Miss)

Mit

Nach

Neben

Nieder

Nicht

Ober

Ohn und Ohne

Über

Um

Un

Unter

Ur

Ver

Voll

Vor

Vorüber

Weg

Wider

Wieder

Wohl

Zer

Zu

Zusammen

B. Die Nachsilben oder Suffixe

Bar

Chen, Lein

D (s. -end)

De

E

Ei

El

Eln

En

End

Er

Ern

Fach und -faltig, -fältig

Ft

Haft

Halb

Hand

Heit

Ich

Icht

Ig

In

Ing

Ieren

Isch

Ist

Keit (s. -heit)

Lei

Lein (s. -chen)

Lich

Los

Mal

Nis

Sal

Sel

Selig

Sam

Schaft

Ste

T (te)

Te

Tel

Tum

Ung

Wärts

Zehn

Zig

Also dann: Auf ins Studieren der Vor- und Nachsilben!

Behaghel: Die deutsche Sprache

Ich möchte auf ein Buch hinweisen, das den Reichtum der deutschen Sprache geschichtlich erschließt, von den Dialekten bis zur Wortbildung, von der Betonung über die Flexion (Deklination, Konjugation) bis zum Satzbau. Es stammt von Otto Behaghel: Die deutsche Sprache, 7. Aufl. 1923; der Autor war Professor in Gießen und ein anerkannter Fachmann, von dem man auch heute noch sehr viel lernen kann (auch wenn Einzelnes sicher wissenschaftlich überholt ist) – fast zu viel, wenn man das Buch in einem Streifen liest; dann könnte man leicht von der Fülle der Einzelheiten verwirrt werden.

Ich verlinke das Inhaltsverzeichnis, damit man sich einen Eindruck von dem machen kann, was einen bei der Lektüre erwartet – oder damit man weiß, was man wo nachschlagen kann. Dem dient dann auch das Wort- und Sachverzeichnis. Blättern kann man, indem man auf eine Seite klickt (links: zurück, rechts: vor), oder unten rechts mittels der Pfeile (Dreiecke). Mit dem dunklen Punkt unten kann man über viele Seiten hinweg springen.

https://archive.org/stream/diedeutschespr00behauoft#page/400/mode/2up (Inhalt)

https://archive.org/stream/diedeutschespr00behauoft#page/378/mode/2up (Wort- und Sachverzeichnis)

Genderdeutsch

Gender-Sprache

http://www.spektrum.de/news/wie-gender-darf-die-sprache-werden/1492931

Genderdeutsch

Dies ist ein ganz böses Kapitel sprachlicher Verunstaltung. Die vermeintliche Gleichbehandlung von Männern und Frauen oder die sogenannten „geschlechterneutralen“ Formulierungen sind völlig unnütz, niemand braucht sie, und außer durch Politiker, die sie massiv vorantreiben und sogar „Rechtsvorschriften“ dazu initiieren, was immer das sein mag, werden sie von den deutschsprechenden Völkern im wesentlichen ignoriert. Das ist sicher der gesündeste Part in diesem Prozeß. Frauen mit Bildung und Intelligenz begrüßen das Genderdeutsch auch nicht. Auch die orthographischen Auswüchse wie Schrägstrich-innen oder ein großes I inmitten eines Wortes (Mitarbeiter/innen, MitarbeiterInnen) werden in den deutschsprechenden Völkern mehrheitlich abgelehnt.

Hier einige Tendenzen und Beispiele, die den ganzen Unsinn zeigen.

  • Die in allen Lebensbereichen erhobene Forderung nach ständiger Doppelnennung der Geschlechter gilt merkwürdigerweise nicht ohne Einschränkung. Zum Beispiel wird
    • Täterinnen und Täter,
    • Verbrecherinnen und Verbrecher,
    • Diebinnen und Diebe oder auch
    • Betrügerinnen und Betrüger

nicht gefordert. Warum eigentlich nicht? In allen anderen Fällen wird ja die sogenannte „Gleichbehandlung“ von Männern und Frauen kategorisch verlangt. Möglicherweise soll mit dem Fehlen weiblicher Benennungen weibliche Kriminalität geleugnet werden. Das widerspricht aber den Tatsachen der gegenwärtigen Entwicklung.

