Heringer – Öhlschläger – Strecker – Wimmer: Einführung in die Praktische Semantik (1977)

Im Folgenden möchte ich die Gedanken des Buches knapp zusammenfassen, damit man sieht, welche Fragen bedacht, welche Begriffe geklärt werden müssten.

1. Grundlagen menschlicher Kommunikation (S. 9-23)

Vorab wird der Begriff des Zeichens (materiale Seite / Seite des Gemeinten) eingeführt: Zeichen kann man nur nach Regeln verwenden, weil sonst „das Gemeinte“ nicht gesichert ist. Die Regeln, nach denen Sprachzeichen verwendet werden, werden durch gemeinsame Praxis begründet und gesichert.

Kommunizieren heißt: sich verständigen. Der technische Kommunikationsbegriff (Informationen zwischen Systemen austauschen bzw. übertragen) ist nicht geeignet, menschliche Kommunikation richtig zu erfassen.

Bedingungen menschlichen Kommunizierens sind folgende:

(1) Es sind mindestens zwei Partner beteiligt.

(2) Einer „handelt“, erzeugt also absichtlich Zeichen (Sprechakt).

(3) Er verwendet dabei Symbole: Ausdrücke einer Sprache.

(4) Der andere versteht den einen; dafür müssen beide die Situation zumindest sehr ähnlich einschätzen, aber B muss die Äußerung nicht genau so verstehen, wie A sie gemeint hat.

2. Gebrauchsweisen sprachlicher Ausdrücke (S. 24-39, von R. Wimmer)

Wimmer diskutiert die Probleme anhand eines Beispiels: Regierungserklärung Brandts 1975 im Bundestag, wo der sich dagegen verwahrt, die Terroristen als Linke zu bezeichnen. Es geht also um die „richtige“ Bedeutung der Bezeichnung „Linke“. Brandt führt vor, dass man den Sprachgebrauch reflektieren und gegebenenfalls rechtfertigen kann. Die Zwischenrufe der CDU zeigen, dass es nicht den einen Beurteilungsmaßstab gibt, der allen Sprechern und Hörern gleichermaßen zur Verfügung stände. – Solche Reflexionen kommen zustande, wenn es Missverständnisse o. Ä. gibt.

Wimmer untersucht dann die Einträge zu „Linke“ in fünf Wörterbüchern. Die Verfasser stützen sich letztlich auf ihre eigene Sprachkompetenz, orientieren sich ingesamt jedoch an der Sitzordnung im französischen Parlament der Restaurationszeit.

Es gibt vier Formen von Worterklärung (wie ein Sprecher bestimmte Ausdrücke gemäß den erlernten Regeln verwendet): Angabe von Oberbegriff und spezifischer Eigenart; Beispielsätze und exemplarische Beschreibung von Verwendungssituationen; Angabe eines ähnlichen Ausdrucks (Synonym); mit dem Finger in einer Situation auf etwas zeigen.

3. Sprachliche Normen (S. 40-59, von R. Wimmer)

Am Beispiel eines Aufrufs, beschränkte Kleinschreibung nicht zu praktizieren und die lateinischen Antiqua nicht zu verwenden, werden die Eigenheiten sprachlicher Normen diskutiert. Unter den sieben Fragen (bis hin zur siebten, ob man sich gegen Normen wehren kann) fehlen zwei wichtige: welchen Sinn Normen haben und ob bzw. wie man sie plausibel begründen kann – das Kapitel atmet den Geist der 70-er Jahre.

R. Wimmer sieht Normen als eine Unterklasse von Regeln an und definiert sie so: Sie schreiben etwas ausdrücklich vor; sie tendieren dazu, ihren Geltungsbereich auszuweiten; sie zielen auf Übereinstimmung verschiedener Regeln ab. Regeln gelten als Muster, die sozialem Handeln zugrunde liegen. Normen zielen auf historische Festschreibung oder gelenkte Veränderung von primären Regeln ab.

Am Beispiel von Sprachregelungen aus dem 3. Reich kann Wimmer zeigen, welche Interessen hinter solchen Normierungen stehen. Ein schönes Beispiel eines Normierungsversuchs ist ein Kommentar aus der DDR zur Frage, was Dissidenten sind. Zum Schluss empfiehlt er, den Nutzen von Normen gegen die von ihnen gesetzten Zwänge abzuwägen.

4. Sprachspiele und ihre Geschichte (S. 60-85, von H. J. Heringer)

Heringer führt am Beispiel vieler Polo-Varianten vor, was ein (Polo-)Spiel ist, und zeigt, dass Varianten in verschiedenen Lebensformen wurzeln können, sodass es nicht leicht ist, sie miteinander zu vergleichen. Er überträgt dann den Begriff Spiel auf die Sprache, um daraus entsprechende Leitfragen für das Verständnis von Sprachhandlungen zu gewinnen: Welche, wer, wie, unter welchen Bedingungen, womit tut … und welche Ergebnisse haben die Sprachhandlungen?

Das Sprachspiel „vorwerfen“ konstruiert er so: „A wirft B vor, dass X (immer ein dass-Satz), indem A äußert S.“ Danach untersucht er, wie „vorwerfen“ im Mittelhochdeutschen gebraucht worden ist (wie es zuging und wie man sich verteidigen konnte), und welche Platzhalter es dafür gab („strafen“ und „rüegen“).

