Satiren schreiben (mit Beispielen)

Eine Satire ist keine Textsorte, sondern die Technik verzerrender Darstellung der Realität in kritischer Absicht; zwischen der Perspektive des Lesers und der des Sprechers oder einer fiktiven Figur ergibt sich eine Differenz, welche den Reiz der Satire ausmacht. – In einer Satire wird auf amüsante Weise eine menschliche Schwäche oder ein konkreter Missstand (oft aus der Politik) angegriffen.
Ich habe viele Jahre Satiren in Kl. 9 schreiben lassen, gelegentlich auch in Klasse 10, wenn wir in Kl. 9 nicht dazu gekommen sind. Zuerst analysieren wir vier oder fünf Satiren, an denen wir die Merkmale des satirischen Sprechens bzw. Schreibens herausarbeiten; dann geht die Produktion los! Ich könnte die fünf Standardsatiren nennen, auf die ich zurückgreife; aber vermutlich sind sie für Kollegen nicht leicht greifbar. Daher hier nur meine Sammlung der Merkmale (mein Arbeitsblatt für die Schüler):
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* Zu den Mitteln satirischer Darstellung gehören
– Umkehrung der normalen Verhältnisse (z.B. zu einem vorhandenen Klebstoff passendes Material erfinden);
– die Übertreibung (7000 Meilen über dem Meer);
– die Untertreibung (das völlig sinnlose Nihilit hat ‚wenig nützliche Eigenschaften‘);
– die Ironie (Gesagt wird das Gegenteil von dem, was gemeint ist: Smog als Attraktion von L.A.; der Idiot Rotnagel ‚war kein Narr‘.);
– Zusammenstellung von Elementen, die nicht zueinander passen (ein Klebstoff, der vertrauenswürdig aussieht; Demonstrationszeitalter);
– es werden unsinnige Konsequenzen aus einer sinnvollen Regelung gezogen (Dienstkleidung für schwer erkennbare Abwiegler bei Demos einführen);
– innerer Widerspruch (Klebstoff, der nicht klebt; Friedensstifter, der Ohren abbeißt);
– sachlich Unmögliches (Stoff, der nicht aus Atomen besteht);
– Darstellung makabrer Ereignisse (Ohr abgebissen);
– die offene Bewertung (abgasverseuchte Luft);
* außerdem spielerische Elemente:
– Wortspiele (Man trat mich nieder, statt sich an meinen Idealen aufzurichten.);
– sprechende Namen von Figuren „sagen alles“: Gottlieb Biedermann erscheint in Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“ seinem Namen entsprechend als die personifizierte Bravheit, von Kalb, der Hofmarschall in Schillers „Kabale und Liebe“ versinnbildlicht schon durch seinen Namen einen dümmlichen Vertreter des Adels;
– wörtliches Verständnis von Wendungen, die im übertragenen Sinn gemeint sind (Was haben Sie da im Auge?).

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Wenn ihr eine Satire verfasst, werdet ihr normalerweise Erzählungen schreiben; man kann aber auch ein Interview, ein Gesetz o.ä. abfassen. Achtung:
1. Ist klar,   w a s   du (in einem dass-Satz!) kritisieren willst? (Also nicht: „die Schule kritisieren“, sondern kritisieren, dass der Unterricht oft langweilig ist; dass manche Lehrer sich von Mädchen umgarnen lassen; dass der Einsatz von Medien oft nur Spielerei ist!)
2. Du solltest dich vor grotesken Übertreibungen oder der Potenzierung des Makabren hüten; wenn das Auto sich achtzehnmal überschlägt, ist das nicht witziger, als wenn dies dreimal geschieht [aber es kann im Einzelfall natürlich witzig sein, genau wie die groteske Übertreibung]. Bitte verschiedene  M i t t e l  satirischen Sprechens verwenden!
3. Du musst einen  R a h m e n  finden, den du erzählerisch gestaltest (Besuch in Flagstaff anläßlich eines Vortrags; Gespräch mit einem Vertreter des Elternschutzbundes. Ein schönes Beispiel ist Otto Reutters Lied „Der Blusenkauf“: Eine Frau geht am Morgen in ein Geschäft, um eine Bluse zu kaufen; ihr Mann wartet draußen vor dem Laden. Sie probiert alle möglichen Farben mit den tollsten Begründungen, kann sich aber nicht entscheiden; am Abend des Tages stirbt ihr Mann, so dass sie dann gezwungen ist, eine schwarze Bluse zu kaufen. – Diese Geschichte kannst du zur Übung einmal in Prosa schreiben und dann auch die Kommentare der Verkäuferin zu jeder Farbe resp. Begründung hinzufügen. Achte aber darauf, in welches Milieu du das Geschehen verlegst, ins KaDeWe oder in einen Dorfladen!) Ein Rahmen liegt vor, wenn etwas getan wird oder geschieht (Ordnung in Zeit und Raum); reine Gespräche oder Reflexionen sind schwer zu schreiben. – Du solltest darauf achten, dass du die erzählerische Perspektive („Ich”-Perspektive oder auktoriales Erzählen) durchhältst und Zeitsprünge vermeidest.

