„Ein inhaltlich abgeschlossener Teil eines Textes bildet einen Sinnabschnitt. Meistens besteht er aus einem oder mehreren Absätzen. In Sachtexten enthalten Sinnabschnitte jeweils einen neuen Sachverhalt. In erzählenden Texten beginnt ein neuer Sinnabschnitt dann, wenn eine neue Person eingeführt wird, der Ort wechselt oder sich die Handlung ändert. Das Bilden von Sinnabschnitten hilft dir beim Verstehen, Zusammenfassen und Wiedergeben von Texten.“ (Klar|text 9, Westermann, S. 285)
Ich teile diese Erklärung von „Sinnabschnitt“ in Sinnabschnitte und diskutiere sie einzeln:
1. „Ein inhaltlich abgeschlossener Teil eines Textes bildet einen Sinnabschnitt. Meistens besteht er aus einem oder mehreren Absätzen.“ Inhaltlich abgeschlossen ist vermutlich erst der ganze Text. Zweitens ist es problematisch, einen Text von seinem „Inhalt“ statt vom Thema oder vom Sprecher her verstehen zu wollen: Was besagt schon „Inhalt“? Die Unterscheidung von Abschnitt und Absatz ist immerhin lobenswert.
2. „In Sachtexten enthalten Sinnabschnitte jeweils einen neuen Sachverhalt.“ Erstens weiß kein Schüler exakt, was ein Sachverhalt ist; zweitens enthält vermutlich jeder Satz einen Sachverhalt; drittens ist das offenkundig Unsinn – in einem Lexikonartikel „Frankreich“ bilden zum Beispiel die Darstellung des Klimas, der Geschichte, der Musik Frankreichs Sinnabschnitte, aber sie werden doch nicht in jeweils bloß einem Satz dargestellt (und umfassen auch mehr als einen Sachverhalt!). Man könnte eher die Behandlung eines Aspekts des Themas einen Sinnabschnitt nennen: bei einem Lexikonartikel zum Beispiel – aber auch bei einem Beschwerdebrief?
3. „In erzählenden Texten beginnt ein neuer Sinnabschnitt dann, wenn eine neue Person eingeführt wird, der Ort wechselt oder sich die Handlung ändert.“ Über diese drei Angaben könnte man streiten, wenn sie sachlich oder für einen Schüler klar wären: „alle meine Bekannten und Kameraden“ in Eichendorffs „Aus dem Leben eines Taugenichts“ (RUB 2354, S. 5. Z. 25 f.), sind das neue Personen? Ist die Kammerjungfer dort (S. 8, Z. 7) oder der Gärtner (S. 8, Z. 21) eine neue Person neben dem Jemand in Staatskleidern? Wechselt der Ort, als der Taugenichts aus dem Dorf hinausschlendert (S. 5, Z. 25 f.)? Oder als er ins freie Feld kommt (S. 5, Z. 34)? Die Handlung ändert sich sicher, als der Reisewagen kommt (S. 6, Z. 17 f.); aber ändert sie sich auch mit der Ankunft im Schloss (S. 7, Z. 23)? Ein neuer Sinnabschnitt beginnt sicher mit dem Satz: „In dem Garten war schön leben …“ (S. 8, Z. 34) – aber da ändert sich nicht „die Handlung“, sondern der Erzähler beschreibt jetzt allgemein, wie der Taugenichts im Schloss lebt – und dies ist der Fakt: „allgemein beschreiben“ ist eine sprachliche Handlung des Erzählers, die man mit den Kategorien des Sprach-Lesebuchs nicht in den Griff bekommt. Ohne den Begriff des Sprechaktes kann man Texte nicht angemessen erfassen! (Vgl. https://norberto68.wordpress.com/2011/02/14/sprechakte-sprachliches-handeln/ und „sprachliches Handeln“ bei den Schlagwörtern, oben rechts!)