Abschließend untersucht er unser „beweisen“ (ein Akt nach Behaupten und Bestreiten) und vergleicht damit das mittelalterliche „bewisen“; er zeigt, wie die Unterschiede in der Fundierung des Handelns in der jeweiligen Lebensform begründet sind, verweigert eine Bewertung unterschiedlicher Lebensformen und fragt, ob wir fremde Lebensformen überhaupt verstehen können.

5. Bedingungen und Annahmen (S. 86-105, von H. J. Heringer)

Am Beispiel von Plakaten des Bundestagswahlkampfs 1976 und der Parole „Freiheit oder Sozialismus“ (1976) analysiert Heringer Bedingungen dafür, dass Kommunikation gelingt. Neben den allgemeinen Bedingungen (die Sprache verstehen usw.) gibt es für den Einzelfall spezifische Bedingungen, die sozusagen implizit mit den Argumenten der Plakate gegeben sind (dass CDU wählt, wer den Sozialismus kennt, usw.). Die Abgrenzung zwischen Bedingungen und Annahmen bleibt unscharf.

Es zeigt sich jedoch, dass dieses Implizite meist weniger aus Fakten als aus Annahmen besteht: A nimmt an, dass für B Freiheit mehr wert ist als Sozialismus, dass sie eine Alternative darstellen oder dass Sozialismus mit der SPD verbunden wird. Wenn der kommunikative Akt gelingt, muss er aber noch nicht zum (Wahl)Erfolg führen.

Am Beispiel ironischer Äußerungen zeigt Heringer, dass die Annahmen der Partner wechselseitig vielfach verschachtelt sein können: A nimmt an, dass B annimmt, dass A annimmt…

Als letzte Bedingung nennt Heringer das gemeinsame Wissen, und zwar das Wissen voneinander, welches man nur in gemeinsamer Kommunikationsgeschichte erwerben kann; dass dieses Wissen falsch oder lückenhaft sein kann, zeigt sich, wenn Missverständnisse auftauchen. Daraus ergeben sich drei Forderungen: Reflektiere, was dein Partner glauben könnte! Sei offen dafür, dass er etwas anderes glaubt als du selbst! Sei bereit, deinen eigenen Glauben in Frage zu stellen!

6. Referieren (S. 106-125, von R. Wimmer)

Am Beispiel von „Der Herr der Ringe“ zeigt Wimmer, wie der Erzähler eine Welt aufbaut, wobei unklar bleibt, ob es sich um eine „fiktive“ handelt. Immer wird mit den gleichen sprachlichen Mitteln auf Gegenstände einer Welt Bezug genommen: Eigennamen; deiktische Ausdrücke; Kennzeichnungen. Deiktische Ausdrücke stellen Beziehungen des Gesagten zur Sprechsituation her (Personen, Ort, Zeit). Kennzeichnungen sind Phrasen aus Substantiv plus Attribut.

Kennzeichnungen können referenzorientiert (Akzent auf dem Prädikat des Satzes) und prädikationsorientiert (Akzent auf Nomen und Attribut) gebraucht werden. Eigennamen können in Grenzen situationsunabhängig verwendet werden; das deiktische System hat sein Zentrum in der Person des Sprechers; Kennzeichnungen nehmen eine Zwischenstellung ein. Die Vorstellung eines kommunikationsunabhängigen raum-zeitlichen Koordinatensystems ist verbreitet, aber nicht Vorbedingung für die Strukturierung eines kommunikationsrelevanten Bezugssystems.

Referieren ist etwas, was der Sprecher (nicht die Ausdrücke) tut; er tut es aber nur nebenher, es ist in anderen Akten enthalten. – Zum Schluss behauptet Wimmer, dass es keine extra-kommunikative Handhabe für die referentielle Bestimmung eines Gegenstandes gibt und dass die Realität einer Welt daran hängt, welche Bedeutung sie für jemanden in seiner eigenen Kommunikation hat.

7. Fragen und Antworten (S. 126-145, von G. Öhlschläger)

Am Beispiel einer Interviewfrage von 1955 führt Öhlschläger in die Problematik von Fragen und Antworten ein: „Finden Sie, dass in einem Betrieb alle Arbeiter in der Gewerkschaft sein sollten [, oder muss man es jedem einzelnen überlassen, ob er in der Gewerkschaft sein will oder nicht]?“ Das waren zwei verschiedene Frageformen (im gleichen Interview) mit sehr unterschiedlichen Antworten, v.a. mit erheblicher Verringerung der Zahl der Unentschiedenen – diese Differenz gibt Anlass, die wechselseitigen Bedingungen und Annahmen von A und B, die Form der Fragestellung und die Auswahl einzelner Wörter zu reflektieren.

Als Bedingungen des Fragens werden genannt: A weiß X nicht. / A will X wissen. / A nimmt an, dass es eine Antwort auf seine Frage gibt. / A nimmt an, dass B die Antwort kennen kann. / A will X durch B’s Antwort auf seine Frage erfahren. Öhlschläger unterscheidet bei den denkbaren Antworten die Antworten im engeren Sinn von anderen Reaktionen (Nicht-Antworten); gelungen ist die Frage, wenn sie verstanden wird, erfolgreich ist sie, wenn sie beantwortet wird. Das Äußern von Fragesätzen muss nicht in jedem Fall eine Fragehandlung sein; anderseits müssen nicht alle Fragen mit Hilfe von Fragesätzen gestellt werden. In manchen Situationen trifft auch die Bedingung „A weiß X nicht.“ nicht zu.