Die Gegenstände, über die man eine Satire schreibt, sollten den Schülern bekannt sein: Verwandtenbesuch; ein Leben für die Glotze; meine beste Freundin; echt cool sein…
Für die Bewertung: Es muss dem Leser klar werden, was kritisiert wird; der Rahmen darf keine großen Sprünge aufweisen; es müssen mindestens zwei Techniken der satirischen Darstellung verwendet sein – dann kann man das Ganze als ausreichend beurteilen.
Wenn ich einen hervorragenden Autor von Satiren nennen müsste, würde mir als erster der Amerikaner Art Buchwald einfallen (besser als Kishon!).

Auf dieser Seite findet man neben dem, was hier steht, auch eine Satire in Form eines Wörterbuchs – gekonnt, finde ich, nicht nur weil die Beiträge zu Elternsprechtag, Quartal und y-Achse von mir stammen. (Zum Prinzip der Ordnung nach dem Alphabet s. http://www.actalitterarum.de/theorie/mse/enz/enzb08.html!) Weitere Beispiele: http://www.familie-ahlers.de/witze/katholikenproblem.htmlhttp://www.janko.at/Humor/index.htm; http://hinnerk.ruemenapf.de/stext/index.html; http://www.satirische-sammlung.de/; http://www.der-postillon.com/2014/05/grundschuler-protestieren-gegen.html

Ein wichtiges Stilmittel satirischen Sprechens oder Schreibens ist die Darstellung eines makabren Geschehens (oder ist die Darstellung makaber? – egal!); dafür ein schönes Beispiel Swifts: http://www.foodnews.ch/allerlei/30_kultur/Lit_Swift_Kinder.html (vollständiger Text: http://rolofs.net/phorum5/read.php?26,21940,page=1)

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Ein schönes Prinzip, breit gespreizte Themen miteinander zu verbinden, entdecke ich am 6. Dezember 2012 in der letzten Ausgabe der ftd (für künftige Generationen: Financial Times Deutschland). Unter der Überschrift Blick in die Zukunft. Wissen, was wichtig ist bietet die fdt einen Ausblick auf die Ereignisse des kommenden Jahres, über welche sie noch gern berichtet hätte. Das Prinzip der chronologischen Abfolge verbindet die verschiedenen Ereignisse zur Geschichte der Zukunft. Da ich nicht weiß, wie lange der Link noch stehen wird, zitiere ich den Anfang der zukünftigen Ereignisse:

18. Dezember 2012 Commerzbank-Chef Martin Blessing kündigt eine strategische Neuausrichtung an – warum und zu welchem Zweck, weiß er allerdings noch nicht. Blessing: „Klar ist, dass es ein Weiter-so nicht geben kann. Stattdessen könnte ich mir erst mal ein Nach-vorn und ein darauf folgendes Wieder-zurück gut vorstellen.“

20. Dezember Bertelsmann-Digital-Chef Thomas Hesse gibt seinen Vorstandsposten auf und wird Konzertpianist. Konzernchef Thomas Rabe bestätigt entsprechende Vorabberichte in der „FAZ“ und dem „Manager Magazin“. Hesse will seine Bertelsmann-Erfahrungen in einem Requiem in G-Moll verarbeiten. Die Komposition soll unter dem Titel „That’s Life, That’s Businesss“ erscheinen. Erste Erfolge feierte Hesse bereits mit seinen Bach-Interpretationen auf Youtube (http://tinyurl.com/hesse66).

24. Dezember Commerzbank-Chef Blessing schenkt seiner Frau zu Weihnachten zwei Ponys. Sie hören auf die Namen Hü und Hott.

9. Januar 2013 Weil die Meerschweinchen seiner Frau aus dem Stall ausgebüxt sind und es eine Zeit brauchte, sie wieder einzufangen, kommt der Deutschland-Chef der Ratingagentur Fitch, Jens Schmidt-Bürgel, verspätet zu einem Termin mit der Finanzaufsicht BaFin. „Nicht schlimm, so etwas kann passieren“, heißt es aus Aufseherkreisen. Wobei doch kurios sei, „dass ihm das jetzt schon zum zweiten Mal passiert ist“.

10. Januar Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) will die Schwemme arbeitsloser Journalisten für den Kita-Ausbau nutzen: Die Sprachexperten sollen zu Erziehern umgeschult werden. „Wer wenn nicht Journalisten soll Kindern vernünftiges Deutsch beibringen“, sagt die Ministerin. Auf Widerstand stößt von der Leyen allerdings bei Familienministerin Kristina Schröder (CDU): „Welches Deutsch Kinder lernen, ist immer noch Sache der Eltern.“ CSU-Chef Horst Seehofer droht mit Koalitionsbruch…

(http://www.ftd.de/it-medien/medien-internet/:blick-in-die-zukunft-wissen-was-wichtig-wird/70126219.html – vielen Dank, ftd!) P.S. Wie ich schon ahnte, ist der Link inzwischen futsch, leider. 2.02.2015

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Hier einige Beispiele meiner Schüler aus Klassenarbeiten in zwei 9. Klassen:

2 thoughts on “Satiren schreiben (mit Beispielen)

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