4. „Das Bilden von Sinnabschnitten hilft dir beim Verstehen, Zusammenfassen und Wiedergeben von Texten.“ Erstens bildet der Schüler nicht die Sinnabschnitte, sondern er erkennt höchstens vorhandene Sinnabschnitte. Zweitens kann man „Zusammenfassen und Wiedergeben“ nicht gleichberechtigt neben Verstehen stellen. Und drittens darf man bezweifeln, ob derart unklar bestimmte Sinnabschnitte wirklich einem Schüler helfen. Ich zitiere eine Stimme aus dem Internet:
Hallo.
wir haben als Hausaufgaben auf, einen Text in Sinn abschnitte zu teilen & für jeden Abschnitt eine Überschrift zu finden. Mein Problem ist, – ich weiß nicht wann ein Sinn abschnitt anfängt, bzw. er zu Ende ist. Wo ran kann ich Sinn abschnitte erkennen? (http://www.gutefrage.net/frage/sinnabschnitte-wie)
Wenn man sieht, wie schwer selbst teachsam sich mit den Sinnabschnitten tut, könnte man auch auf die Idee kommen, das Problem läge beim Konzept der Sinnabschnitte, nicht bei teachsam oder dem armen Schüler mit seiner guten Frage: http://www.teachsam.de/arb/arb_tinh_auf_0.htm (vgl. http://www.teachsam.de/arb/arb_tinh_auf_1.htm): „Sinnabschnitte beziehen sich stets hauptsächlich auf den Inhalt eines Textes. Es geht also dabei im Allgemeinen nicht darum aufzuzeigen, wie sich die Aussagen eines Textes zu einer Argumentation fügen. In diesem Sinne will man bei der Einteilung des Textes in Sinnabschnitte also den Gedankengang eines Textes nicht darstellen. Sinnabschnitte geben also nur das Nacheinander und das Zueinandergehören von inhaltlichen Gesichtspunkten in einem Text wieder.“ Ja – aber was macht denn einen Text aus? Besteht ein Text wirklich aus dem Nacheinander von inhaltlichen Gesichtspunkten, ist „Sinn“ = Summe der Inhalte? Nein! Das geht auch direkt aus der restriktiven Einschätzung bei teachsam („nur das Nacheinander und das Zueinandergehören von inhaltlichen Gesichtspunkten“) hervor. Vgl. auch https://norberto68.wordpress.com/2011/01/12/text-koharenz-thema/
Es drängt sich mir der Verdacht auf, dass Sinnabschnitte erfunden wurden, um von Schülern eine „Zusammenfassung des Textes“ verlangen zu können und den nicht direkt greifbaren Sinn aus einer Addition von Inhaltsbruchstücken zu konstruieren. Von den Sinnabschnitten selber gelten dann anscheinend drei Gesetze: 1. Ein Sinnabschnitt (wie kann man vom Sinn ein Viertel abschneiden?) ist ein Abschnitt im Text. 2. Wo ein Sinnabschnitt beginnt oder endet, bestimmt der Lehrer. 3. Ob man die richtige Überschrift findet, ist Glückssache. – Zumindest bei Sachtexten sollte man eigentlich erwarten, dass ein Absatz den Beginn eines neuen Sinnabschnitts markiert; wenn dem nicht so ist, zeigt das m.E. vor allem, dass der Begriff des Sinnabschnitts problematisch ist (oder dass der Verfasser des Textes nicht klar gedacht hat).