Öhlschläger unterscheidet direkte und indirekte Antworten und zeigt, dass die erweiterte Fragestellung (s.o.) hier falsch ist, weil sie keine wirkliche Alternative formuliert. Er weist darauf hin, dass es wichtig ist, ob eine Alternative formuliert worden ist oder nicht. Die Kategorie „Unentschieden“ umfasst verschiedenartige Reaktionen; sie lädt dazu ein, die wechselseitigen Annahmen und Erwartungen zu überprüfen. Öhlschläger nennt als Typen die Entscheidungs-, die Ergänzungs- und die Alternativfrage. Sozialwissenschaftler bevorzugen geschlossene vor offenen Fragen.

Auch wenn das Interview eine spezielle Fragesituation darstellt, könne man die Ergebnisse auf andere Fragesituationen übertragen.

8. Handlungsfolgen und Kohärenz von Kommunikationen (S. 146-166, von H. J. Heringer)

Die vielen sprachlichen Einzelhandlungen gibt es in Zusammenhängen. Heringer demonstriert das am Beispiel einer Bundestagsdebatte: Bestimmte Handlungen brauchen Vorläufer und rufen regelhaft Nachfolger hervor (Handlungssequenz), z.B. vorwerfen – bestreiten – beweisen, verteilt auf A – B – A. „Verstehen von Satzfolgen und ihre Projektion auf Sequenzmuster gehen zusammen.“

Im Rahmen der Kohärenz gibt es mehrere Möglichkeiten einer Reaktion: Auf einen Vorwurf kann man durch Bestreiten oder durch einen Angriff auf die implizierte Norm reagieren. Je nach Reaktion kann A dann seinerseits reagieren. So kann B nach einem Vorwurf diesen bestreiten, die Norm angreifen, sich entlasten oder sich entschuldigen, worauf A jeweils wiederum reagieren kann; die vielfältigen Möglichkeiten kann man in einem Baumdiagramm festhalten. Als unspezifische Reaktion bezeichnet Heringer solche, mit denen B nicht auf den Vorwurf eingeht, z.B. durch eine Verständnisfrage, durch Bezweifeln des Rechts von A, so zu handeln, usw.

Welche Handlung vorliegt, ist wesentlich durch den Zusammenhang bestimmt, in dem sie steht. Wenn es zwei Möglichkeiten zu antworten gibt, muss B wählen, kann aber die verworfene Möglichkeit später evtl. nachholen. Einzelne Handlungsweisen sind aber mit anderen unverträglich; man kann sich nicht entschuldigen und dann den Vorwurf bestreiten.

Konkrete Äußerungen, die eine Handlung bedeuten, sind oft nur vor einem Hintergrundwissen verständlich, das beiden gemeinsam sein muss. Kohärent sind also nicht Satzfolgen, sondern „bestimmte Verständnisse oder Verständnismöglichkeiten von Texten“. Das heißt, dass Kohärenz „immer auf dem eigenen Verständnis beruht“. Brüche oder Lücken in der Kohärenz kann ein Sprecher durch sog. Kohärenzmacher überbrücken (z.B. „Da fällt mir ein…“).

9. Kommunikationsprinzipien und der Aufbau von Kommunikation (S. 167-181, von B. Strecker)

Strecker leitet seine Überlegungen mit einem vertrackten jiddischen Witz über einen Lügner ein. – Wenn ein Kind die Sprache erlernt, gibt es noch keine Lüge, sondern nur die Einführung in die Regeln des Sprechens. Erst wenn das Kind zwischen wahr und falsch unterscheiden kann, kann es lernen, das Gegenteil von dem zu behaupten, was es für wahr hält. An der Forderung, nicht zu lügen, hängen das Lügen, das Behaupten, Bestreiten usw. Neben dem Lügen gibt es das Verheimlichen.

Es folgen Überlegungen zum fundamentalsten Prinzip: „Sei kooperativ!“ Es sichert, dass Kommunikation zustande kommt und kohärent bleibt. Was B sagt bzw. tut, muss für A einen Unterschied ausmachen. Weitere Prinzipien (bzw. Ausgestaltungen des fundamentalen) sind: Sei relevant! Sei informativ! Sei aufrichtig! Sprich klar! Sie konstituieren die Möglichkeit von Kommunikation und sind allgemein bekannt, wie viele Sprichwörter zeigen. Die entsprechenden Maximen für den Hörer lauten: Nimm an, dass der Sprecher kooperativ ist! (usw.) Wir alle wissen, dass diese Prinzipien nicht immer beachtet werden, dass sie nur in Grenzen verletzt werden dürfen – man kann sich aber auf ihre Verletzung einstellen (z.B. auf das irrelevante Schwätzen von Politikern).

Verletzungen dieser Prinzipien können zu weiteren Handlungen genutzt werden, also nicht bloß Kommunikation be- oder verhindern (z.B. den anderen schonen; sich vor Zensur schützen, usw.). Es hier geht um den reflektierten Gebrauch dessen, dass jemand etwas anderes tun will, als was er offensichtlich tut. Strecker führt das an fünf einfachen Beispielen vor.

Bruno Strecker war übrigens bis 2011 Leiter des Projekts Grammis, s. http://hypermedia.ids-mannheim.de/pls/public/sysgram.ansicht (wunderbare kostenlose Grammatik usw.).