Der wahre Grund ist jedoch woanders zu finden. Das Genderdeutsch wurde forciert inszeniert, als sich die Frauen im Jahre 1918 in Deutschland endlich das Wahlrecht erkämpft hatten. In dieser Errungenschaft haben Politiker das große Potential erkannt, welches die Frauen als Wähler darstellen, und so begann man, um diese Wählerstimmen zu buhlen, mit allen Mitteln, auch mit sprachlichen. Dafür sind natürlich Negativbegriffe wie oben ungeeignet. Der Prozeß verlief im Einklang mit militanten Feministen (das sind Männer und Frauen! Man muß das heute schon explizit sagen), die mit großer Intensität begannen, glaubhaft machen zu wollen, das grammatische Genus eines Begriffes sei mit dem biologischen Geschlecht des Begriffsträgers gleichzusetzen und folglich seien mit dem maskulinen grammatischen Genus Frauen aus der Nennung ausgeschlossen. Die Sprachwissenschaft versucht geradezu mit Engelzungen, diesen Irrtum aufzuklären. Bedauerlicherweise sind aber Politiker und Feministen stärker und setzen mit grobem Machtgehabe ihre beschränkten Sprachkenntnisse durch.

  • Die Begriffskombination Mitglieder und Mitgliederinnen, die ich in einer Gewerkschaftszeitung aufgefunden habe, ist vermutlich von einem Politiker: Weiblich um jeden Preis, auch wenn es grammatisch völlig unmöglich ist. Es ist zwar falsch, aber es klingt gut, und das ist wichtiger.
  • Brautpaar. Warum eigentlich nicht Braut/Bräutigampaar? Eine Braut allein ist schließlich noch kein Paar. Der Begriff Brautpaar ist ja nun doch sehr weiblich besetzt, so daß kaum die Gefahr der Realisierung meiner Idee besteht, Männer kommen seltener auf solche ulkigen Vorschläge.
  • Der Mensch – grammatisch maskulin, eine feminine Form gibt es nicht. Nach dem irrigen Sprachverständnis derer, die das grammatische Genus und das biologische Geschlecht immer noch als dasselbe ansehen, so daß also grammatisch maskulin biologisch männlich bedeute, können demnach nur Männer Menschen sein, weil Frauen, wie jeder weiß, nicht männlich sind.
  • Die Persönlichkeit – grammatisch feminin, eine maskuline Form existiert nicht. Nach der politisch suggerierten Sprachfehlleistung, grammatisch feminin sei biologisch weiblich, könnten deshalb nur Frauen Persönlichkeiten sein, denn Männer sind nicht weiblich.
  • Der Junge ist grammatisch maskulin. Heißt das, daß er männlich ist? Wie sollen wir dann das Mädchen verstehen? Es ist nicht feminin, es ist ein Neutrum. Also, nicht weiblich? Wie nun? Hier muß man tatsächlich das biologische Geschlecht betrachten: Ehe der Junge ein Mann wird, vergehen 16 bis 18 Jahre, und dann ist er kein Junge mehr. Der Junge ist also nicht männlich, sondern grammatisch maskulin. Bei dem Mädchen dauert es auch etwa so lange, ehe es eine Frau wird. Aber das Mädchen ist ja ohnehin nicht weiblich, pardon, nicht feminin.
  • Ich will einmal als Beispiel mit dem Genderdeutsch ein Problem der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland behandeln. Ich treffe die Feststellung Angela Merkel ist der achte Bundeskanzler der Bundesrepublik. Sofort werde ich attackiert: Angela Merkel sei nicht Bundeskanzler, sondern Bundeskanzlerin. Ich korrigiere also: Angela Merkel ist die achte Bundeskanzlerin der Bundesrepublik. Nun aber ist die Aussage falsch, denn die anderen waren alle sieben Männer. Um die Aussage richtigzustellen, korrigiere ich wieder: Angela Merkel ist die erste Bundeskanzlerin der Bundesrepublik. Das ist zwar richtig, aber darum ging es gar nicht. Die Aussage, die ich vornehmen will, kann man mit dem Genderdeutsch gar nicht mehr ausdrücken, ohne auf die orthographischen Mißgestaltungen mit dem Schrägstrich oder großem I zurückzugreifen.
  • All diese Wirrnisse entstehen nur durch das Genderdeutsch. Es taugt zu nichts, außer zu großem Unsinn. Hier aber hätte es wirklich Sinn, sich einmal am Englischen zu orientieren. Dort gibt es solche Probleme nicht, obwohl es auch im Englischen feminine Formen gibt. Zum Beispiel authorness – die Autorin. Aber sie werden nicht verwendet. Die englischsprechenden Völker wollen sie nicht haben.
  • Dieses ganze Prozedere führt dann zu abartigen Auswüchsen, wie einerseits zu den absurden Darstellungen im Entwurf einer Verordnung über das Fleischhygienerecht aus der Feder Herrn lic. iur. Urs-Peter Müllers vom Bundesamt für Veterinärwesen der Schweiz oder andererseits zu der völlig konfusen Formulierung in einer Dissertation, beides gefunden durch den Schweizer Sprachwissenschaftler Dr. Arthur Brühlmeier, nachlesbar unter http://www.unipohl.de/Appell.htm, dort Abschnitt 2., Staatsfeminismus.
  • Welch unglaubliche Blüten der militante Feminismus in Verbindung mit politischem Machtgetöse in seiner Endphase austreiben kann, erfährt man an der Universität Leipzig, an der – angeregt durch die Rektorin Professor Doktor Beate Schücking – grammatisch maskuline Benennungen per Senatsbeschluß abgeschafft werden sollen und den abstrusen Benennungen wie zum Beispiel Herr Professorin, Herr Doktorin oder Herr Dozentin zu weichen haben. Andere Universitäten sollen folgen. Ausführlicher beleuchtet habe ich dies unter http://www.unipohl.de/Femininmaenner.htm.