Zur Korrektur des Sprach-Lesebuchs Klar|text 9 hier die Liste der Fachschaft Deutsch eines Gymnasiums:
Um einen Text zusammenzufassen, müsst ihr den Aufbau des Textes herausarbeiten und ihn in so genannte Sinnabschnitte gliedern. Den Beginn eines solchen Sinnabschnittes erkennt man häufig an folgenden Merkmalen:
* Eine neue Handlung setzt ein
* Ein Gespräch beginnt oder endet
* Der Ort der Handlung wechselt
* Figuren kommen hinzu oder entfernen sich
* Ein Zeitsprung wird gemacht
Das ist so klar an der Aufgabenstellung einer „Zusammenfassung“ von Erzähltexten und Dramen orientiert, dass die unterrichtspraktische Herkunft der „Sinnabschnitte“ [bei Dramen würde man einfach sagen: Es beginnt eine neue Szene!] offenliegt – in fachwissenschaftlichen Wörterbüchern sucht man das Stichwort vergebens. Denn was tut man mit Texten, in denen keine neue Handlung einsetzt, kein Gespräch beginnt oder endet, der Ort der Handlung nicht wechselt (weil es ihn z.B. nicht gibt) und auch keine Figuren hinzukommen oder sich entfernen? (Ich würde mich stark machen, auch die hilflose Anleitung der digitalen Schule Bayern zu zerpflücken.) Erfunden wurden die Sinnabschnitte, um den Schülern beim Verstehen zu helfen, aber praktisch dienen sie dazu, die Schüler zu verwirren und dem Lehrer einen Maßstab zur Punkteverteilung zu liefern („fünf von sieben Sinnabschnitten richtig erkannt“). Das ganze Konzept der Sinnabschnitte ist fragwürdig (weil Sinn nicht abschnittweise inhaltlich linear hergestellt wird, sondern sich aus der Bewegung des Denkens und Sprechens insgesamt ergibt), wie man Erzählungen ja auch nicht mit der simplen Konstruktion von Handlungsschritten erfassen kann – das merkt man aber erst, wenn man sich darauf einlässt, selber sein eigenes Konzept kritisch zu erproben.
Richtig am Verfahren, Sinnabschnitte zu bilden, ist jedoch die Idee, dass man sich Rechenschaft von dem, was man liest, geben soll; dass man seine eigene Einteilung eines Textes in Sinnabschnitte mit der anderer Leser vergleichen und unterschiedliche Lösungen diskutieren sollte; dass man sich bemühen muss, die Struktur des Textes oder den Sinn hinter der Abfolge von Wörtern und Sätzen zu finden. Wie das gehen kann, ist nach wie vor eine offene Frage und bei der Vielfalt von Texten vermutlich nicht durch ein einziges Verfahren zu leisten. Hier muss man auf das zurückgreifen, was man zur Textanalyse wissen kann (siehe die Tags oben rechts!) und was ich exemplarisch u.a. an der Untersuchung des Aufbaus von Gedichten durchgespielt habe.
Beispiel/Übung: Lies die folgende Fabel zweimal und schreibe sie dann ab; teile sie dabei in Sinnabschnitte ein, bei denen du jeweils einen neuen Absatz beginnst!
Der Löwe und die Maus
Eines Tages, als ein Löwe in der Savanne im Gras schlief, lief eine kleine Maus auf dem Kopf des Löwen herum. Der Löwe erwachte mit lautem Gebrüll und schnappte die winzige Maus mit seiner Pfote. Das große Tier wollte gerade seinen Rachen öffnen, um sie zu verschlucken, als diese voller Angst piepste: „Entschuldige bitte, mein König, ich wollte Euch nicht stören. Ich bitte Euch, Majestät, mir nur dieses eine Mal zu vergeben. Wenn Ihr mein Leben verschont, werde ich Euch eines Tages auch einmal helfen.“ Der Löwe begann zu lachen und lachte und lachte. „Wie kann eine winzige Maus jemals irgendetwas tun, um mir zu helfen? Na gut“, meinte er dann achselzuckend und betrachtete die ängstliche Maus, „du bist sowieso nur eine halbe Portion“, und ließ die Maus frei, die schnell davonlief. Nach einiger Zeit geschah es, dass Jäger im Grasland Fallen aufstellten. Der Löwe, der auf der Suche nach Futter war, geriet in das Netz. Er brüllte laut und versuchte, sich zu befreien. Die kleine Maus hörte das Brüllen des Löwen und erinnerte sich an ihr Versprechen. So schnell sie konnte, lief sie hin, um zu sehen, was sie tun könne. Als sie den Löwen entdeckte, rief sie ihm zu: „Warte, ich werde dich aus dieser Falle befreien!“ Mit ihren scharfen kleinen Zähnen nagte sie an den Maschen des Netzes, so dass ein großes Loch entstand. Als der Löwe herausgekrabbelt und frei war, sagte er glücklich: „Danke, liebe kleine Maus. Du hast mir geholfen, auch wenn du nur sehr klein bist.“ (nach https://media.sodis.de/open/melt/ab2_fabelloeweundmaus_sw.pdf, leicht überarbeitet)