10. Erfolgsorientiertes Kommunizieren (S. 182-212, von B. Strecker)

Als Grundlage nimmt Strecker das Gedächtnisprotokoll eines „Einstellungsgepsrächs“, das Lehramtskandidaten zu Zeiten des Radikalenerlasses über sich ergehen lassen mussten. Ein solches Einstellungsgespräch ist ein (Sprach)Spiel: die Realisierung von Handlungsmöglichkeiten, die wir uns durch Spielregeln in einen systematischen Zusammenhang gebracht denken. Welche Situation liegt vor? Wann gewinnt man beim Kommunizieren? Geht es dabei fair zu?

Die Analyse des konkreten Gesprächs können wir uns hier sparen. Der Regierungsdirekor hat das Sagen, das muss man wissen; die Frage ist, ob man ihn belügen darf, ob man sich zu seinen Überzeugungen bekennen soll und wie offensiv man auftreten soll.

Für ein normales Gespräch nennt Strecker strategische Leitlinien: Sei bemüht, für aufrichtig zu gelten! Unterstelle dem Partner nur beste Absichten! Sage nie, dass er Unrecht hat! Baue ihm Brücken für einen möglichen Rückzug! Gib ihm die Chance, sein Können zu zeigen! Vermeide Spott! usw. Das sind Maximen des Kooperierens. Wenn es um das Gespräch mit einem Konkurrenten geht, sehen die Maximen anders aus: Zeige, dass du überlegen bist! Schiebe dem Partner die Beweislast zu! Zeige Initiative! Behaupte nie mehr als notwendig! Verunsichere den Partner durch Zweifel! Diskreditiere die Quellen des anderen! usw.

Die Maximen eines auf Konkurrenz beruhenden Gesprächs sind moralisch oft fragwürdig. Man muss immer die besondere Situation berücksichtigen, um die besten Maximen zu finden, die den größten Erfolg versprechen.

11. Folgerungen (S. 213-233, von B. Strecker)

Die Gedanken des Kapitels beruhen darauf, dass wir vieles nicht sehen, sondern aufgrund von dessen Spuren erschließen, dass wir das Unzugängliche im Zugänglichen aufspüren. Strecker untersucht das Urteil des Gerichts im Prozess gegen Vera Brühne hinsichtlich des Tatzeitpunktes.

Dabei geht er davon aus, dass wir aufgrund semantischer Beziehungen Schlüsse ziehen: Wer zu einem bestimmten Zeitpunkt tot ist, kann nicht telefonieren, usw. Er unterscheidet nun zwischen möglichen, plausiblen und zwingend notwendigen Schlüssen bzw. Zusammenhängen und bezweifelt in einer akribischen Untersuchung, dass der Indizienbeweis des Gerichts für den Tatzeitpunkt zwingend ist.

Zum Schluss spricht er über die Bedeutung von Zweifeln: Dass wir nicht jeden Zweifel ernstnehmen, bezeugt, dass wir vernünftig sind; aber was vernünftig ist, ist nicht zwingend festzulegen. Ein Gericht trifft mit seinem Urteil „auch Entscheidungen über die semantischen Verhältnisse in unserer Sprache“ (oder bezeugt es, welche Verhältnisse es für gegeben hält?).

12. Unverträglichkeit (S. 234-250, von H. J. Heringer)

Am Beispiel eines Gesprächs mit einem Geisteskranken zeigt Heringer, dass diese Kommunikation offenbar nicht gelingt. Er berichtet, dass Geisteskranke als unzugänglich gelten, dass ihre Äußerungen unverständlich und nicht kohärent seien. Er unterstellt jedoch, dass sie nach einer anderen Regel statt regellos sprechen könnten. Die Rekonstruktion der Aussagen Peters unter Annahme anderer Regeln gelingt Heringer aber nicht.

Er führt dann den Begriff der Unverträglichkeit ein: Zwei Aussagen sind unverträglich, wenn nicht beide zugleich wahr, aber beide falsch sein können (anders bei Widerspruch). [Hier gibt es bei Heringer einen Widerspruch in der Definition der Unverträglichkeit, was die Möglichkeit betrifft, dass beide Sätze falsch sein können, S. 244 und 245. Es wird mir auch nicht klar, welchen Nutzen dieser Begriff hat, erst recht nicht im Zusammenhang mit dem Geisteskranken.]

13. Argumentieren (S. 251-274, von G. Öhlschläger)

Grundlage ist eine Pro-und-Contra-Diskussion von 1975 zur Frage, ob das Rauchen am Arbeitsplatz verboten werden soll. Öhlschläger erläutert kurz die Struktur der TV-Sendung und behandelt dann die Frage, was ein Argument ist. Damit ein Argument vorliegt, muss eine Folgerungsbeziehung zwischen zwei Sätzen bestehen, wodurch der zweite als Schluss gerechtfertigt wird.

Öhlschläger unterscheidet begründen, schließen und argumentieren. Er führt den Begriff der Präsupposition oder Schlusspräsupposition ein, die als allgemeinerer Satz den Übergang vom Argument zur Konklusion rechtfertigt.

Von Argumentationsketten spricht er, wenn eine Argumentation im Argument oder in der Präsupposition noch einmal verstärkt wird, was durch eine weitere (allgemeinere) Präsupposition oder durch eine Argumentation erfolgen kann.

Öhlschläger unterscheidet den Sprechakt Argumentationshandlung von der konkreten Argumentation und vermeidet den Begriff der Prämissen, weil dieser Begriff nicht zwischen Argument und Präsupposition unterscheidet.