(Quelle: http://hauptplatz.unipohl.de/Muttersprachprobleme.htm)

vgl. https://merton-magazin.de/hier-endet-das-gendern

http://de.wikimannia.org/Gendersprech

https://de.wikipedia.org/wiki/Geschlechtergerechte_Sprache

http://www.linguistik-online.com/39_09/elmiger.html

P.S. Aufgrund des Kommentars von Herrn Rau stelle ich meine Position dar

1.Eine der wichtigsten Forderungen an den, der spricht, lautet: „Rede kurz!“ So lautet zum Beispiel die erste Regel in „Goldene Regeln der Rhetorik“ von Marcus Knill (http://rhetorik.ch/Goldeneregeln/Goldeneregeln.html; vgl. „In der Kürze liegt die Würze.“). Otto Behaghel spricht ausdrücklich von der Sparsamkeit der mündlichen Rede (Die Deutsche Sprache, 7. Aufl. 1923, S. 50). Alle sprechen von einem Kilo, nicht von einem Kilogramm, und man bestellt ein Soda, nicht ein Sodawasser. Diese Tendenz zur Kürze ist so stark, dass heute bereits Verben ausgelassen werden: „Schulz kann Wahlkampf.“ oder „Hecking kann Abstiegskampf.“

Vom Griechen Phokion ist der Satz überliefert: „Ich denke darüber nach, was ich an der Rede, die ich halten will, noch einsparen kann.“ Plutarch schreibt zu Phokion: „Denn so wie sich die beste Münze dadurch auszeichnet, dass sie bei kleinstem Volumen den größten Wert hat, so ist auch die kraftvollste Rede diejenige, die mit wenigen Worten viel besagt.“