Zur Lösung: In der Vorlage gibt es sechs Sinnabschnitte; ich habe nur vier Sinnabschnitte gefunden bzw. gemacht (habe die letzten drei der Vorlage als einen einzigen zusammengefasst). Es gibt also durchaus sinnvolle Lösungen (die ersten drei Abschnitte), aber auch problematische Lösungen (die letzten drei Absätze in der Vorlage). Gib dir Rechenschaft darüber, warum du einen neuen Absatz anfängst bzw. warum der Erzähler einen neuen Absatz gemacht hat! (Meine Lösung: https://norberto42.wordpress.com/2015/03/11/der-lowe-und-die-maus-fabel/) In Hans Lammersen: Lernzirkel Deutsch: Inhaltsangabe, AOL Verlag 2016, ist dieser Text übernommen und wieder in sechs Sinnabschnitte eingeteilt worden (S. 36), aber anders als in meiner Vorlage. Was ergibt sich aus der Tatsache, dass drei Autoren drei verschiedene Lösungen bei der Einteilung dieser Fabel in Sinnabschnitte anbieten?
Kleines P.S.: In der Vorlage gerät der Löwe im Urwald in die Falle – das ist natürlich Quatsch, weil Löwen nicht im Urwald leben.
2. Beispiel/Übung: Lasse dir von jemandem das Märchen vom Wolf und den sieben jungen Geißlein diktieren (in meiner überarbeiteten Fassung), zuerst einmal zum Hören, beim zweiten Mal zum Schreiben (Satz für Satz); beginne an den Stellen, wo ein neuer Sinnabschnitt anfängt, einen neuen Absatz. Vergleiche dann deine Lösung mit meiner und gib dir Rechenschaft, warum wir jeweils einen neuen Absatz begonnen haben; wenn du ähnliche Übungen öfter machst, wirst du sprachliche Signale kennenlernen, mit denen solche Übergänge markiert sind. – Meinen zweiten Absatz könnte man noch unterteilen, d.h. man könnte aus ihm drei kleine Absätze machen; daran siehst du, wie man über Sinnabschnitte streiten kann.
3. Beispiel/Übung: Lasse dir von jemandem das Märchen von Strohhalm, Kohle und Bohne diktieren, zuerst einmal zum Hören, beim zweiten Mal zum Schreiben (Satz für Satz); beginne an den Stellen, wo ein neuer Sinnabschnitt anfängt, einen neuen Absatz. Vergleiche dann deine Lösung mit meiner und gib dir Rechenschaft, warum wir jeweils einen neuen Absatz begonnen haben. – Zur Lösung: Man kann durchaus auch nur vier Sinnabschnitte bilden, und zwar (in meiner Lösung) die Absätze 1, 2-4, 5-6 und 7-8 (oder z.B. 1, 2-4, 5, 6, 7, 8). Auch hier sieht man, wie problematisch der Begriff des Sinnabschnittes ist – offenbar gibt es stärkere und schwächere Einschnitte (Staustufen) im Fluss des Erzählens; weniger als vier Absätze/Sinnabschnitte zu bilden halte ich aber nicht für angemessen.
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Am 22. Mai 2016, dem Fest der heiligen Renata, eingeschobener Nachtrag :
„Spätestens seit Ende der Sechziger ist der Begriff der Emanzipation die Monstranz in der Prozession aller rechtgläubigen Pädagogen und Soziologen. In schulischen Richtlinien findet er sich bei der Formulierung von Erziehungszielen unangefochten auf den oberen Rängen. Daß er mit der Heilsbringermentalität eines pädagogischen Gesalbten unvereinbar ist, wird dabei regelmäßig übersehen. Von höherer Weisheit getrieben und ausgestattet mit den Werkzeugen ausgeklügelter Didaktik und Methodik, sind wir Lehrer nämlich eher geneigt, zu konditionieren als loszulassen, zu bearbeiten als arbeiten zu lassen, zu belehren als lernen zu lassen. Dazu zwei Beispiele.“ (http://www.zeit.de/1997/13/Die_Dressur_stolzer_Horden) Das ist der Anfang eines Aufsatzes unter der Überschrift „Die Dressur stolzer Horden. Laßt doch den Flegeln ihren Lauf! Zwischenruf eines genervten Schulleiters“, der 1997 in der ZEIT erschienen ist. An diesem Absatz kann man vielleicht zeigen, was die Rede vom Sinnabschnitt ausdrücken soll.