Vor allem die grafischen Darstellungen sind klar, während es für den Leser nicht einfach ist zu folgen, wenn der Autor bloß mit Zahlen für die 70 Beispielsätze operiert.

14. Das Warum-Spiel (S. 275-295, von H. J. Heringer)

Die Satzfolge „S1 weil S2“ gilt auch für die Handlungen des Erklärens und Begründens. Heringer sagt, dass man Ereignisse erklärt und Handlungen begründet (also verständlich macht, dass einer so handelt).

Er stellt dann das Warum-Spiel vor, in dem man jede Antwort durch ein „warum“ hinterfragt, wobei es die Möglichkeit gibt, durch „stimmt nicht“ die Kette zu unterbrechen bzw. durch „stimmt“ wieder anzuknüpfen. Er verteidigt ausdrücklich die Verwendung dieses Spiels als Erkenntnismittel zur handlungstheoretischen Klärung der Grundlagen – das waren die goldenen 70-er Jahre. Das Spiel konnte erst mit Kinder der 3. Grundschulklasse gespielt werden; einige Verläufe werden dokumentiert.

Heringer zeigt, dass gelegentlich warum/wieso und weil/damit verwechselt wurde. Er weist auf die Asymmetriebedingung hin: Wenn „S1 weil S2“ gilt, kann nicht „S2 weil S1“ gelten – das führte zum double bind. Heringer berichtet, dass die Kinder selten den „stimmt nicht“-Einwand benutzt haben.

Er begründet die Bedeutung des Warum-Spiels für die Kinder damit, dass sie so lernten, die Regeln hinter Begründungszusammenhängen zu hinterfragen (die 70-er, ich erinnere mich an Hans Glinz in Aachen). Als Lernziele des Einsatzes solcher Spiele nennt er: Begründungen geben und verstehen; Begründungen bestreiten oder bezweifeln; stereotype Begründungen erkennen; die Assymmetrie von „weil“ beherzigen und Schleifen vermeiden.

15. Unbestimmtheit und Mehrdeutigkeit (S. 296-308, von H. J. Heringer)

Heringer führt anhand vieler Beispiele und Bilder darin ein, wie wir mit Unbestimmtheit umgehen (und daraus lernen sollen, dass u.U. etwas anderes gemeint sein kann, als wir verstehen). Unbestimmtheit ergebe sich daraus, dass ein Symbol eine Geschichte hat; Willkürlichkeit ergebe sich daraus, dass kein Symbol naturgegeben ist. Er unterscheidet Offenheit, Neutralität und Mehrdeutigkeit.

Dem Kontext stellt er dessen Fehlen (Nullkontext) gegenüber und behauptet, dass jeder seinen Grundkontext sozusagen mit sich herumträgt.

Wie es sich gehört, endet das Kapitel offen: mit einem Märchen vom Zauberschloss, dass sich zum Schluss in Luft auflöste und verschwand.

————————————————————————————————————————————————————— Hier endet das Referat!

Es gibt im Netz viele gute Einführungen in die Semantik (o.ä.), die man unter verschiedenen Stichworten aufrufen und mittels derer man die insgesamt eher einfache Einführung vom Heringer & Co. von 1977 vertiefen kann:

Einführung Semantik

http://www.uni-koeln.de/ew-fak/Deutsch/materialien/mbm/ss2003/ps_sw_pp/ps_sw_07_semantik.pdf (Mini-Einführung)

http://www.fb10.uni-bremen.de/khwagner/semantik/begleitmaterial.aspx

http://www.fb10.uni-bremen.de/khwagner/semantik/pdf/Felder.pdf

http://ling.uni-konstanz.de/pages/allgemein/study/pauseSemantik/pauseSem02skript.pdf

http://web.uni-frankfurt.de/fb10/zimmermann/WS00.01.pdf

http://wwwhomes.uni-bielefeld.de/mkracht/html/semantik.pdf (mathemat.)

http://www.uni-leipzig.de/~doelling/veranstaltungen/formsem1.pdf (Grundannahmen)

http://www.uni-koeln.de/phil-fak/idsl/dozenten/lohnstein/semantik/gs_semantik.htm

http://homepage.mac.com/farwer/nkl0506/Folien_attachments/V2-NJ_LJ.pdf (intuitionist. Logik)

http://www.germsem.uni-kiel.de/hundt/material/2007-sose/VL7_SEMAN.ppt (nur Folien)

http://www.bubenhofer.com/korpuslinguistik/kurs/index.php?id=uebersicht.html (Grundlagen und Werkzeuge)

http://www.coli.uni-saarland.de/~saurer/lehre/einfsem/EinfSem-Skript.pdf

http://www.keydana.de/download.php (dort u.a. 12 slides Einführung in die Semantik)

spezieller: Einführung Satzsemantik

http://www.germanistik.uni-wuerzburg.de/fileadmin/05010400/Studium/Seminar_2/Skript_Kapitel2.pdf (Einführung)

http://web.uni-frankfurt.de/fb10/zimmermann/HandoutLviv.pdf

http://www.linguistik.hu-berlin.de/institut/professuren/sprachwissenschaft/lehre/archiv/ws2005/gk_ss/Semantik_01_Einfuehrung.pdf

http://www.sfs.uni-tuebingen.de/~astechow/Lehre/Semantikeinfuehrung/Masterdokument/Kap1_11.pdf

http://www.sfs.uni-tuebingen.de/~astechow/Aufsaetze/SchritteI.pdf

http://www.sfs.uni-tuebingen.de/~astechow/Aufsaetze/SchritteII.pdf

http://www.sfs.uni-tuebingen.de/~astechow/Aufsaetze/SchritteIII.pdf

allgemeiner: Einführung in die Linguistik

http://fak1-alt.kgw.tu-berlin.de/call/linguistiktutorien/index.html

http://www.neurolabor.de/script.htm

http://www.fask.uni-mainz.de/inst/iaspk/Linguistik/Welcome.html

http://ling.uni-konstanz.de/pages/allgemein/introling.html

http://www.cis.uni-muenchen.de/people/schuster/cl1/skript.pdf

http://www.fb10.uni-bremen.de/khwagner/Grundkurs1/

http://www.neurolabor.de/script4-Planung/script-mainframe.htm

http://www.rainerrauch.com/Download/Linguistik.pdf (Methoden!)