2.1 „Ein generisches Maskulinum ist die Verwendung eines maskulinen Substantivs oder Pronomens, wenn das Geschlecht der bezeichneten Personen unbekannt oder nicht relevant ist oder wenn männliche wie weibliche Personen gemeint sind. Beispiel: Das Wort „Studenten“ in der Verwendung als generisches Maskulinum bezieht sich auf eine Gruppe von Studierenden unbekannten Geschlechts oder eine gemischtgeschlechtliche Gruppe. Generische Maskulina gibt es in vielen Sprachen.“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Generisches_Maskulinum) Wenn ich einen Arzttermin habe, stelle ich mir doch keine Verabredung mit einem Mann vor, und die Arztpraxis ist die Praxis eines Arztes oder einer Ärztin – das Wort „Arztpraxis“ sagt darüber nichts und regt auch nicht die Vorstellung eines Mannes an.

2.2 Das generische Maskulinum erfüllt das Gebot der Kürze (s. 1.).

2.3 Das generische Maskulinum diskriminiert Frauen nicht, setzt sie nicht herab und behandelt sie nicht als unwichtig oder zweitrangig.

3.1 Deshalb besteht kein Grund dafür, eine sogenannte geschlechtergerechte Sprache einzuführen, in der es von Wiederholungen wimmelt, die also gegen das Gebot der Kürze vestößt. (Dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Geschlechtergerechte_Sprache)

3.2 Vor allem ändert eine „geschlechtergerechte Sprache“ nichts an realen Verhältnissen, in denen Frauen ungerecht behandelt werden. – Ich schließe mich der Forderung an, Frauen und Männer gleichberechtigt zu behandeln, also z.B. gleichen Lohn für gleiche Arbeit zu zahlen.

3.3 Gut scheint mir die Stellungnahme Peter Müllers von der SOK zu sein:

„Rein sprachlich gesehen, ist die permanente Nennung der weiblichen Formen unnötig. In den Formen Verkäufer usw. kann man ein sogenanntes generisches Maskulinum sehen, das mit dem biologischen Geschlecht nichts zu tun hat. Ein Indiz dafür ist, dass es auch generische Feminina und Neutra gibt: die Wache, die Gans, die Geisel, die Waise, das Opfer, das Kind, die Person. Alle Diminutive sind generische Neutra: das Mädchen, das Schneiderlein (siehe auch „Generisches Maskulinum“ auf Wikipedia).

Die systematische Nennung der weiblichen Schreibweisen führt zu schweren Beeinträchtigungen der Lesbarkeit. Sie kann auch gar nicht vollständig durchgehalten werden, z. B. in Zusammensetzungen: Bürgervertreter müsste in Bürger- und Bürgerinnenvertreter und -vertreterinnen umgesetzt werden.

Die aus politischer Korrektheit vor allem von feministischer und linker Seite geforderte zunehmende Verwendung von weiblichen Schreibweisen führt dazu, dass unter dem neutralen generischen Maskulinum schliesslich wirklich nur noch Männer verstanden werden, fälschlicherweise auch in denjenigen Fällen, in denen beide biologischen Geschlechter gemeint sind: da, wo auch Verfechter der feministischen Schreibweisen ihr System nicht durchhalten können (s. o.), oder in der Normalschreibweise, in der der Schreiber das generische Maskulinum meint. Dem Anliegen der Gleichstellung wird damit eher geschadet als genutzt.

Inzwischen kommt niemand mehr um die Berücksichtigung dieser Entwicklung herum. Dabei ist eine moderate Anwendung der weiblichen Formen zu empfehlen. Mehrere Institutionen wie der Duden, in der Schweiz die Bundeskanzlei, haben dazu Richtlinien herausgegeben. Doppelnennungen werden vor allem in (feierlichen) Ansprachen empfohlen. In Stelleninseraten sind sie teils sogar vorgeschrieben. In vielen Fällen werden Ersatzformulierungen wie Studierende (statt Studenten und Studentinnen) empfohlen. Das sogenannte Binnen-I hingegen widerspricht den (herkömmlichen und reformierten) Rechtschreibregeln und ist damit rechtschreiblich gesehen falsch.