Zuerst habe ich nach Jahren – ich kenne den Text seit langem und habe ihn öfter in Kl. 10/11 zum Erörtern freigegeben – den Text folgendermaßen ‚gegliedert’: „Spätestens seit Ende der Sechziger ist der Begriff der Emanzipation die Monstranz in der Prozession aller rechtgläubigen Pädagogen und Soziologen. In schulischen Richtlinien findet er sich bei der Formulierung von Erziehungszielen unangefochten auf den oberen Rängen. Daß er mit der Heilsbringermentalität eines pädagogischen Gesalbten unvereinbar ist, wird dabei regelmäßig übersehen. / Von höherer Weisheit getrieben und ausgestattet mit den Werkzeugen ausgeklügelter Didaktik und Methodik, sind wir Lehrer nämlich eher geneigt, zu konditionieren als loszulassen, zu bearbeiten als arbeiten zu lassen, zu belehren als lernen zu lassen. / Dazu zwei Beispiele.“ Den Schlusssatz abzutrennen halte ich für unproblematisch; denn er leitet zum folgendem Text über („Erste Szene…“). Die ersten drei Sätze habe ich dabei unter dem Aspekt „religiöse Metaphern zur Abwertung pädagogischer Ziele“ zusammengefasst. Das scheitert jedoch daran, dass dann unklar ist, wer der pädagogische Gesalbte sein soll. Zweitens scheitert diese Einteilung am Adverb „nämlich“ im vorletzten Satz; denn dieser Satz hat bei meinem ersten Verständnis keine begründende Funktion: Wieso machen die Lehrer denn etwas falsch (belehren statt lernen lassen usw.)?
Die Lösung der Rätsel ergibt sich bei folgender Einteilung: „Spätestens seit Ende der Sechziger ist der Begriff der Emanzipation die Monstranz in der Prozession aller rechtgläubigen Pädagogen und Soziologen. In schulischen Richtlinien findet er sich bei der Formulierung von Erziehungszielen unangefochten auf den oberen Rängen. / Daß er mit der Heilsbringermentalität eines pädagogischen Gesalbten unvereinbar ist, wird dabei regelmäßig übersehen. Von höherer Weisheit getrieben und ausgestattet mit den Werkzeugen ausgeklügelter Didaktik und Methodik, sind wir Lehrer nämlich eher geneigt, zu konditionieren als loszulassen, zu bearbeiten als arbeiten zu lassen, zu belehren als lernen zu lassen. / Dazu zwei Beispiele.“ Dann zeichnet die „Heilsbringermentalität eines pädagogischen Gesalbten“ den normalen („guten“) Lehrer aus, der eben das Wesentliche falsch macht; dessen Mentalität ist jedoch mit der von den „fortschrittlichen“ Lehrern propagierten „Emanzipation“ der Schüler nicht vereinbar. – Diese Gliederung war wegen des Wechsels vom Singular (des pädagogischen Gesalbten) zum Plural „wir Lehrer“ nicht leicht zu erkennen; sie ist jedoch die einzig mögliche, die einen Gedankengang ergibt – den Widerspruch zwischen der allüberall gelobten Emanzipation und dem Selbstbewusstsein der pädagogisch (belehrend) agierenden Lehrer.
So, und jetzt kommt die Preisfrage: Soll man sagen, dieser Absatz bestehe aus drei Sinnabschnitten? Ich meine, man sagte besser, er bestehe aus drei Gedankenschritten oder zwei Gedanken und einer überleitenden Floskel: „Dazu zwei Beispiele“ möchte ich als isolierte Floskel keinen Sinnabschnitt nennen; anderseits gehört sie nicht mehr zum vorhergehenden Gedanken.