Ein weiteres Stichwort wäre Einführung Sprachwissenschaft.

Bildhafte Sprache: Unbestimmtheit, Abstraktion, Verstehen (Beispiel)

Wir haben in einem 11er-Kurs die Erzählung „Der friedliebende Mungo“ von James Thurber (75 Fabeln für Zeitgenossen, 1967, S. 138 f.; in Amerika 1940 erschienen) gelesen und uns gefragt, wie man die Erzählung verstehen kann und was das heißt: die Erzählung verstehen.
Die Tiere stehen für etwas, das war die erste Einsicht; man merkt gleich, dass es nicht um den Mungo geht: Mungos sprechen nicht, „Kobraland“ und Mungosia gibt es nicht – und wenn man annimmt, dass die Erzählung einen Sinn hat, dann muss es eben um etwas anderes gehen (es sei denn, man sähe reine phantasy zur Unterhaltung).
Das Zweite: Wir kennen solche Erzählungen und nennen sie „Fabeln“; wir kennen also eine Textsorte, in der es stets „um etwas anderes“ geht als das, was da „vordergründig“ erzählt wird.
Was auf der Ebene des Geschehens erzählt wird: dass da ein Mungo diffamiert wird, weil er gegen eine elementare Norm verstößt, dass über ihn Gerüchte sich ausbreiten und er schließlich in die Verbannung geschickt wird, so etwas kennen wir; das können wir mit eigenen ähnlichen Erfahrungen verbinden. – Wenn man über diese Einsicht nachdenkt, stößt man auf ein großes Problem: Was ist „ähnlich“? Erst indem ich etwas mit der Erzählung verbinden kann, erkenne ich es als ähnlich; Ähnlichkeit, das ist „wesentliche“ Gleichheit in der Ungleichheit und deshalb nur in einem geistigen Akt, aber nicht in einem Akt des puren Sehens erkennbar.
Problematisch waren folgende Vorschläge:
– die Moral mit der Erzählung verbinden; das ist problematisch, weil hier wie auch sonst bei Thurber die Formulierung der Moral oft witzig oder zugespitzt ist, aber nicht die Pointe treffen muss;
– die Entstehungszeit beachten; das ist hier nicht so relevant, weil eine Fabel ja gerade allgemein gilt und wir über die USA 1940 auch nicht so detailliert Bescheid wissen, aber die Erzählung trotzdem zu verstehen meinen; (außerdem wäre zu fragen, ob der Hintergrund USA-typisch oder ein spezielles Erlebnis war;)
– mit der Intention des Autors haben wir auch nicht als mit einer festen Größe außerhalb unseres Verstehens operiert; das Werk, die Erzählung steht für sich – eine Intention außerhalb des Textes ist nicht greifbar;
– für mich war die Frage interessant, auf welcher Ebene der Abstraktion man die Erzählung verstehen kann:
* Geht es um einen Pazifisten, der die Tradition des Kämpfens ablehnt?
* Geht es allgemeiner um jemanden, der das traditionelle Schwarz-Weiß-Denken und die ethnozentrische Hochschätzung der eigenen Wir-Gemeinschaft ablehnt?
* Geht es noch allgemeiner einfach um jemanden, der eine elementare Norm (Erwartung) im sozialen Verband zu befolgen sich weigert?
Zu dieser Frage hatte Kerstin eine interessante Idee: Was aus der Sicht des Individuums Pazifismus sein mag, kann aus der Sicht der Gemeinschaft die Weigerung sein, elementare Normen anzuerkennen; dennoch meine ich, wir als Leser könnten „entscheiden“, wie wir den Mungo sehen, spezieller oder allgemeiner – der Grad der zulässigen Abstraktion ist aus dem Text nicht zu ersehen.

Frage: Was nützen uns diese Überlegungen für das Verständnis „normaler“ Erzählungen, die nicht Fabeln sind? Wann versteht man also etwa Fontanes Roman „Irrungen, Wirrungen“?

Vgl. https://www.academia.edu/3070893/Hermeneutik_des_Vergleichs_Strukturen_Anwendungen_und_Grenzen_komparativer_Verfahren_ed_with_A_Mauz_ (Hermeneutik des Vergleichs – Sammlung von Aufsätzen!)

Unbestimmtheit und vom Hörer Bestimmtes (Beispiel)

Der eine fragt: Was kommt danach?
Der andre fragt nur: Ist es recht?
Und also unterscheidet sich
der Freie von dem Knecht.