In längeren Dokumenten kann auch der Hinweis angebracht werden, dass im Text das generische Genus verwendet wird (nicht dass Frauen „mitgemeint“ seien), z. B. aus einem Dokument der SDA: Hinweis: In diesem Dokument wird aus sprachlichen Gründen (Lesbarkeit, Ästhetik) das generische Genus (in der Regel das generische Maskulinum) angewendet. Das generische Maskulinum (z. B. der Mitarbeiter, der Vorgesetzte) bezeichnet das biologische Genus genauso wenig wie das generische Femininum (z. B. die Waise, die Geisel) oder das generische Neutrum (z. B. das Männchen, das Mädchen). Wo nicht ausdrücklich unterschieden wird, sind immer beide biologischen Genera gemeint.“

Peter Müller, SOK (http://sok.ch/2007/11/weibliche-formen/)

3.4 Im Duden-Newsletter findet sich folgende Erklärung – leider wird nur auf das Regelwerk geschaut und nicht gefragt, ob die Doppelnennung sinnvoll ist:

„Die höflichste und eindeutigste Variante der sprachlichen Gleichstellung ist die Doppelnennung. Besonders in der persönlichen Anrede können die Doppelformen Leserinnen und Leser, Schülerinnen und Schüler verwendet werden. Die konsequente Doppelnennung im weiteren Text macht diesen aber schwerfällig und schlecht lesbar. Zur verkürzten Darstellung von Doppelformen bietet sich der Schrägstrich an: Mitarbeiter/-innen; die Schreibung ohne den Auslassungsstrich ist nicht korrekt.
Allerdings kann mithilfe des Schrägstrichs nur verkürzt geschrieben werden, wenn sich die Wörter ausschließlich in der Endung unterscheiden (also z. B. nicht bei Arzt/Ärztin). Ähnlich dem Schrägstrich können Doppelnennungen auch durch Klammern verkürzt werden, z. B. Mitarbeiter(in), Kolleg(inn)en.
Die Verwendung des großen I im Wortinnern (Binnen-I) entspricht nicht den Rechtschreibregeln.“ (http://www.duden.de/sprachwissen/newsletter/Duden-Newsletter-070111)

3.5 Ich empfehle, in der persönlichen Anrede die Doppelnennung zu verwenden, die verkürzte Darstellung von Doppelformen aber nur, wo es entweder vorgeschrieben ist oder es zu Missverständnissen kommen kann, falls sie nicht verwendet werden.

P.S.

In seinem Aufsatz „Das missbrauchte Geschlecht“ (SZ 3. März 2017, S. 14; vgl. das Interview http://www.deutschlandfunk.de/linguist-kritisiert-geschlechtergerechte-sprache-ein.691.de.html?dram:article_id=380828) zeigt Peter Eisenberg, wie sprachlich unbedarft die GenderInnen und GenderAußen sind: „Das Genus in den indoeuropäischen Sprachen ist entstanden durch Zweiteilung in Bezeichnungen für Belebtes (später Maskulinum) und Unbelebtes (später Neutrum). Das Femininum kam als drittes Geschlecht hinzu und spezialisierte sich auf Kollektiva und Abstrakta. Mit dem natürlichen Geschlecht weiblich hatte es nichts zu tun, und dabei ist es bis heute im Wesentlichen geblieben.“ – Eisenberg verweist noch auf Roman Jakobsons Entdeckung, dass in allen grammatischen Kategorien jeweils eine als unmarkierte (mit unspezifischer Bedeutung, Hintergrund), eine als markierte (mit spezieller Bedeutung und aufwendigerer Form) fungiert (z.B. Aktiv-Passiv), mit entsprechenden Konsequenzen für das Genussystem. Zur Markierungstheorie:

https://de.wikipedia.org/wiki/Markiertheit (kurz)

http://www.personal.uni-jena.de/~x1gape/Wort/Wort_Unterspez.pdf (ausführlicher)

http://www.christianlehmann.eu/ling/ling_theo/markiertheit.php (ausführlich)

http://hypermedia.ids-mannheim.de/call/public/gruwi.ansicht?v_id=4057 (speziell: Flexionsmorphologie)

https://de.wikipedia.org/wiki/Roman_Ossipowitsch_Jakobson (über Roman Jakobson)