P.S. Die Analyse des Hauptarguments Mahlmanns dafür, dass Schüler nach Beendigung der Schulpflicht, also in der Sek. II frei über ihren Schulbesuch entscheiden sollen, findet man in dem Aufsatz https://norberto68.wordpress.com/2011/02/13/aufsatzunterricht-gliedern-erklaren-bewerten-erortern-kl-8-10-im-g9/, dort unter „Erörtern“ (also gegen Ende).
Im 2., 3. und 5. Absatz seines Aufsatzes führt Mahlmann Begriffe aus der Ökonomie ein (Angebot, Nachfrage, Kunden, Dienstleistungen, anbieten, kostet), ebenso im 8. Absatz (-angebot, Service, Bedürfnisse); im 6. und 9. Absatz werden juristisch-politische Begriffe verwendet: Recht, Pflicht, Aufgabe des Staates, Würde und Rechte des Individuums. Mit den ökonomischen Begriffen will er den Schulbesuch für die Zeit regeln, wenn der Schulpflicht Genüge getan ist. Solange der Schulbesuch Pflicht ist, müsse er kontrolliert werden; wenn er nicht mehr Pflicht ist, solle man ihn nach dem Prinzip von Angebot und Nachfrage regeln.
[Das ist übrigens nur in Grenzen möglich oder richtig: Schüler müssten sich dann ihre Lehrer auswählen (und unliebsame oder Flaschen abwählen) können; gute Lehrer müssten ihr Können über den Preis des Schulbesuchs vermarkten können, wenn die bei ihnen erzielten Leistungen auch einen Marktwert hätten und eine Flaschen-Zwei nicht gleich der ehrlich erzielten Zwei wäre!]
P.S. Noch ein Beispiel, wie problematisch eine Einteilung in Sinnabschnitte ist, liegt bei der Analyse von Schillers Gedicht „Der Spaziergang“ vor, wo verschiedene hochkarätige Fachleute zu unterschiedlichen Lösungen kommen: Einige gehen rein inhaltlich vor, Ziolkowski und ich beachten auch formale Aspekte des Sprechens (Sprechakte).
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Wenn man zusammenfasst, was sich zum Thema Sinnabschnitt bisher ergeben hat, könnte man sagen: Ein Sinnabschnitt ist ein Erzählschritt (in Erzähltexten) oder ein Gedankenschritt (in argumentierenden Texten), wobei beide Begriffe Metaphern aus dem Bildbereich des Weges bzw. des Gehens, also nicht exakt bestimmt sind.
Offen bleibt jedoch, ob man die Größe Sinnabschnitt oberhalb (wie bei den Erzählungen) oder unterhalb der Ebene der Absätze (wie hier bei Mahlmanns Aufsatz) ansetzen soll; erst wenn das geklärt = entschieden wäre, könnte man versuchen, den Begriff Sinnabschnitt weiter zu präzisieren.
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Großes P.S. Wer sich tiefer mit dem Problem der Sinnabschnitte befasst, erkennt, dass dahinter die Frage steht, wie ein Text strukturiert ist bzw. wie das Thema entfaltet wird. Der Begriff der Sinnabschnitte unterstellt (fälschlich), dass man mit dem Begriff Sinn aus der Umgangssprache die Einheit des Textes i.W. inhaltlich oder formal-schematisch erfassen könnte – ein Irrtum: Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie ein Thema entfaltet werden kann. Ich verweise auf einige kleine Aufsätze von mir, wo man das nachlesen kann:
https://norberto68.wordpress.com/2011/02/13/textbegriff-textlinguistik-gedichte-als-texte-verstehen/ (Textbegriff…)
https://norberto68.wordpress.com/2011/01/12/text-koharenz-thema/ (Text, Kohärenz, Thema) – bereits oben verlinkt
https://norberto68.wordpress.com/2011/02/13/text-thema-koharenz-textanalyse-3/ (Text – Thema – Kohärenz)