(Theodor Storm)

Ist der eine der Freie oder der andere? Ist es also Zeichen der Freiheit zu fragen: Was kommt danach? Oder ist es Zeichen der Freiheit, nur zu fragen, ob etwas recht ist?
Es ist im Text nicht eindeutig bestimmt, was der Freie und was der Knecht fragt; für mein Verständnis ist klar, dass der Freie nur fragt, ob es recht ist, und dass das ängstliche Schielen auf die Folgen Zeichen der Unfreiheit ist. Das habe ich im Gespäch mit Schülern nicht plausibel machen können. – Ist hier der Text zu unbestimmt? Oder wird der (mein?) Begriff der Freiheit nicht (mehr) verstanden?
Klar ist jedenfalls, dass es in Texten viele Leerstellen gibt, die wir mehr oder weniger bewusst füllen; viele Unbestimmtheiten, die wir einfach als bestimmte lesen, weil Unbestimmtes sich unserem Verständnis entzieht.
Ich erinnere mich, dass es in einem Kinderlied von einem Kapitän, der zur See fährt, heißt:
Ja, wenn die Olle wüsste,
dass er die Mädchen küsste,
sie schlüge ihn k.o. …

Meine Kinder kannten das Lied aus dem Kindergarten und sangen immer:
Ja, wenn die Eule wüsste,
dass er die Mädchen küsste,
sie schlüge ihn k.o. …

Erklärung: Meine Kinder kannten die Bezeichnung „die Olle“ nicht, mussten an der Stelle aber etwas Sinn-Volles hören und verstanden dann das ähnlich klingende „die Eule“. Das ist im Kontext zwar sinnlos, aber an der Stelle sinnvoller als ein völlig unverständliches Wort. Meine Kinder haben im Hören Sinn hergestellt, also Unbestimmtes bestimmt, wie wir es alle beim Lesen oder Hören tun (leider nicht immer richtig). Meine Kinder haben sich übrigens heftig gegen die richtige Lesart „die Olle“ gewehrt, weil sie ja die Eule kannten; hätten wir abgestimmt, wäre ich unterlegen.

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Bestimmtes, Unbestimmtheit, Text

1. Einen Text hervorbringen heißt, Unbestimmtes näher zu bestimmen. Das möchte ich an zwei Beispielen vorführen:
(1) „Es war einmal eine alte Geiß,
die hatte sieben junge Geißlein (…).
Eines Tages wollte sie in den Wald gehen…“
Am Ende haben sie alle ein großes Abenteuer erlebt, sind gerettet worden und haben den Wolf getötet. Am zitierten Anfang des Märchens sieht man, wie die Situation schrittweise bestimmt wird. In einem Märchen kann allerdings unbestimmt bleiben, wann und wo das alles geschehen ist, wie die alte Geiß hieß, wie aussah usw.
(2) Wer einen Bericht verfasst, soll die sogenannten sechs W-Fragen beantworten, also Unbestimmtheit (offene Fragen) beseitigen:
„Benzinpreis auf neuem Rekordhoch
Die Ölkonzerne erhöhten am Montag die Preise um bis zu vier Cent pro Liter, so dass Superbenzin auf teilweise über 1,16 Euro geklettert ist. (…) Grund für die steigenden Preise ist laut Esso und Aral neben den schon seit Monaten hohen Rohölpreisen der sinkende Eurokurs gegenüber dem Dollar. Die Ölrechnungen der Lieferländer laufen auf Dollar.“ (Rheinische Post vom 27. April 2004)
Zeit, Ereignis, Begründung (Grund?) werden genannt; „die Ölkonzerne“ als Täter werden pauschal genannt und als bekannt vorausgesetzt, später teilweise benannt; Ort ist selbstverständlich Deutschland. – Einiges hiervon ergibt sich aus der Zeitungsausgabe (deutsche Zeitung vom 27.04.2004) selbst.

2. Aus Wörtern wird eine Äußerung oder ein Text, wenn sie nach bestimmten festen Regeln verbunden sind.
Die Fügung von Wörtern zu einem Satz „ist charakterisiert durch drei Arten von syntaktischen Beziehungen zwischen den sprachlichen Zeichen: Interdependenz (Zuordnung), Subordination (Unterordnung) und Koordination (Beiordnung oder Reihung)“ (Walter Jung: Grammatik der deutschen Sprache. 10., neubearbeitete Auflage 1990, S. 45; ich orientiere mich im Folgenden an dieser Grammatik):
a) Die gegenseitige Zuordnung betrifft
– die Vereinbarkeit der Bedeutungen der Wörter,
– die gegenseitige Anpassung der Form von Subjekt und finiter Verbform.
b) Eine Subordination (Unterordnung) besteht (in syntaktischen Verbindungen)
– zwischen dem Prädikat und den Objekten und Adverbialbestimmungen,
– zwischen dem Kern eines Satzglieds und den Attributen,
– zwischen Haupt- und Nebensatz bzw. Nebensätzen verschiedenen Abhängigkeitsgrades.
Die Wörter besitzen die Fähigkeit, sich nach festen Regeln mit anderen zu verbinden; man spricht hier von Fügungspotenz oder Valenz. Unter Valenz wird die Fähigkeit des Verbs verstanden, bestimmte Leerstellen im Satz zu eröffnen, zum Beispiel „geben“: Normal ist, dass gesagt werden muss, wer (Person) wem (Person) was (Ding) gibt; es können Angaben hinzugefügt werden, wann und wo, wie oder warum das geschieht. Wenn der Empfänger oder der Geber nicht genannt ist, empfindet man die Äußerung als unvollständig („Leerstelle“), es sei denn, in einer Situation wäre allen klar, wer etwas gibt und wer etwas bekommt.
Als Mittel, um  im Satz Beziehungen herzustellen, führt W. Jung auf:
– verschiedene Wortarten,
– die Flexion verschiedener Wortarten (Konjugation, Deklination),
– die Satzgliedstellung,
– Satzakzentuierung und Intonation,
– die Kongruenz (von Subjekt und Prädikat, von Attribut und Nomen, bei den Modi).
c) Die Koordination (Beiordnung, Reihung) kann
mit oder ohne Verbindungswörter (Konjunktionen) erfolgen.