Fazit: Gendern erhöht zwar das Selbstgefühl der Feministen (unmarkierte Form), verschangeliert aber auf unverantwortliche Weise die deutsche Sprache. Angesichts der realen Probleme unserer Welt mutet der Kampf für Genderdeutsch wie ein Akt feministischer Selbstbefriedigung an. – Zum Evangelischen Kirchentag im Mai 2017 gab es ein Liederbuch in (gender)gerechter Sprache, dessen Blüten die FAZ gesammelt hat:

http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/evangelischer-kirchentag-genderwahn-verunstaltet-liederbuch-15036612.html

https://www.journalistenwatch.com/2017/05/29/herrgoettin-kaessmann-laesst-die-gender-choere-lesbenlieder-singen/

http://www.spektrum.de/news/wie-gender-darf-die-sprache-werden/1492931http://www.spektrum.de/news/wie-gender-darf-die-sprache-werden/1492931

https://norberto68.wordpress.com/2015/11/22/gender-sprache/

 

Symbol und Motiv in Kurzgeschichten

Es gilt als Grundsatz, dass in Kurzgeschichten der Erzähler sich mit Erklärungen und seiner Bewertung des Geschehens zurückhält und dass der Leser die Bedeutung des Geschehens anhand von (Metaphern,) Symbolen oder Leitmotiven erschließen muss. Nun besteht das Problem natürlich darin, dass es im Text an den Wörtern keine Kärtchen gibt, auf denen „Metapher“, „Symbol“ oder „Leitmotiv“ stände – dass so etwas vorliegt, muss man als Leser selber sehen oder spüren.

Dabei besteht dann die Gefahr, dass man auf der Suche nach Symbolen oder Motiven zu spinnen beginnt und in jeder Einzelheit eine tiefere Bedeutung zu finden vermeint. Ich habe das exemplarisch für Bölls Erzählung „Wanderer, kommst du nach Spa…“ nachgewiesen (https://norberto42.wordpress.com/2009/09/01/boo-wanderer-kommst-du-nach-spa-analyse/), wo sogar der grünen Wandfarbe eine Hoffnungsbedeutung zuerkannt wurde (siehe am Ende meiner Analyse). Nein, „Bedeutung“ muss in das Ganze des erzählten Geschehens passen und darf nicht isolierten Einzelheiten angehängt werden.

Ich möchte an einigen Beispielen zeigen, wie sich solche „tiefere“ Bedeutung im/aus dem Kontext ergibt:

  1. In Borcherts Kurzgeschichte „Das Brot“ begegnen sich die Eheleute „im Hemd“ in der Küche und damit im Licht; dreimal wird „im Hemd“ vom Erzähler erwähnt, was zeigt, dass er darauf Wert legt: Beide erkennen im Licht, wie alt der Partner „im Hemd“ wirklich ist; wenn man im Hemd vor dem anderen steht, kann man nichts mehr durch Kleidung und Frisur beschönigen, dann zeigt sich die Wahrheit des Menschen. – „Sie fühlte, wie die Kälte der Fliesen langsam an ihr hochkroch.“ Diese Kälte ist m.E. nicht nur eine Kälte der Fliesen, sondern auch eine Kälte in der Beziehung der Eheleute, als die Frau entdeckt, dass ihr Mann sie belügt. Der erklärende Satz folgt unmittelbar auf die zweite Erwähnung der kalten Fliesen: „Sie sah ihn nicht an, weil sie nicht ertragen konnte, dass er log.“ Mit seinem Lügen stellt er die Liebe in Frage; das spürt sie als Kälte, die an ihr emporkriecht. – Für das Verhältnis von Wahrheit und Lüge steht in dieser Erzählung symbolisch vermutlich auch das Licht, das die Frau in der Küche anmacht und schließlich ausmacht, um nicht nach dem Teller – dem Beweis des Lügens – sehen zu müssen. Auch am nächsten Abend, als sie ihrem Mann vier statt der üblichen drei Scheiben Brot anbietet und selber dafür lügt, sie könne das Brot nicht vertragen, rückt sie zuerst von der Lampe weg (damit er nicht ihr Gesicht sieht) und kehrt erst nach einer Weile unter die Lampe zurück; dass dies erwähnt wird, fällt im Zusammenhang von Licht-Dunkel und Wahrheit-Lüge auf. „Licht“ und „im Hemd stehen“ sind dieser Erzählung also Symbole.
  2. In Schnurres Erzählung „Jenö war mein Freund“ ist die Igeljagd und das Braten der Igel am offenen Feuer ein Leitmotiv; es steht für das naturnahe „wilde“ Leben der Zigeuner, von dem der Ich-Erzähler als Junge fasziniert war: „Jenö war mein Freund.“
  3. In Brambachs Erzählung „Känsterle“ hat vielleicht das trübe Licht auf dem Dachboden symbolische Bedeutung: In dieses Trübe wird Herr Känsterle von seiner Frau hineingezwungen, durch das ihm aufgezwungene Amt des Nikolaus. Ob man dem das Glitzern in den Augen Herrn Hansmanns entgegenstellen darf? Vielleicht ist das Glitzern nur das Zeichen des Verstehens und des Einverständnisses, das sich ja auch aus seiner Frage ergibt: „Mein lieber Känsterle, ist das alles?“ Sicher scheint mir der letzte Satz der Erzählung sowohl eine gegenständliche wie auch eine symbolische Bedeutung zu haben: „Ein kalter Wind zieht durch die Stube.“ Die Fenster sind zertrümmert, es zieht durch sie. Aber auch die von Frau Känsterle erbaute und zerstörte heile Familienwelt liegt in Trümmern, weil ihr Mann den Terror der Hausfrau nicht mehr ertragen konnte und zugeschlagen hat. Da weht jetzt auch nur noch ein kalter Wind.

Fazit: In den drei Beispielen haben wir Motive (im Hemd stehen, die Igel) und Symbole (Licht, Kälte, kalter Wind) gefunden, wobei „im Hemd“ auch zu den Symbolen gezählt werden kann. Eine Metapher haben wir bisher nicht gefunden – allerdings ist die Abgrenzung der Metapher vom Symbol auch nicht immer einfach. Vielleicht haben Metaphern aber auch eine zu geringe Reichweite, als dass sie die Bedeutung einer ganzen Erzählung tragen könnten.

Metapher: https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/deutsch-abitur/artikel/metapher

Symbol: https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/deutsch-abitur/artikel/symbol

Motiv (Literatur): https://de.wikipedia.org/wiki/Motiv_(Literatur)

Als Leitmotiv bezeichnet man in der Literatur

  • eine einprägsame und im gleichen Wortlaut wiederkehrende Aussage
  • oder eine thematische Einheit,

die der Gliederung des Erzählten und oft der Repräsentation der Handlung bzw. der Entwicklung der Protagonisten eines literarischen Werkes dient.

Ein Beispiel in der Literatur für die Technik des Leitmotivs stellen die Zahnprobleme der Protagonisten als wiederkehrendes Symbol für den Verfall der Familie Buddenbrook im gleichnamigen Roman von Thomas Mann dar. (https://de.wikipedia.org/wiki/Leitmotiv)

Van der Steenhoven unterscheidet „situationelle“ und „textliche“ Leitmotive. Textliche Leitmotive wiederholen Wörter oder größere Texteinheiten, situationelle Leitmotive dagegen Handlungen oder Situationen. […] Ein Beispiel für ein textliches Leitmotiv wäre die Wiederholung der Wendung „Ein weites Feld“ in Theodor Fontanes Roman Effi Briest. […] Zum Begriff des Motivs und der Motivgleichheit siehe hier!