Sprachpurismus als intellektuelle Selbstbefriedigung

Am 31. Juli 2023 stand in der SZ ein Artikel über einen Herrn Dogan, der sich als Sensivity Reader betätigt und anstößige Wörter in Texten aufspürt.. Diesen Artikel habe ich nicht gelesen, weil ich solche sprachpuristischen Bemühungen für verfehlt halte. Ich begründe meinen Standpunkt:

Heute, am 1. August 2023, war die Schlagzeile der SZ „Lehrlinge verzweifelt gesucht“; dagegen müsste Herr Dogan einwenden, man dürfe nicht von Lehrlingen sprechen, weil damit Mädchen ausgeschlossen würden – was objektiv Quatsch ist. Außerdem, und das ist entscheidend, gäbe es mit der sprachpuristisch korrigierten Schlagzeile „Auszubildende verzweifelt gesucht“ keinen einzigen Lehrling oder Azubi mehr!!! Und es gäbe in der Realität auch nicht mehr Respekt für Lehrlinge. Fazit: Der Sprachpurismus dient nur dem Gefühl des Herrn Dogan, er sei ein besserer Mensch und stehe auf der Seite des Fortschritts; und er dient dazu, auf diejenigen herabblicken zu dürfen, die von Lehrlingen sprechen.

Das kann man auch an den von Herrn Merz so genannten „kleinen Paschas“ sehen; das Problem ist nicht diese Bezeichnung, sondern das Benehmen mancher Jungen aus patriarchalisch gesinnten (Asylanten-)Familien gegen Frauen, etwa gegen Lehrerinnen; statt dass man überlegt, wie man diesen Burschen Respekt vor Frauen beibringt, beschimpft man Merz als Asylantenfeind – das ist einfach lächerlich, es geht an der Sache vorbei, indem das Problem aus der Realität in die Sprache und von den Burschen auf Merz verschoben wird. Damit haben Frau Hayali und die „progressiven“ Kabarettisten wieder eine Sau, die sie durchs Dorf treiben können, das ist alles; den Respekt für Frauen fördern sie so nicht.

Und das alles könnte man auch fürs Zigeunerschnitzel und den Negerkuss durchspielen – das sind einfach Wörter, bei denen man sich im normalen Sprachgebrauch nichts denkt (oder gedacht hat) und damit auch nichts Böses denkt, weil es einem um das pikante Fleisch und die Süßigkeit geht; erst durch die Sprachpuristen wird das Problem geschaffen [wird also diesen Wörtern eine negative Konnotation angehängt], welche aber die Lage der von ihnen vermeintlich geschützten Menschen nicht verbessern (Wohnung, Ausbildung, Bezahlung…).

In der guten alten Zeit vor 50 Jahren galt die für Linke marxistische Weisheit, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt; heute gilt für viele Linke die Auffassung, dass die Sprache das Bewusstsein und damit das Sein bestimmt. Da sich jedoch durch die gereinigte Sprache nicht das Sein der vermeintlich Geschützten, sondern nur das Bewusstsein der Schützer (Schutzmänner und -frauen) verbessert, ist die Sprachpuristerei so etwas wie eine intellektuelle Selbstbefriedigung.

P.S. Am 3. August kam im Abendprogramm des MDR eine Reportage über eine Frau aus dem Harz, die seit über zehn Jahren sich im Rumänien um verwahrloste und hungernde Romakinder kümmert, dafür Geld- und Sachspenden im Harz sammelt und diese unter die Roma bringt. Diese Frau spricht natürlich auch von Roma, aber sie tut auch etwas für die Roma (und hat sogar eine kleine Schule für Analpheten gegründet) – das ist ein Unterschied.