3. Außer durch grammatische Determination und Verbindungen kann man Äußerungen beim Sprechen (Schreiben) zusätzlich formal strukturieren,
– indem man zum Beispiel darauf achtet, dass Wörter auch vom Klangbild her zueinander passen (Reim, verschiedene Formen);
– dass sie von der Abfolge der betonten Silben (Takt, Metrum) her eine gleichmäßige Folge ergeben;
– dass man versucht, nach bestimmten Regeln schön oder eindringlich zu sprechen (Rhetorik).
[Solche formale Strukturierung, also eine Überdetermination der Äußerung gegenüber dem „normalen“ Sprechen, liegt oft bei Gedichten vor.]

4. Die deutschen Gedichte bilden wie die meisten Texte ein weites Feld – es können in ihnen verschiedenste Formen der Bestimmtheit, Unbestimmtheit oder Überbestimmtheit miteinander verbunden sein. Gerade die in Gedichten häufig verwendete bildhafte Sprache weist von sich aus Spielräume der Bedeutung (Unbestimmtheit) auf. (Vgl. dazu diesen Aufsatz!)
Eine weitere Quelle von Unbestimmtheit, die von Starke nicht erwähnt wird, ist die Art, wie wir normale Wörter gebrauchen: Je nach dem Zusammenhang wechselt oder changiert ihre Bedeutung, sofern sie nicht als Termini definiert sind. Ein Blick ins Wörterbuch zeigt, welche Bedeutungsbreite ein Wort ungefähr haben kann (meistens ist die Bandbreite noch größer, als das Wörterbuch angibt!). Es muss im Einzelfall geprüft werden, welche Bedeutung gerade hier vorliegt (vorliegen kann).

5. Wie gehen wir mit Unbestimmtheiten im Text um?
Wo ein Äußerung unbestimmt ist, bestimmen wir (ich, du, jeder) als Hörer oder Leser beinahe automatisch die Stelle näher, indem wir stillschweigend die Leerstelle „füllen“; was wir dann hören oder lesen, „steht“ im strengen Sinn nicht da, sondern ist erst von uns hingestellt.
Wohin es führen kann, wenn man eine gegebene Unbestimmtheit beliebig beseitigt, also Leerstellen falsch füllt, zeigt der Märchenschwank „Dr. Allwissend“. Jener später vermeintlich allwissende Doktor, ein armer Bauer namens Krebs, sollte herausfinden, wer Geld gestohlen hat. Beim Essen bei dem Bestohlenen sagte er zu seiner Frau, als der erste Gang aufgetragen wurde: „Grete, das war der erste.“ Damit meinte er den ersten Gang des Essens. Der Bediente verstand den Satz jedoch so: „Das war der erste Dieb.“ Und da er wirklich zu den Dieben gehörte, fühlte er sich entlarvt… Man kann bei den Brüdern Grimm nachlesen, wie Herr Krebs aufgrund solcher Missverständnisse „allwissend“ wurde.
An diesem Beispiel kann man auch erkennen, nach welchen Kriterien man im Alltag Unbestimmtheit auflöst: aus den Gegebenheiten der Gesprächssituation, hier also aus der Situation bei Tisch. Hätte in unserem Beispiel der Bediente den Bauern fragen können, wen oder was er mit „der erste“ meinte? Das können wir zumindest bei einem Gedicht nicht, weil der Sprecher eben eine fiktive Gestalt ist und wir real Existierenden ihn nichts fragen können – selbst der Dichter kann deshalb nach meiner Erkenntnis nicht wirklich wissen, was der fiktive Sprecher meint, er kann es sich höchstens vorstellen, genauso wie wir.

Exkurs: Wer spricht im Gedicht unbestimmt?
Etwas unbestimmt zu lassen sollte in Gedichten primär als Leistungdes „Sprechers“, nicht als sogenanntes Stilmittel des Dichtersbegriffen werden (obwohl der das sicher oft bewusst so gemacht hat –aber er „erschafft“ ja eine fiktive sprechende Person!). So drückt etwaPrometheus in seiner hastigen Rede seine Erregung aus, er spricht infreien Rhythmen; bei der Analyse (suchen und) sagen wir jedoch: WelchenRhythmus hat Goethe im Gedicht „Prometheus“ verwendet? Man kann alsoauch untersuchen, in welchen Gedichten Goethe freie Rhythmen verwendet;aber „Prometheus“ muss man zunächst vom sprechenden Prometheus herverstehen, auch dessen freie Rhythmen.

Links zu Texttheorie / Einheit des Textes:
http://phil.muny.cz/data/NJII_275/Text%20und%20Satz.doc
http://www.lingue.uniba.it/dag/pagine/personale/sasse/sasse_lingua02_unit11.doc
http://www.slm.uni-hamburg.de/ifg1/Personal/Schroeder/Seminarmaterial/WS-06-07/Sem_II/II_Textlinguistik.pdf